Icking:Perfektes Zusammenspiel

Lesezeit: 3 Min.

Spielt am 5. Juni mit Nino Gvetadze (Klavier) im Florian-Stadl: das Goldmund Quartett. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das "Goldmund Quartett" hat eine neue Stufe des Musizierens erklommen

Von Paul Schäufele

Icking - Niemand kann ihnen vorwerfen, sie hätten ihre Versprechen nicht gehalten. Die vier Musiker des Goldmund Quartetts gelten seit ihrer Gründung vor gut zehn Jahren als 'vielversprechendes' Ensemble. Vieles haben sie eingelöst, haben sich in der überaus reichen Quartettlandschaft fest etabliert und zeigen Konzert um Konzert, was das Streichquartett als Gattung ausmacht: Individualität und Experimentierfreude. In ihrem Programm warten Florian Schlötz, Pinchas Adt, Christoph Vandory und Raphael Paratore mit immer neuen Perspektiven und einer Sensibilität auf, die dazu nötig ist, in jedem Opus das Charakteristische zu finden - was das Ensemble wieder einmal bei einem Auftritt im Rainer-Maria-Rilke-Gymnasium in Icking unter Beweis stellte.

In Joseph Haydns Opus 33 Nummer 1, dem ersten der sogenannten Russischen Quartette, ist das zunächst nicht so einfach. Das 1781 uraufgeführte Werk changiert zwischen Tonarten, ehe es sich vorläufig in h-Moll einrichtet. Die Fantasie, mit der Haydn arbeitet, die Brillanz, mit der er am thematischen Material bastelt, ließ diese Gruppe von Quartetten zum Klassiker der Klassik werden. Mit geistreicher Eleganz und formvollendeter Konversationslust macht man Musik, das ist die Freude des aufgeklärten Absolutismus. Die vier Spieler passen sich perfekt in diese Stillage ein, machen jedoch auch deutlich, dass Musik der Ort war, an dem man die regelhafte höfische Ethik kurzzeitig unterlaufen konnte. Nicht umsonst hat Haydn in diesen Quartetten an die Stelle, an der sonst der Hoftanz des Menuetts steht, die Neuerfindung 'Scherzo' gesetzt. Und im Finale kann man für eine Schrecksekunde denken, Primarius Schlötz habe sich versehentlich Bartók aufs Pult gestellt. So heiß klingt das ungarische Thema, auf dem der Kehraus basiert.

Dabei bleibt das Quartett immer im Rahmen, den das Stück einfordert. Goethe sagt über die Gattung: "Man hört vier vernünftige Leute sich unter einander unterhalten." Aber Goethe kannte Fazıl Say nicht, den hoch originellen Pianisten, der sich auch längst als hoch origineller Komponist einen Namen gemacht hat. "Divorce" heißt sein Streichquartett von 2011, mit dem sich Say in eine Tradition autobiografischen Komponierens in der Kammermusik eingereiht hat: Smetana vertonte seinen Tinnitus, Janáček seine Liebesbriefe. Doch niemand vorher hat so schonungslos den Prozess der Trennung in Musik gefasst, sei es die Scheidung der Eltern oder das eigene Scheitern der Ehe. Aus dem vernünftigen Gespräch wird hier ein aggressives Gezanke, ein Schreien und Heulen. Konzentriert vermisst das Goldmund Quartett diese Affektlagen, zeigt mit unwirklichem Sul-ponticello-Spiel und zornigem Saitenschnalzen, wie vielfältig Trennungsschmerz klingen kann. Doch am beklemmendsten sind die Stellen, an denen die Instrumente in klangvollem Unisono zusammenfinden. Das bedeutet ein letztes Einverständnis: Man versteht sich nicht mehr. Dafür gibt es verdienten Vor-Pausen-Applaus.

Das Goldmund Quartett ist in der Region nicht unbekannt. Die Musiker spielten schon oft hier, im Anschluss an den Erfolg beim ARD-Wettbewerb 2016, dem viele Preise folgen sollten (zuletzt im März der hoc dotierte Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung). Was macht sie unverwechselbar? Das ist nicht so einfach zu beantworten, doch darin liegt auch schon eine Eigenschaft - die Fähigkeit, sich chamäleonhaft anzuverwandeln, sich einzufühlen in die Werke weit auseinanderliegender Epochen, dabei unerschrocken und neugierig diese zu erkunden.

So machen sich die vier auf in die düstere Seelenlandschaft Schuberts, die sich in seinem Streichquartett Nummer 14 d-Moll ausbreitet. Dort gelten die klassischen Anstandsregeln nicht mehr. Verstörung prägen das Klangbild. Umso beunruhigender wirkt es, wenn in der Moll-Düsternis gelegentlich ein charmantes Dur-Thema Einspruch erheben möchte. In der Interpretation des Goldmund Quartetts wird auch das eingebunden in den strengen, herben Zugang zum Werk.

Nur im zweiten Satz, den Variationen über das von Schubert vertonte Lied "Der Tod und das Mädchen" nach einem Text von Matthias Claudius, gelingt den vier Streichern das Kunststück, gerade in den vordergründig heiteren Phrasen das Existenzielle des Stücks zu zeigen. Hier wird hörbar, dass sich das junge Quartett auf der Schwelle zu einer neuen Stufe des gemeinsamen Musizierens befindet, an der nicht mehr alles perfekt organisiert sein muss, sondern sich aus dem Zusammenspiel im Moment selbst ergibt: Die Dinge geschehen lassen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Auch nicht in den wilden Ton-Kaskaden des Finales, das die versöhnliche Botschaft des Claudius-Lieds brüsk zurückweist. Nicht Ruhe wartet am Ende, sondern verzweifelte Hektik.

Und ebenfalls begeisterte Bravo-Rufe des Ickinger Publikums bei diesem Klangkunst-Klassik-Konzert, die das Goldmund Quartett mit einem musikalischen Blumenstrauß pariert. Aber bei der Melancholie von Giacomo Puccinis "Crisantemi" bleibt es nicht. Sepp Rubenbergers "Ochsenfelder Schottisch" ist der Rausschmeißer, ein witziges Schrammel-Schmankerl.

© SZ vom 26.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: