Konzertkritik:Tschechische Träume und Albträume

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Mehr als nur Ersatz: das Bennewitz-Quartett in Icking. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Bennewitz-Quartett aus Prag spielt im letzten Konzert 2024 der Ickinger „Klangwelt Klassik“ vier letzte Streicher-Werke und erzeugt eine ganze Palette an Emotionen.

Von Friedrich-Karl Bruhns, Icking

Allein schon der rote Faden macht Lust auf das Konzert: vier letzte Streichquartette. Von drei tschechischen Komponisten, und geografisch kommt auch Haydn ganz aus der Nähe. Um es vorwegzunehmen: Es wurde ein sehr intensiver, teils erschütternder Abend, beglückend gespielt und mit zwei spritzigen Zugaben mehr als versöhnlich endend.

Eigentlich hätte das französische Quatuor Confluence („Zusammenfluss“) nach Icking kommen sollen, nur hatte sich das Ensemble leider einige Zeit nach der Einladung aufgelöst. Die „Klangwelt Klassik“ konnte stattdessen das vielfach ausgezeichnete Prager Bennewitz-Quartett holen – und das war wirklich alles andere als nur Ersatz! Eben deshalb sind die Musiker Teil des Projekts „Czech Dreams“ unter der Schirmherrschaft von Sir Simon Rattle und seiner Frau, der Mezzosopranistin Magdalena Kožená, das seit 20 Jahren im europäischen Ausland für tschechische Musik und Künstler wirbt. Dazu dokumentiert ein Projektteam regelmäßig ausgewählte Konzerte herausragender einheimischer Musiker in Bild und Ton, vor allem außerhalb der Musikmetropolen. In Deutschland kommt heuer neben der Stuttgarter Liederhalle auch Icking dazu. „Czech Dreams“ begleitete das Bennewitz-Quartett am 14. Dezember in den Rainer-Maria-Rilke-Konzertsaal; das Ergebnis wird noch vor Weihnachten auf den Social-Media-Kanälen des Projekts zu sehen sein.

Kraftvoller Beginn mit Haydn

Begonnen haben Bennewitz mit Joseph Haydn und seinem op. 77 Nr. 2 in F-Dur. Mit wunderbar feinem Ton spielen sie das gut gelaunte Hauptthema, aus dem Haydn den ganzen Satz zwingend entwickelt. Vor allem die markanten auftaktigen Tonwiederholungen sind ständig präsent. Im Scherzo-Menuett verschleiert Haydn den Dreivierteltakt durch ein überlagerndes Zweitaktthema, alles ist Wirbel in diesem böhmischen Zwiefachen. Nach einem eigenwilligen Variationssatz beschließt das energiegeladene Finale kraftvoll das Werk.

„Intime Briefe“ nannte Leoš Janáček sein zweites Streichquartett, mit dem er nach vielen Jahren seine große „rein geistige“ Liebe zu Kamila Stösslová offenbarte. Sie war 38 Jahre jünger als er und war bis zu seinem Tod die ferne Geliebte, vor allem aber seine Inspirationsquelle, obwohl sie lange Zeit auf Abstand blieb und sich für seine Musik wenig interessierte. Jeder Satz zeichnet eine andere Facette von ihr, so erklärte er dieses Quartett in einem seiner unzähligen schwärmerischen Briefe. Janáčeks unverkennbare, ganz eigene Tonsprache fordert die verschiedensten Spieltechniken, die die Künstler in blindem Vertrauen aufeinander atemberaubend präzise musizierten. Die Farbe des Ensembleklangs changierte dabei ständig, blieb aber bei aller Kompaktheit immer transparent.

Schriller Dauerton und Stimmungsschwankungen

Der entscheidende Moment in Bedřich Smetanas erstem Streichquartett „Aus meinem Leben“ ist ein schrill hereinbrechender Dauerton in höchster Lage, für seine beginnende Taubheit. Als er sein zweites und letztes Quartett (in d-Moll) schrieb, war er inzwischen vollkommen taub geworden. Das selten aufgeführte Werk ist ein Abbild seiner tiefen Zerrissenheit zwischen Verzweiflung und trotziger Auflehnung gegen das Schicksal. Gleich zu Beginn zitiert Smetana Motive aus dem ersten Quartett. Idyllische Momente verdüstern sich aber unmittelbar, Pausen zerstückeln den Satz. Ein eher schwerfälliger Tanz ist der unglaubhafte Versuch, so etwas wie Heiterkeit vorzutäuschen. Die abrupten Stimmungsschwankungen ziehen sich durch bis zum grimmigen, virtuos gespielten Finale – „Rastlosigkeit einer aus dem Gleichgewicht geratenen Komponistenseele“, so die Musikwissenschaftlerin Carolin Krahn.

Fast noch tieferen Eindruck hinterließ das zweite Werk vor der Pause. Viktor Ullmann ist mit Pavel Haas und Hans Krasa einer der wichtigsten „Theresienstädter Komponisten“, die nach der Deportation in das Konzentrationslager innerhalb von circa zwei Jahren noch bedeutende Werke schaffen und mit dort inhaftierten Musikern sogar aufführen konnten. Dieses Vorzeigeprojekt der NS-Propaganda war ein perfides Blendwerk, um der Welt „blühende kulturelle Freiheit in den Ghettos“ vorzugaukeln. Die brutale Realität: Mit anderen Häftlingen wurden die drei genannten Komponisten im Oktober 1944 nach Auschwitz gebracht und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

Ullmanns drittes Streichquartett – die beiden anderen sind verschollen – ist einsätzig, aber analog zu einer Satzstruktur gegliedert. Deutlich hört man der Einleitung Ullmanns Herkunft von der zweiten Wiener Schule an. So gallig, wie Bennewitz das folgende Presto spielen, ist es auch gemeint, den Namen „Scherzo“ verdient es bestenfalls ironisch. Emotionaler Höhepunkt ist das lange, klagende Largo, das in der Bratsche beginnt und von einem Instrument nach dem anderen aufgenommen wird. Diese albtraumhafte Stimmung nehmen die vier in den bewegteren Schlussteil mit, ehe das Werk mit grimmiger Entschlossenheit in Dur endet. Dem begeisterten Publikum dankte das Bennewitz-Quartett mit Spielwitz pur bei zweien der „Fünf Stücke“ von Erwin Schulhoff.

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