Süddeutsche Zeitung

Eskalation im Ickinger Wahlkampf:"Eine Morddrohung in Wildwestmanier"

Ickinger Parteien und Wahlgruppierungen verurteilen die Attacke auf Plakate einer Bürgermeisterkandidatin scharf. Das Kommissariat für Staatsschutz ermittelt.

Von Claudia Koestler

Die Polizei wertet den Angriff auf Wahlplakate von Cornelia Zechmeister, bei der das Konterfei der Bürgermeisterkandidatin der Parteifreien Wählergemeinschaft (PWG) von bislang Unbekannten an Ickinger Maibäumen kopfüber aufgehängt und mit einem schwarzen Kreuz beschmiert wurde, als politische Straftat. Deshalb hat das Kommissariat für Staatsschutz die Ermittlungen übernommen. Nach Angaben der Beamten wurden noch am Montag weitere Spuren gesichert.

Derweil ziehen Parteien und Gruppierungen der Isartalgemeinde Konsequenzen aus dem Vorfall: Bei einer Krisensitzung aller Gruppierungen am Montagabend besprachen sie das weitere Vorgehen. Sowohl die Unabhängige Bürgerliste (UBI) als auch die PWG haben bereits die Entfernung ihrer Wahlplakate angekündigt, um sich mit Zechmeister solidarisch zu erklären. PWG, UBI und CSU reagierten zudem mit offenen Briefen.

"Mit großem Entsetzen" habe der CSU Ortsverband Icking die Attacke zur Kenntnis genommen, schreibt der Ortsvorsitzende Christoph Preuss. "Für uns stellt diese anonyme nächtliche Aktion einen gezielten Angriff auf unser demokratisches Grundverständnis dar, das wir zutiefst verurteilen!" Die Art, wie die Plakate beschmiert und aufgehängt wurden, komme "einer Morddrohung in Wildwestmanier" gleich. Dagegen müssten sich alle politischen Gruppierungen zur Wehr setzen. "Der materielle Schaden ist das eine, die Bedrohung, die Angst im Rahmen politischer Werbung hinterlässt bei weitem größere Wunden. Gerade deshalb müssen wir alle zusammenstehen und uns gegen diese Radikalen zur Wehr setzen. Eine Solidaritätsbekundung alleine reicht nicht aus, hier müssen gemeinsame Taten aller Gruppierungen folgen", schreibt Preuss.

Auch die UBI zeigt sich "zutiefst erschüttert über diesen Angriff, der die gesamte Kommunalpolitik in unserer Gemeinde trifft", wie Georg Linsinger erklärt. Sie verurteilen auch die mutwilligen Zerstörungen von SPD- und Grünen-Wahlplakaten. "Ein solches Ausmaß ist für uns Ickinger bisher unvorstellbar gewesen. Das war ein geplanter Angriff auf uns alle hier." Dagegen wollen die UBI-Mitglieder, Vorstand und Bürgermeisterkandidatin Verena Reithmann ein deutliches Zeichen setzen und alle ihre Ständer mit Wahlplakaten auf Ickinger Gemeindegebiet entfernen. "Wir hoffen als Reaktion aller Bürger Ickings auf eine hohe Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl am 15. März als starkes demokratisches Signal gegen eine solche zutiefst undemokratische Tat." Beatrice Wagner, Ortsvorsitzende der SPD und als Bürgermeisterkandidatin derzeit selbst Opfer von Vandalismus gegenüber ihren Plakaten, zeigt sich ebenfalls schockiert von der "ungeheuren Symbolkraft" der Attacken. Sie betont den Zusammenhalt, den es nun unter den demokratischen Gruppierungen brauche, um klar zu zeigen, dass hier intolerable Grenzen überschritten wurden.

Die PWG hat derweil einen offenen Brief an die Einwohner Ickings verfasst. Das Schreiben im Wortlaut: "Demokratie, Meinungsvielfalt und Toleranz gehören zu den höchsten Grundwerten unserer Gesellschaft. Sie sind unverzichtbare Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Bei den in Icking anstehenden Kommunalwahlen am 15. März 2020 bewerben sich vier Bürgermeisterkandidatinnen und sechs Parteien/Wählervereinigungen um Ihre Stimme. Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger engagieren sich und bringen ihre Ideen aktiv ein. Diese hohe Beteiligung ist ein starkes Zeichen für eine lebendige Demokratie! Wir leben jedoch auch in Zeiten, in denen der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet und der Bürgermeister von Kamp-Lintfort, Christoph Landscheidt, derart bedroht wird, dass er zur Selbstverteidigung einen Waffenschein beantragt. Einziges "Vergehen" von beiden: ihre politischen Aktivitäten für unsere Demokratie, ohne jegliche radikale Tendenzen und fest verwurzelt im Gedankengut unseres Grundgesetzes. Kriminelles und intolerantes Verhaltens erfahren wir traurigerweise auch wiederholt in unserer eigenen Gemeinde. "Höhepunkte" der letzten Wochen waren die Drohung gegen eine Bürgerin, die sich zur Vermietung eines geeigneten Grundstücks für Mobilfunkmasten bereit erklärt hatte, sowie zerstörte Wahlplakate der Bürgermeisterkandidatinnen Dr. Beatrice Wagner und Laura von Beckerath-Leismüller. Nun wurde auch unsere PWG-Bürgermeisterkandidatin Cornelia Zechmeister Opfer solch sträflicher Aktivitäten! Sämtliche Plakate für die Bürgermeisterwahl wurden nachts entwendet. Damit nicht genug, fanden sich drei dieser Plakate am nächsten Tag kopfüber aufgehängt und mit Kreuzen versehen an den Maibäumen in Dorfen, Icking und Irschenhausen wieder. Weitere Plakate wurden in der Nähe ihres Wohnorts in unserer Nachbargemeinde Pullach aufgehängt. Soll so unser gemeindliches Zusammenleben in Icking aussehen? Müssen diejenigen, die sich engagieren, Angst haben vor Andersdenkenden? Und spielen wir durch Wegsehen denjenigen in die Hände, die ihre (oft radikale) Meinung notfalls durch ein Klima der Angst, Bedrohung und Gewalt umzusetzen versuchen? Erich Kästner sagte: 'An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.'

Unser Appell: Lassen Sie es nicht zu, dass essenzielle Grundrechte wie Meinungsfreiheit oder die Unantastbarkeit der Menschenwürde schleichend ausgehöhlt werden! Beteiligen Sie sich an unserer Demokratie - gehen Sie zur Wahl, beschäftigen Sie sich mit den Programmen und bringen Sie sich aktiv ein! Diskutieren Sie - mit Vertretern der Parteien/Wählervereinigungen, aber auch mit Freunden, Bekannten und Nachbarn! Vielleicht sind die schändlichen Aktivitäten (hoffentlich) einzelner weniger ein guter Anlass für alle Ickingerinnen und Ickinger, den Blick wieder auf das Wesentliche zu richten: gemeinsam in fairer und respektvoller Diskussion darum zu ringen, was das Beste für unsere Gemeinde ist! Letztlich spielen wir alle im selben Team: 'Team Icking'."

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Quelle:
SZ vom 25.02.2020
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