Kultur im Landkreis Bad Tölz-WolfratshausenFest mit vielen Facetten

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Blick hinter die Kulissen: Das Quiroga Quartett bei der Probe im Rilke-Gymnasium in Icking.
Blick hinter die Kulissen: Das Quiroga Quartett bei der Probe im Rilke-Gymnasium in Icking. (Foto: Hartmut Pöstges)

Beim „Ickinger Frühling“ passiert vieles gleichzeitig. Ein Trio konzertiert, ein Quartett probt, Kuchen wird aufgetischt. Doch alles geschieht im Zeichen beglückender Kammermusik. Eindrücke vom ersten Festival-Tag.

Von Paul Schäufele, Icking

Schließlich wird auch Cibrán Sierra nachgeben. Das Wetter ist einfach zu gut an diesem Samstag, dem ersten Tag des Kammermusik-Fests „Ickinger Frühling“. Der zweite Geiger des gefeierten Cuarteto Quiroga wird also sein Jackett ablegen. Halb so wild, es wird ja ohnehin nur geprobt. Und doch ist das Festival schon in vollem Gange. Unterhalb vom Raum 224 des Ickinger Rilke-Gymnasiums, temporäres Probenstudio des spanischen Quartetts, spielt das Amelio Trio. Daneben wird unentwegt organisiert, Kuchen geschnitten und anderes vorbereitet. Schon mit einer gewissen Routine, doch mit nicht nachlassender Begeisterung feiert man die Eröffnung des Jubiläums-Frühlings – zum zehnten Mal bringt er Kammermusik in konzentrierter Form nach Icking.

Ohne Ehrenamtliche wäre die Vorbereitung für das Festival nicht zu stemmen.
Ohne Ehrenamtliche wäre die Vorbereitung für das Festival nicht zu stemmen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Cuarteto Quiroga spielt sich ein. Kolophonium wird auf die Bögen gerieben, mit Tonleitern hält man sich nicht lange auf. Dann werden die ersten wohlkonstruierten Phrasen gespannt, heitere Musik für den Maitag. „Das ist ja wie eine Sauna“, sagt Primarius Aitor Hevia und reißt noch ein Fenster auf. Die Tür möchte man aber nicht öffnen, schließlich konzertiert unten bereits das Klaviertrio – in Icking passiert einiges parallel. Das weiß das madrilenische Quartett gut, es ist in diesem Jahr zum fünften Mal in Icking. Was den Musikern dort gefalle? „Alles!“, sagt Bratscher Josep Puchades. „Es ist so ein liebenswürdiger, gemütlicher Ort.“ Sein Kollege pflichtet ihm bei. „Es hat sich eine echte Freundschaft entwickelt. Wir fühlen uns wie zu Hause“, sagt Sierra. Hier sei Kammermusik im echten Wortsinn möglich, meint Hevia.

Tische zu decken und Kuchen zu portionieren, gehört auch dazu

Dazu tragen mehrere Faktoren bei. Der recht überschaubare Schauplatz, der mittelkleine Saal des Gymnasiums, der eine direkte Kommunikation mit dem Publikum ermögliche. Aber auch die familiäre Unterbringung. Denn das gesamte Quartett wohnt an diesem Tag bei Gaebels. „Für uns, die wir oft in Hotels wohnen, sind diese Momente, in denen wir entspannen können, sehr wichtig. Und da wir bei den Veranstaltern privat wohnen, hat es eine persönliche Komponente, eine menschliche Bindung“, sagt Sierra. „Es haben sich schon sehr viele nette Begegnungen ergeben dadurch, dass die Musiker bei uns untergebracht sind“, sagt auch Bettina Gaebel, Gastgeberin des kompletten Quiroga-Quartetts und Vorsitzende des Vereins Klangwelt Klassik, der den „Ickinger Frühling“ organisiert.

Doch nicht nur Musik gibt es an diesem Wochenende. Man hört es, sobald man die Treppe des Hauptgebäudes nach oben steigt: Porzellanklirren und Kuchengabelklappern. Denn erneut wurde ein Raum im ersten Stock der Schule umfunktioniert zum Café, zum Ort der kulinarischen Stärkung und Begegnung. Allein Bettina Gaebel hat neben ihrer Organisationsarbeit fünf Kuchen beigetragen. Diese müssen nun geteilt werden. Eine kleine Katastrophe: Schlagsahne ist nicht zu finden. Es dauert nicht lange, bis jemand bereit dazu ist, sich auf die Suche zu machen. Dabei zeigt sich eine der Helferinnen besorgt, weil bislang so wenige Gäste da sind. „Aber die sind doch in der Einführung“, sagt ihre junge Kollegin. Die Schülerinnen und Schüler des Ickinger Gymnasiums unterstützen das Festival als Café-Mitarbeiterinnen oder Bar-Beauftragte. Einige machen das nicht zum ersten Mal. Amrei von Kracht etwa, die selbst Geige spielt. „Ja klar, es macht Spaß. Und die Leute hier sind auch richtig nett“, sagt sie. Schön sei es auch, in die Konzerte hören zu können, wenn mal etwas weniger zu tun ist.

„Es haben sich schon sehr viele nette Begegnungen ergeben dadurch, dass die Musiker bei uns untergebracht sind“, sagt Vereinsvorsitzende Bettina Gaebel.
„Es haben sich schon sehr viele nette Begegnungen ergeben dadurch, dass die Musiker bei uns untergebracht sind“, sagt Vereinsvorsitzende Bettina Gaebel. (Foto: Hartmut Pöstges)

Dabei ist eigentlich immer etwas zu tun. Musikerinnen und Musiker müssen mit ihren Instrumenten abgeholt werden, die Aufzeichnung des Bayerischen Rundfunks vom Trio-Konzert soll reibungslos ablaufen, Karten müssen verkauft, Tische gedeckt, Büfetts mit Tarte au citron und belegten Broten bestückt werden. „Aber wir werden mit wunderbaren Konzerten entlohnt“, sagt Birgitta Bohn vom Klangwelt-Verein. Vorsitzende Bettina Gaebel sieht es ebenso. Trotz der immer schwierigeren Aufgabe, Sponsoren zu aktivieren, trotz der vielen Arbeit, die nur dank vieler Ehrenamtlicher Jahr für Jahr gestemmt werden kann.

Das Ickinger Publikum besitzt Entdeckergeist

„Was für eine Hitze…“, sagt Geiger Aitor Hevia wieder. „Ich finde es angenehm“, meint die Cellistin Helena Poggio. Lange lässt man sich ohnehin nicht ablenken, es gibt noch einiges zu proben. Darunter auch recht unbekannte Werke etwa von Manuel Canales, Hofkomponist des Herzogs von Alba im achtzehnten Jahrhundert, oder von der Schwedin Elfrida Andrée. „Für uns ist die Musikgeschichte wie eine Karte. Es gibt nicht nur die Hauptstädte. Nicht nur die großen Flüsse, sondern auch kleine Bächlein. Und nicht nur die großen Kathedralen. Es gibt auch die romanische Dorfkirche, die uns das gesamte Panorama besser verstehen lässt“, sagt Sierra. Umso schöner sei es, dass das Ickinger Publikum Entdeckergeist besitzt. Das Quartett spricht aus Erfahrung: „Das Publikum hier ist sehr aufmerksam, es kennt sich sehr gut aus. Und es ist offen für neue Werke, neue Interpretationen“, sagt Josep Puchades. Vorbereitet wird es währenddessen in einer Einführung des Musikwissenschaftlers und ehemaligen Leiters des Musikverlags Henle. Wolf-Dieter Seiffert erweist sich mit seinem instruktiv-vergnüglichen Vortrag einmal mehr als geborener Musikvermittler und hat sogar eine Überraschung im Koffer. Die Komponistin Cecilia Díaz Pestano übermittelt den Ickingern einen warmherzigen Video-Gruß und wünscht ihnen viel Freude mit ihrem Stück.

Freude hat das Abendpublikum an den außergewöhnlich originellen Lesarten der Spanier: ein geschmackvoll blitzendes G-Dur-Quartett Canales’; Mozarts Es-Dur-Quartett (KV 428), kontrastreich und virtuos; Díaz Pestanos „Los ojos del espejo“, 2019 von den Quirogas uraufgeführt, und in Icking als mystische, merkwürdig berührende Sphärenmusik zu hören; das d-Moll-Quartett der schwedischen Meisterin, Frauenrechtlerin und Romantikerin Elfrida Andrée – feinnervige, leidenschaftliche Musik. Und Rodolfo Halffters fünfter der „8 Tientos“, der das Konzert mit hochenergetischem Witz schließt.

Doch das Ickinger Erlebnis hört für das Quartett nach dem Schlussapplaus nicht auf. Eine besondere Freude für das Ensemble ist das Zusammenkommen mit anderen Gruppen. Während das spanische Quartett spielt, lauscht das Amelio Trio, das am Nachmittag auf der Bühne war. Auch das Quatuor Agate, das am folgenden Vormittag zu hören sein wird, sitzt im Saal. „Wir Ensembles sind hier wie Schiffe auf einem großen Ozean. Wenn wir uns dann treffen, entstehen Momente der Freundschaft, der Freude“, sagt Sierra. Beim gemeinsamen Abendessen werden sich die Schiffe treffen. Doch ohne Publikum. Das wird schon, inspiriert und voller Vorfreude auf nächste Konzerte, zu Hause sein.

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