Süddeutsche Zeitung

Icking:Spiel mit der Abwesenheit

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Neun Absolventinnen und Absolventen der Münchner Akademie haben sich ein Vierteljahr mit einer leer stehenden Villa in Dorfen auseinandergesetzt. Das Ergebnis ist ein spannungsreiches Gesamtkunstwerk

Von Paul Schäufele, Icking

Vermutlich hätte auch Ludwig Erhard Gefallen gefunden an dieser Villa im Ickinger Ortsteil Dorfen. Viel Weiß, viel Glas, trotz Flachdach und Klotzbauweise ein elegantes Gebäude, das auch zum Kanzlerbungalow getaugt hätte. Doch nicht nur das Sechzigerjahre-Schmuckstück kann derzeit besichtigt werden. Es geht vor allem darum, was im Innern passiert. Unter dem Titel "The Hammer and the Dance" haben neun Absolventinnen und Absolventen der Akademie der Bildenden Künste München das Haus als Leinwand genommen, als Malfläche, als Arbeitsmaterial und als Ausstellungsraum.

Die Bauten der Sechzigerjahre haben es ja nicht einfach. Vermutlich wäre es keine Übertreibung, diese Zeit das architekturgeschichtlich meistgehasste Nachkriegsjahrzehnt zu nennen. Der spielerischen Leichtigkeit der Fünfzigerjahre wich die Tendenz zum Massiven, Klobigen, das oft einfach in den urbanen Raum hineingeworfen wurde und heute gerne auch ebenso einfach wieder abgerissen wird. In Icking allerdings passt sich die Quader-Burg in die ansteigende Landschaft ein. Die Fassaden sind geöffnet, hier soll Luft hinein und Licht - ein Lob der Fensterfront.

Doch als vor drei Monaten die Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler zum ersten Mal in das Haus kam, war der Ort eher dunkel, unheimlich und vereinzelt zum Unterschlupf für kleinere Tiere geworden. Die Idee, hier eine Ausstellung zu machen, hat Johannes Thum, einem der Initiatoren, dennoch zugesagt. Zumal der Gruppe quasi absolute Freiheit im Umgang mit dem Haus gegeben wurde, schließlich wird es nach Ende der Ausstellung kernsaniert - von dem Ickinger Architekten Wieland Schorer, der es als Eigentümer den Akademisten das Haus als Zwischennutzung zur Verfügung gestellt hat.

Der Titel deutet es schon an: Die Bespielung des Hauses pendelt zwischen geradezu brutalen, an die Substanz gehenden Eingriffen und vorsichtigeren, zarteren Arbeiten, die auf die Umgebung reagieren, ohne sie verändern zu wollen. Dem Keil, den Thum in eine der Wände getrieben hat, steht so ein Gemälde von Josef Köstlbacher gegenüber, das nur vordergründig Farbenfreude ins Kellergeschoss bringt. Auf eine schimmernde Arbeit mit handförmigen Gravuren auf Aluminiumklingen von Lilian Robl antwortet Jakob Gilg mit Füßen in einem geschwärzten Raum. Die Bögen, die Lukas Hoffmann ins Treppenhaus eingebaut hat, sind fixiert, im Gegensatz zu den Plastiken, die Vincent Vandaele im Wohnzimmer ausgebreitet hat, oder zu Gilgs Aquarellen.

In diesem Haus kreuzen sich Beziehungen, obwohl die Kunstwerke weitgehend unabhängig voneinander entstanden sind. Immer wieder verweist ein Objekt auf das andere, erinnert ein Kunstwerk an eines im anderen Stock. In der Garderobe lehnt nachlässig eine Axt; die dazugehörige Puppenleiche hat Lukas Hoffmann im Nebenzimmer platziert, weitere Körperteile liegen im Souterrain. Man lasse sich nicht von der Blümchentapete ablenken. Hier geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Ganz habe sie dieses Gefühl des Unheimlichen nicht verlassen, sagt Thum, auch nach dreimonatiger Arbeit im Haus. In einigen Werken schimmert es durch, dieses unwirkliche Gefühl, nicht zu wissen, was hier vorher einmal passiert ist.

Ganz bewusst haben einige Künstler versucht, Spuren der Hausgeschichte zu integrieren, Zufallsfunde wie alte Zeitungen und Geldscheine, Metallstangen, Teile von Kerzenständern und eine Tonente, die Iris Böhnlein in ein schamanisches Fessel-Spiel eingebunden hat. Arbeiten im Außenbereich des Grundstücks antworten auf die Installation. Die Dämonen, die hier beschworen werden, können in Video-Installationen gesichtet werden, in einem der Bäder oder der Küche, dem Zentrum von Heimlichkeit in diesem spannungsreichen Gesamtkunstwerk.

Überhaupt lässt sich die gesamte Schau lesen als Variationen über den Wortstamm "Heim". Das Unheimliche, Morbide trifft auf Geheimnisse, auf Leerstellen im Raum, unverputzte Böden, Schatten an Wänden von längst abgehängten Bildern. Welcher Ort wäre besser geeignet gewesen, das auszustellen, als dieser, der einmal jemands Heim gewesen ist? Immer wieder wird auch die architektonische Gegebenheit zum Protagonisten der Szene, etwa wenn Thum dem prominenten Kamin im Wohnzimmer einen Doppelgänger aus Bauschaum vorsetzt oder alte Linoleum-Kacheln mauerhoch liegen. Vandaeles Video-Installation zeigt das schockierende Erlebnis eines Einbruchs Fremder im Eigenheim. Als ironischer Kommentar wirkt das Zelt, das den Besucher als erstes Ausstellungsstück begrüßt. Anne Seiler hat damit ein Heim im Heim geschaffen, mit dem man sich auch schmücken kann - auf der Außenseite sind unübersehbar die Namen von Luxus-Modemarken angebracht. Eine nicht weniger ironische Umkehrung des Verhältnisses von Geheimnis und Öffentlichkeit zeigt Paulina Noltes großformatige Zeichnung. Lustvoll wird hier ein Gesäß ausgepeitscht, was jeder sehen kann, der am Fenster vorbeiläuft.

In jedem Winkel entdeckt man etwas, ein auf den ersten Blick unscheinbares Objekt oder ein Loch in einem Schrank. Da ist es nur schade, dass die Ausstellung am Sonntag, 18. Oktober, ausziehen wird. Zu sehen gäbe es genug, dem Beziehungsreichtum sind hier keine Grenzen gesetzt.

The Hammer and the Dance, Meilenberger Straße 16, Icking, bis 18. Oktober, Freitag bis Sonntag, 13 bis 19 Uhr

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Quelle:
SZ vom 12.10.2020
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