"Ickinger Frühling":Doppelt gewitzt

Lesezeit: 2 Min.

Der Prof und die Künstler: Oliver Wille (l.) mit dem Cuarteto Quiroga - Aitor Hevia, Cibrán Sierra, Josep Puchades und Helena Poggio. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Musik-Profesor Oliver Wille und das "Cuarteto Quiroga" eröffnen das Streichquartett-Festival mit einem so amüsanten wie anregenden Gesprächskonzert

Von Felicitas Amler, Icking

Der Mann hat Witz. Der eine wie der andere: Wenn der Musik-Professor Oliver Wille über den Komponisten Joseph Haydn (1732-1809) spricht, sprühen auf der Bühne Humor und Fantasie Funken. Wille, der an der Musikhochschule Hannover Kammermusik unterrichtet, hat am Samstagnachmittag gemeinsam mit dem Cuarteto Quiroga aus Madrid in einem Gesprächskonzert den "Ickinger Frühling" eröffnet. Das kleine und sehr feine Streichquartett-Festival des Vereins Klangwelt Klassik im Saal des Rainer-Maria-Rilke-Gymnasiums hätte kein schöneres Entree haben können. Die Musiker hatten eigens für den Anlass Haydns letzten vollständigen Zyklus, das Streichquartett op. 77/1 G-Dur, einstudiert. Doch bevor sie es in voller Länge darboten, begleiteten sie Willes Vortrag mit jeweils passenden Ausschnitten aus diesem und anderen Werken.

Der Musik-Professor, selbst ein erfolgreicher Geiger, der im Alter von 14 Jahren Mitgründer des Kuss-Quartetts war, spricht neben seiner Hauptbeschäftigung an der Hochschule gern auch mal in Techno-Clubs oder Lounges über Kammermusik, hat eine Gast-Professur in Birmingham und scheint überhaupt ein musikalischer Tausendsassa zu sein. In Icking hatte er das Publikum mit der eigenen Musik-Leidenschaft ratzfatz für sich und sein Thema gewonnen: die Widerlegung des Begriffs "Papa Haydn". Dass der Komponist kein gesetzter, behäbiger Vater war, sondern vielmehr ein Mann des Aufbruchs und der Erneuerung; dass er Erfindergeist mit Humor verband, unkonventionell und begeisternd agierte, das wurde bei Wille und den Quirogas wunderbar anschaulich.

Das kleine Seminar zeigte auch, wie mitreißend Begeisterung wirkt. Wille verstand es mit Leichtigkeit, einem Publikum aus Laien auch schwere Kost zu vermitteln. Musikwissenschaftliche Fachbegriffe wie "Passus duriusculus" (harter Gang; eine Kette von absteigenden Halbtönen über eine Quarte) oder "Medianten" (der Mittelton des Dreiklangs und der auf ihm errichtete Dreiklang) schienen in seinem Vortrag kurz auf, verschwanden aber mit der Bemerkung "Schublade" sofort wieder, denn: "Wir wollen nur darauf hören, was es mit uns anstellt."

Und was Haydns Musik nicht alles mit uns anstellt: Sie schickt uns auf einen Weg und holt uns wieder zurück (Wille: "Die Quinte öffnet, die Quarte schließt"); sie macht uns stutzen oder schmunzeln, packt uns dramatisch, hält uns wach und versetzt uns aufs Neue: "Fünf Quinten runter, und wir sind in einer andern Welt."

Der erste Satz des besprochenen Haydn-Streichquartetts beginnt wie ein Marsch, und Oliver Wille nutzt die Gelegenheit, um zu erklären, wie sehr Märsche in einem ganz anderen Stil als dem eines zackig-gedrillten Gangs einst in Mode waren. Anrührende Momente, wenn das Cuarteto Quiroga es vorführt: ein paar Takte aus dem "Marsch der Priester" in Mozarts "Zauberflöte", wenige Töne aus dem Trauermarsch in Beethovens "Eroica". Dann erklären der Referent und die Musiker in Wort und Ton, wie herrlich Haydn "instrumentales Singen" komponiert hat: "Es öffnet sich der Vorhang, und es kommt eine richtige Arie für Streichquartett" - hörbar gemacht an einem Ausschnitt aus dem "Lerchen-Quartett". Immer wieder bricht Wille den durchaus ernsthaften Vortrag mit Hinweisen auf Haydns Humor: "Das macht ihm Spaß, uns aus dem Takt zu bringen", und mit eigenen gewitzten Einfällen, etwa wenn er über eine Passage sagt: "Wie bei Schönberg, nur ein paar Jahre davor. Und tonal."

Am Ende hat sich das Publikum fast eineinhalb Stunden lang in die Musiktheorie entführen lassen, hat viel über die Originalität Haydns gelernt und schließlich noch das Urteil Goethes über den Komponisten erfahren, der "vielleicht zu überbieten, aber nicht zu übertreffen" sei. Und dann spielt das Cuarteto Quiroga das besprochene Werk mit derselben Spannung, Leidenschaft und beschwingten Leichtigkeit, mit der Wille es vorbereitet hat: ein herrlicher, anregender Nachmittag.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: