Süddeutsche Zeitung

"Ickinger Frühling":Momente der Leichtigkeit

Viel Frauenpower: Die vier Musikerinnen des "Quatuor Akilone" überzeugen bei ihrem Konzert mit Werken von Ernest Chaussons, Xu Li und Johannes Brahms durch Elan, Bühnenpräsenz und stilsichere Musikalität.

Von Paul Schäufele, Icking

"Frauenpower" hat das Streichquartett-Festival "Ickinger Frühling" versprochen, das heuer zum siebten Mal stattfindet. Ausschließlich weiblich besetzte Quartette spielen deshalb ein ebenfalls stark von Komponistinnen geprägtes Programm. Das arrivierte Weimarer Klenke Quartett spielt, ebenso das blutjunge Selini Quartett. Doch da es um hier um Power geht ebenso wie um Weitblick und Vision - etwa die eines Konzertbetriebs, in dem Musik von Frauen einen so großen Stellenwert hat wie die der männlichen Kollegen - darf ein Quartett, das den Drachen im Wappen führt, nicht fehlen. Das Quatuor Akilone, vor elf Jahren in Paris gegründet, gestaltet den Samstagabend des Quartett-Wochenendes mit Elan, einnehmender Bühnenpräsenz und stilsicherer Musikalität.

Die Musikerinnen beginnen ihren Abend mit spätromantischen Klängen, die an die Pforte der Moderne klopfen. Ernest Chaussons unvollendet gebliebenes Streichquartett ist ein Meisterwerk der Grautöne, ein Monument der Melancholie des Fin de Siècle, dazu ein diffiziles Klanggebilde, das Chaussons Expertise im Kontrapunkt beweist. Langwierig oder kompliziert klingt hier nichts, denn der frische Zugriff des Akilone-Quartetts macht auch diese edle Schwermut beweglich und zugänglich. Den zweiten Satz durchleuchtet das Ensemble mit einer Wärme, die sich dem Publikum unmittelbar mitteilt - nicht immer herrscht eine so konzentrierte Stille zwischen den Stücken.

Das sind beste Voraussetzungen für den zeitgenössischen Programmpunkt, der in der Geschichte des 2011 gegründeten Quatuor eine besondere Bedeutung hat. Denn sein Name ist genial. Wer wünscht sich nicht, durch Kunstanstrengung das Gefühl zu bekommen, durch die Lüfte zu segeln, dabei aber immer auch durch eine Schnur gesichert zu sein? So leitet auch Birgitta Bohn vom Verein "Klangwelt Klassik" ins Programm ein - mit dem Wunsch, durch den Musikgenuss zu kreativen Höhenflügen animiert zu werden und sich bei allem Ungemach der Gegenwart einmal schwerelos zu fühlen. Indes, der Name ist ein Zufallsfund. "Eine von uns hatte ein Italienisch-Wörterbuch in der Hand, hat es aufgeschlagen und das Wort für 'Drachen' gefunden", sagt die Geigerin Elise De-Bendelac. Das 'K' ersetzte das 'Qu' und fertig war der Name.

"Weibliche Streichquartette sind nicht die Regel, aber auch keine Ausnahme mehr"

Das, neben dem umwerfenden Spiel der vier Frauen, inspirierte die in Frankreich lebende chinesische Komponistin Xu Yi zu ihrem "Aquilone lontano", den das Quartett 2018 uraufführen durfte und nun nach Icking bringt. Es ist das einzige Werk einer Komponistin, das an diesem Abend erklingt, doch die Primaria Magdalena Geka hat schon Pläne: "Wir haben einen ganzen Stapel mit Stücken von Komponistinnen, vor allem des 19. Jahrhunderts und werden sicher das ein oder andere Juwel entdecken." Und was ist mit den Interpretinnen? "Wir sind in einer Phase des Übergangs. Weibliche Streichquartette sind nicht die Regel, aber auch keine Ausnahme mehr", so Geka. Eigentlich sei das für Musizierende ihrer Generation keine Frage. Beinahe wäre die Stelle, die sie, Geka, nun besetzt, mit einem Mann gefüllt worden.

Drei Sätze aphoristischer Kürze sind es, die Xu Yi für die Akilones geschrieben hat und die hier genau koordiniert aufgeführt werden. Präzise werden die Saiten getätschelt, geklopft, gerieben, gestreichelt, manchmal zum Schnalzen gebracht, doch alles liebevoll und mit einer klanglichen Sorgfalt, die ans Meditative grenzt. Erst der zweite mit "Tentazione" (Versuchung) überschriebene Satz bringt handfeste, beinahe gewalttätige Akkorde. Im Finale wird diese Energie umgewandelt in an- und abschwellende Sphärenklänge, die zum Schluss wie Wasserdampf verwehen. Verflüchtigung wird hier zum Strukturprinzip.

Für das Schlussstück in diesem bemerkenswerten Konzert gilt das nicht. Johannes Brahms' Streichquintett (Opus 111) sucht den großen wie den kleinen Klang, das Symphonische wie das kammermusikalisch Intime. Und es gelingt dem französischen Quartett auch hier, die Balance zu finden. Das lässt schnell vergessen, dass hin und wieder die Tongebung schwankt. Denn was sind ein paar schräge Noten, wenn man sie damit aufwiegt: mit einem kraftvoll aufgespielten Hauptwerk der Gattung, durchweg sanglich und mit unbedingtem Ausdruckswillen. Im wogenden ersten Thema des Kopfsatzes sammelt das Quatuor Akilone (unterstützt von Arianna Smith, die sonst im Quatuor Mona Bratsche spielt) an Klangmasse, um sich dann im Seitenthema bewusst zurückzunehmen. Vor Charme verflüssigt es sich geradezu. Den langsamen Satz interpretiert das Quartett als quasi improvisierten Trauermarsch. Hier kommt sein Talent zum Tragen, auch diese nach allen Regeln der Kunst aufgeschriebene Musik mit Spontaneität zum Leben zu erwecken. Das Finale wird dadurch zum hinreißenden Csárdás, zum lebendigen Kehraus einer feinen Tanzkapelle.

In der Tat, solche Konzerte schaffen es, für ein paar Momente die Gesetze der Physik zu beugen. Man fühlt sich leichter. Und bringt sich durch fleißiges Händeklatschen wieder in die Realität. Das dauert eine ganze Weile an: viel Applaus und Bravo-Rufe.

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