Süddeutsche Zeitung

Icking:Sozialkunde im Paradies

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Am letzten Abend wird es bei der "Gesellschaft unterm Apfelbaum" noch mal so richtig idyllisch - und mit Ecco Meineke auch lehrreich-unterhaltsam.

Von Stephanie Schwaderer, Icking

Lobhudelei ist einem Freigeist wie Ecco Meineke fremd. Deshalb bedeutet es schon etwas, wenn der Musiker, Schauspieler und Kabarettist bei der "Gesellschaft unterm Apfelbaum" das Wort "paradiesisch" verwendet. "Vielen Dank", sagt er an Gastgeberin Barbara Reimold gerichtet, "ich habe noch nie an einem so schönen Platz gespielt." Die 100 Leute, die ihm erwartungsvoll unter einem runden weißen Zeltdach gegenübersitzen, bestätigen dies mit einem Lächeln oder Nicken - hinter Meinekes Rücken hat sich die Alpenkette in einen rosa Schleier gehüllt. Am Himmel steht die Venus.

Ein versöhnlicher Abschluss - die meisten Vorstellungen waren schwach besucht

Es ist die Abschlussvorstellung des Theatersommers 2016, und mit Meinekes Programm "Liberté! Egalité! Humbatäterätätä!" beginnt der zweite Akt dieses Abends. Der erste Akt gehört - wenn alles klappt - den Gästen unterm Apfelbaum. Und an diesem Sonntag ist alles so, wie es sein muss: Der Sonnenuntergang und die duftenden Wiesen, die watschelnden Gänse und das Klirren von Gläsern und Besteck an den weiß gedeckten Tischen, plaudernde Paare, die durch den Garten schlendern oder auf der verwunschenen Terrasse noch eine Kleinigkeit essen. "Ein versöhnlicher Abschluss", sagt Peter Spielbauer, Kabarettist und Untermieter an der Pfaffenleite 16. Die meisten der neun Vorstellungen seien heuer nur schwach besucht gewesen, eine musste wegen Regens abgesagt werden.

Zwischen Küche und Ausschank begrüßt Barbara Reimold neu eintreffende Gäste. Die zierliche Goldschmiedemeisterin, "ein Quecksilberwesen" (Spielbauer), versteht das Haus, das ihr Großvater gebaut hat, als Auftrag. Deshalb hat sie 2008 die "Gesellschaft unterm Apfelbaum" gegründet. Es sei ein Glück, hier leben zu dürfen, sagt sie. "Ich sehe es als meine Verantwortung an, das weiterzugeben." Dass heuer vielfach die Gäste ausgeblieben sind, macht sie ein bisschen ratlos. "Ist zu viel geboten? Stimmt der Zeitpunkt nicht?" Einmal seien trotz guten Wetters nur zehn Leute erschienen. "Das gab es noch nie!" Viel Zeit zum Grübeln bleibt ihr nicht, weil schon wieder Freunde eintreffen, die ihr die Hand schütteln wollen. Und über die Verluste, die ihr das privat finanzierte Festival heuer bescheren wird, mag sie an diesem Abend ohnehin nicht nachdenken. "Ich möchte nicht aufgeben", sagt sie. "Die Leute sind immer so begeistert."

Meineke arbeitet sich schnell von Athen zu NSU und NSA vor

Tatsächlich ist auch das Irschenhauser Publikum speziell: gehobenes Bildungsbürgertum, diskussionsfreudig und politisch bewandert, wie Ecco Meineke an diesem Abend schnell herausfindet. Seine drei "Basic-Fragen" (Wie viele Mitgliedsländer hat derzeit die EU? Wie heißt der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt? Und wie alt ist Angela Merkel?) werden zügig beantwortet, so dass der musische Intellektuelle ("Ich spiele grundsätzlich nur vor intelligentem Publikum") rasch in die Vollen gehen und seine Geschichte der Demokratie aufdröseln kann.

Die beginnt natürlich in Athen, streift Römer und Osmanen, Otto I. und isländische Ur-Demokraten, schwenkt dank Meinekes Alter Ego, dem gebissknackenden Herrn Gehlenkirch, gerne mal zu den Nationalsozialisten über und landet immer wieder im Hier und Jetzt, bei NSU und NSA. Ebenso scharf wie manche Analyse ("Hätte es in der DDR schon Facebook gegeben, es hätte keine Stasi gebraucht") ist sein Appell an den Freiheitsgeist: "Wenn wir uns alle ohne Widerspruch komplett überwachen lassen, was ist übrig von dem, was über Jahrhunderte mit viel Blut erkämpft wurde?"

Meineke ist es ernst, das merkt man. Dennoch streut er immer wieder Comedy-Elemente ein und wortwitzelt etwa vom "Plato-Schuh", der wie die Philosophie im alten Athen erfunden worden sei. Ob das für sein Niveau nicht etwas zu flach ist? Diese Frage wird am Sonntag nicht demokratisch entschieden. Die große Mehrheit harrt jedenfalls trotz sinkender Temperaturen vergnügt im Theaterzelt aus, wickelt sich in Schals und Decken und spendet dem Künstler großzügig Applaus. Der revanchiert sich mit zwei wunderbaren Liedern und einem Kompliment. "Ich fand das toll", sagt er. Schon der Name "Gesellschaft unterm Apfelbaum" spreche für sich: "Denn die Gesellschaft, das sind wir nun mal."

Um 23 Uhr wölbt sich ein glasklarer Sternenhimmel überm Apfelbaum. Die einen zieht es nach Hause in die Wärme. Die anderen gönnen sich noch einen dritten Akt: Nachbesprechung bei einem Glas Wein. Und zwei Frauen verabschieden sich mit den Worten: "Dann bis nächstes Jahr!"

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Quelle:
SZ vom 09.08.2016
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