Unter den Eigentümern der Sommerfrische-Villen an den Seen im Oberland war es um die Jahrhundertwende vor und nach 1900 Mode, Gärten mit exotischen Bäumen und Sträuchern zu bestücken. Wer viel und fern reiste, ließ etwas importieren, und konnte damit selbstverständlich auch zeigen, was er sich leisten konnte. Vor allem aber haben und hatten Bäume in vielen Weltreligionen und Kulten eine symbolische Bedeutung. „Bäume sind archetypische Symbole, stehen für Vertrauen und Beständigkeit“, sagt Pater Karl Geißinger vom Kloster Benediktbeuern. Wer länger mit dem Mitgründer des Zentrums für Umwelt und Kultur (ZUK) spricht, erfährt vieles über die Bedeutungsebenen von Pflanzen in der Mystik des Mittelalters und den christlichen Traditionen.
Anlass, um einmal beispielhaft nachzuforschen, wo im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen exotische Bäume und Gewächse zu finden sind – und auf Spurensuche zu gehen, warum gerade solche Exemplare gepflanzt worden sein könnten.
Kloster Benediktbeuern
Zu einem Klosterinnenhof gehören vier an dessen Längsseiten und Durchgängen gepflanzte Bäume. Im Idealbild rahmen diese einen von Rosenbeeten umgebenen Brunnen ein, erklärt Pater Geißinger. Den Benediktinern – die Salesianer Don Boscos erwarben erst 1930 das Kloster – sei der Wert der Gastfreundschaft wichtig gewesen. Das symbolisiere die Rose, während der Brunnen für die Quelle des Glaubens und der Wissenschaft stehe. Häufig an den Gartenmauern platzierte Eichen und Linden symbolisierten etwa die Treue zum Orden und die Versuchung des leichten Lebens, der Genüsse, so Geißinger.
Was das mit exotischen Bäumen zu tun hat? Einer der Bäume im Benediktbeurer Klosterinnenhof ist ein sogenannter Tulpenahorn oder Tulpenbaum. Der ursprünglich aus Nordamerika stammende Laubbaum – Liriodendron tulpifera – kann mehr als 40 Meter hoch werden. Seine gelborangen Blüten öffnen sich erst becher-, später glockenförmig nach oben. Allerdings sind die ersten Blüten frühestens nach 15 Jahren zu erwarten. In den Vereinigten Staaten wird das Holz für Möbel, Fenster und Türen verarbeitet oder zur Papierherstellung verwendet. In Europa verbreitete sich der Tulpenahorn dagegen vor allem aus Ästhetikgründen als Zierbaum etwa in herrschaftlichen Parkanlagen.
Das Exemplar in Benediktbeuern könnte 150 bis 200 Jahre alt sein. Zwar sei der Garten der Klosteranlage nach der Säkularisation verwildert gewesen, sagt Pater Geißinger. Doch die 1830 angesiedelten Salesianer hätten großen Wert auf Ästhetik gelegt. „Sie haben versucht, an die benediktinische Vergangenheit als Bildungsstätte anzuknüpfen“, sagt er. Genauso könne aber der letzte Abt des 1803 aufgelösten Klosters den Baum gepflanzt haben. „Er war Botaniker, das könnte passen“, meint Geißinger.
Vier Bäume, vier Himmelsrichtungen
In Benediktbeuern steht der Tulpenbaum im Norden. Was damit zu tun haben könnte, dass diese Bäume in Skandinavien beliebt waren. Eine vor allem in französischen Parks der Rokokozeit verbreitete Blutbuche stehe im Westen. Eine inzwischen durch einen Gingko ersetzte Birke stand im Osten. Eine Robinie wächst im Süden. „Das könnte für den Mittelmeerraum stehen“, sagt Geißinger. Letztendlich fährt der Pater aber fort, dass nur zu spekulieren sei, ob die vier Bäume für die vier Himmelsrichtungen oder die vor der Entdeckung Australiens vier bekannten Erdteile stehe. „Das ist alles fraglich.“
Schullandheim Ambach
Wer im Herbst durch das südliche Ambach am Ostufer des Starnberger Sees kommt, kann die nahende Adventszeit erahnen oder besser gesagt: riechen. Zumindest an einem Ort duftet es nach weihnachtlichem Lebkuchen. Verantwortlich dafür ist ein japanischer Lebkuchenbaum, der auf einem Teilgelände des Ambacher Schullandheims der Stadt München direkt an der Straße steht. Davon und von den vielen anderen exotischen Gewächsen, die es am Standort zu entdecken gibt, ist Ines Scholz begeistert. „Im Herbst verfärbt sich der Lebkuchenbaum goldgelb“, sagt die Garten- und Landschaftsbaumeisterin. „Das könnte auch gut zum Indian Summer in Nordamerika passen.“
Ähnlich farbkräftig gelb-rötlich zeigt sich der Taschentuchbaum direkt daneben. Das ursprünglich aus China stammende Exemplar heißt so, weil die weißen Hochblätter zur Blütezeit im Mai und Juni an Taschentücher erinnern. Charakteristisch sind die ei- bis herzförmigen Blätter mit der fahlgrünen Unterseite. Wie sich Laubbäume wie die zwei exotischen Exemplare im Jahreszeitenwechsel verändern, findet Scholz spannend. Dem Wachsen lasse sich von der Blüte, dem Austrieb bis zur Herbstfärbung direkt zusehen, sagt sie. „Mit Laubbäumen können wir so viel machen.“ Ein Standort werde lebenswerter, wenn ein Exemplar im Sommer kühlenden Schatten werfe.
Allerdings fürchtet der in Münsing beheimatete Ostuferschutzverband, dass der Lebkuchen- und der Taschentuchbaum gefällt werden könnten, wenn im Schullandheimgelände um- oder neu gebaut wird. Das schließt das zuständige Referat für Bildung und Sport der Stadt München aus. Dies sei nicht geplant, so die Pressestelle. „Der Baumbestand des Schullandheim Ambach gilt als schützenswert.“
Genauso wie Scholz selbst dürfte auch einer ihrer Vorgänger fasziniert gewesen sein, dass er die beiden außergewöhnlichen Bäume pflanzte. Davon berichtet die Garten- und Landschaftsbaumeisterin, die seit 2017 für die Stadt München tätig ist und seit 2020 unter anderem auch das Gelände des Schullandheims betreut. Wer ihr und Claudia Kanzler – Hausmeisterin am Standort – durch die Gartenanlagen folgt, stößt schnell auf weitere exotische Exemplare. Kerzengerade ragt etwa ein nordamerikanischer Mammutbaum im Blättergrün nach oben. Zudem steht wie im Kloster Benediktbeuern ein Tulpenbaum in Ambach. Der dürfte knapp 30 Meter hoch sein. So weit nach oben ist der Tulpenbaum seit den 1970er-Jahren gewachsen, als er gepflanzt wurde.
Es könnte sein, dass die Exoten im Umfeld der Olympischen Spiele im Jahr 1972 in München gepflanzt wurden. Denn damals ließen die Organisatoren auf dem Olympiagelände unter anderem Bäume der teilnehmenden Länder pflanzen. Das teilt zumindest die Pressestelle des für die Schullandheime zuständigen Referats für Bildung und Sport mit. Ob das wirklich stimmt, wollen Garten- und Landschaftsbaumeisterin Scholz und Kanzler nicht bestätigen. Womöglich hätten die Pflanzungen nichts damit zu tun, sagen beide.
Ickinger Exotengarten
Während der Jahrzehnte seit 1978 hat Dieter Riffel den weitläufigen Garten am Ickinger Hang in eine Art privates Arboretum verwandelt. Auf 3500 Quadratmetern stehen um die 20 verschiedene japanische Ahorne mit dunkelrötlichen bis grün-gelblichen Blättern. Der Hausherr führt an verschiedenen Berberitzen wie der orange blühenden Berberis stenophylla der Berberis koreana oder der Berberis Thunbergii vorbei. Letztere heißt so, weil der aus Schweden stammende Naturforscher Carl Peter Thunberg den Strauch im 18. Jahrhundert aus Japan nach Europa einführte. Rosarot bis gelb leuchten die frischen Triebe im Holz der asiatischen Hartriegel. An den gefiederten Blättern und den violett-blauen in Trauben aufrecht stehenden Blüten ist der Schein-Indigo der Gattung Amorpha zu erkennen. Bestandteile des ursprünglich aus Nordamerika stammenden Strauchs wurden genutzt, um zu färben.
Alle in Riffels Garten zu sehenden Pflanzen aufzuzählen, würde eine schier endlosen Liste notwendig machen. Zudem weiß der in der IT-Branche tätige 80-Jährige zu jeder noch den lateinischen Fachnamen anzugeben. Das scheint jung zu halten. Denn wer dem Mann durch die teils schmalen Gartenpfade seines Elternhauses zwischen all den exotischen Pflanzen auf und ab folgt, muss schritthalten können. „Ich habe mich immer für Blumen und Gärten interessiert“, sagt Riffel. Seit 1978 habe er begonnen, mit seinem damaligen Gärtner immer mehr Gewächse zu pflanzen. Dafür hat er sich in botanischen Gärten oder von Martin Stangls Buch „Unbekannte Gartenschätze“ anregen lassen. Und er zitiert einen Spruch, den seine Mutter gebraucht habe: „Meine Philosophen sagen mir, dass es kein wirkliches Glück gibt. Mein Gärtner sagt mir etwas anderes.“
Oben auf der Terrasse mit dem gepflasterten Boden, der Holzbank und dem kleinen Tischchen spricht Riffel davon, Berberitzen zu sammeln. Dafür sieht er sich in botanischen Gärten um und tauscht sich mit Gartenexperten aus. Das ist nötig. Denn anders als durch persönliche Beziehungen ist an exotische Pflanzen kaum zu kommen. Wenn Riffel an einem seiner Lieblingsplätze sitzt, hat er den weiß blühenden japanischen Blumenhartriegel, Cornus kousa, hinter sich. Ums Eck kann er über den kleinen Teich auf die chilenische Araukarie sehen. Der Nadelbaum mit seinen spiralförmig gedrehten Blättern und weit auseinanderstehenden Zweigen wird in Südamerika bis zu 40 Meter hoch. Im Ickinger Garten ist das Exemplar zwar wesentlich niedriger, die Form ist indes genauso minimalistisch-karg wie auf einem Andenberg.
Richtig blumig klingt dagegen der Name des Heptacodium micoinoides. Der auf Deutsch „Sieben-Söhne-des-Himmels“ genannte Strauch heißt deshalb so, weil die kleinen Einzelblüten scheinbar zu siebt in den Blütenständen beieinander stehen. Der Heptacodium ist in China beheimatet. Er steht exemplarisch für den historischen Verbreitungstransfer botanischer Gewächse aus aller Welt nach Europa. Beispielhaft dafür ist genauso die Magnolia Sieboldii, die nach dem Naturforscher Philipp Franz Balthasar Siebold benannt ist. Der bayerische Arzt lebte im 19. Jahrhundert in Japan.
Riffels üppiges Gartenparadies von Riffel ist mit Worten kaum zu beschreiben. Zu groß ist die Vielfalt, als dass sie sich bei einem Spaziergang erfassen ließe. Schneebälle und Hortensien sind genauso darin zu finden wie der virginische Schneeflockenstrauch oder ein Judasbaum. Dass sich Riffel selbst kaum sattsehen kann an dieser Pracht, ist nachvollziehbar. Über seinen Terrassenplatz am oberen Hangabsatz, sagt er: „Ich sitze hier und genieße nur.“
Invasive Arten
Brachten früher Naturforscher und Entdeckungsreisende fremde Pflanzen nach Europa, sind sogenannte invasive Arten heutzutage in der Diskussion. In der Schweiz ist vom 1. September dieses Jahres an etwa der für Hecken beliebte immergrüne Kirschlorbeer verboten. Der Grund: Der Strauch könnte heimische Gewächse verdrängen, weil Vögel die Samen weiter verbreiten. Um das zu verhindern, existiert zudem eine sogenannte Unionsliste gebietsfremder Pflanzen- und Tierarten. Sie dürfen nicht in die Europäische Union eingeführt, gehalten, gezüchtet und gehandelt werden. Darauf aufgeführt sind etwa das Pampasgras, der Götterbaum oder das Alligatorkraut. Trotzdem rät Friedl Krönauer, gelassen zu bleiben. „Wo soll denn das Problem sein, wenn in einem Privatgarten eine nicht heimische Pflanze wächst“, sagt der Vorsitzende des Bund Naturschutz im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Wer es ganz streng auslege, müsse die aus Südamerika stammende Kartoffel verbannen. „Wir sollten eher schauen, dass die Bedingungen für Biodiversität in Ordnung sind“, plädiert er.