Süddeutsche Zeitung

Ickinger Frühling:Verdi einmal ohne Sänger

Von Sabine Näher, Icking

Im Eröffnungskonzert des 5. Internationales Streichquartett-Festivals Ickinger Frühling standen Komponistennamen auf dem Programm, die man mit dieser Gattung nicht spontan in Verbindung bringt: Boccherini, Verdi und Respighi. Das Quartetto di Cremona hatte als musikalischer Botschafter seines Heimatlandes ausschließlich italienische Werke mitgebracht. Da das Streichquartett im sangesfreudigen und opernbegeisterten Italien längst nicht den Stellenwert hat, den es hierzulande einnimmt, bekamen die Besucher im fast ausverkauften Rilke-Gymnasium rares Repertoire geboten.

Luigi Boccherinis (1743-1805) Streichquartett C-Dur op.2 Nr.6, eines der ersten dieser Gattung überhaupt, war der perfekte Einstieg: Mit hellen, wie sonnendurchglühten Klängen nahm es die heitere, frühsommerliche Atmosphäre des Tages auf und verbreitete musikalische Hoch-Stimmung. Die aus Genua stammenden Musiker, die ihr Ensemble nach ihrem Studienort Cremona benannten, überzeugten mit einem subtilen Zusammenspiel und nuancierter Ausgestaltung. Freudig auffahrend eröffnet das Allegro; mit gravitätischer Anmut, fein ziseliert, kommt das Largo. Fast wirkt es wie ein an der (vergangenen) barocken Formensprache orientierter, höfisch gezierter Tanz. Diese Fesseln legt der ausgelassene Schlusssatz ab, der auf das höfische Zeremoniell ein quasi befreites Vergnügen folgen lässt. Oder musikwissenschaftlich gesehen: Dass sich das Quartett aus der barocken Triosonate entwickelt habe, scheint hier nachvollziehbar.

Giuseppe Verdi (1813-1901) ist als Opernkomponist weltweit bekannt, auch sein Requiem ist allgegenwärtig. Aber ein Streichquartett aus seiner Feder? Tatsächlich gibt es auch nur ein einziges - und dessen Darbietung wurde mit Spannung erwartet. Das eröffnende Allegro beweist sogleich, dass Verdi den intimen, kammermusikalischen Ton perfekt trifft. Im Andantino gibt's dann doch Gesang, aber ohne Sänger. Die 1. Geige singt sich ergreifend aus, das Cello stimmt ein. Ein Prestissimo folgt. Dass ein solches Eleganz ausstrahlt, ist eher selten, gelingt hier aber in souveräner Virtuosität. Sehr spannungsvoll gestaltet sich der Schlusssatz, zwischen aufgewühlten, erregten Passagen und solchen des stockenden Innehaltens. Lauter Jubel dankt.

Ottorino Respighi (1879-1936) ist vor allem mit seinen Orchesterwerken im Musikleben präsent. Er nimmt gern Bezug auf vergangene Epochen, deren Tonsprache er in ein modernes Gewand kleidet. Sein Streichquartett Nr. 3, entstanden 1904 bis 1907, zeigt einen ganz eigenen romantischen Tonfall, nicht opulent schwelgerisch, sondern konzentriert, schlank, ganz und gar kammermusikalisch fokussiert. Ein warmer, bronzefarben abgedunkelter Ton prägt den 1. Satz. Ein Thema voll zarter Wehmut wird im 2. Satz in lebendig bewegten Variationen verarbeitet. Das Intermezzo bringt einen anrührenden Gesang der Violinen; dann gibt das Cello eine geläuterte, besänftigte Stimmung vor. Mit Leidenschaft, dynamisch vorwärtsdrängend schließt der Finalsatz. Die vier Musiker überzeugen mit Souveränität, der allenfalls hier und da ein Quäntchen Wagemut fehlt. Tosender Beifall - und eine reizende Zugabe: Das (zu) oft gehörte Menuett aus Boccherinis Streichquintett op.11 Nr.5, auf das der bedauernswerte Komponist zumeist reduziert wird, kommt hier in voller Grazie daher und entzückt neu. Mit dem unsäglichen Text "Lieselotte, lass uns auf die Wiese geh'n" unterlegt wurde es zum Popsong. Zum wunderbaren Frühsommerwetter passt es perfekt.

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SZ vom 23.04.2018
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