Süddeutsche Zeitung

Icking:Entscheidung über die Huberwiese

Bebauen oder nicht? Am Sonntag stimmt die Gemeinde darüber ab, was mit der letzten Grünfläche im Zentrum geschehen soll. Der jahrelange erbitterte Streit könnte damit zu einem Ende kommen - zumindest vorläufig.

Von Claudia Koestler, Icking

Rund eineinhalb Jahre erbitterte Diskussionen, Unterstellungen, Kontroversen und Konflikte in der Gemeinde Icking werden an diesem Sonntag mit einem Votum der Bürger zu einem Ende kommen. Am 10. Juli nämlich sind die Ickinger Wahlberechtigten aufgerufen, zu erklären, ob sie für die Freihaltung der Wiese am Egartsteig - gemeinhin die "Huberwiese" - sind, oder ob sie es in Ordnung finden, dass sie in Bauland umgewandelt wird und die Gemeinde im Gegenzug einen Teil der Fläche für eigene Zwecke erwirbt.

Die Wiese wird zwar als öffentliche Grünfläche wahrgenommen, ist aber in Privatbesitz. Der Eigentümer hatte im Januar 2015 einen Antrag zur Ausweisung als Bauland gestellt und würde der Gemeinde dafür einen Teil zu günstigen Konditionen verkaufen. Auf seinen dann etwa 5300 verbleibenden Quadratmetern wären zwei Einfamilienhäuser auf je fast 1000 Quadratmetern, ein Doppelhaus auf 1200 Quadratmetern und ein Mehrfamilienhaus auf 1700 Quadratmetern baubar, 500 Quadratmetern entfielen auf Straßengrund, rechneten Gemeinderatsfraktionen vor.

Der Bürgerentscheid ist das Resultat eines Bürgerbegehrens, das die Initiative "Unser Icking" angestoßen hatte. Die Frage, die am Sonntag zu beantworten ist, lautet: "Sind Sie dafür, dass die Wiese Ecke Egartsteig/Ludwig-Dürr-Straße ("Huberweise") nicht bebaut wird und dass die Gemeinde Icking den Ankauf dieser Wiese oder eines Teils hiervon für Zwecke der Bebauung unterlässt?" Genauso bedeutsam wie die Frage selbst ist deshalb das, was ein jeweiliges Kreuzchen bei "Ja" oder "Nein" wirklich bedeutet und nach sich zieht. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie viele Stimmen sind nötig?

2876 Wahlberechtigte sind am Sonntag in der Isartalgemeinde zur Abstimmung aufgerufen. Die Gültigkeit des Bürgerentscheids hängt jedoch nicht alleine von der Mehrheit der abgegebenen Stimmen für "Ja" oder "Nein" ab. Die mehrheitlich angekreuzte Antwort muss zugleich eine Mindeststimmenzahl übertreffen - das Abstimmungsquorum von 20 Prozent. Konkret: Eine der beiden Antworten muss mehr als 575 Stimmen erhalten, damit der Entscheid gilt.

Was bedeutet ein Kreuz bei "Ja"?

Wer die Frage mit "Ja" beantwortet, spricht sich dafür aus, dass die Gemeinde keinen Grundstücksanteil kauft und der bestehende Flächennutzungsplan weiter Bestand hat. Für das "Ja" wirbt die Bürgerinitiative "Unser Icking", auch die Ickinger Initiative plädiert für die Beibehaltung des Flächennutzungsplans und somit für den Erhalt der Wiese. Die Ickinger SPD empfiehlt ebenfalls, mit "Ja" und damit gegen die Bebauung zu stimmen. Sie wollen damit der Gemeinde Zeit und Möglichkeit einräumen, über einen Ankauf der gesamten Fläche zu verhandeln und sich so alle Optionen offenzuhalten - von der Freifläche über einen Park bis zu sozialer Bebauung. Dass die Gemeinde die gesamte Fläche, also 9488 Quadratmeter, in ihren Besitz bringt, hatte der Eigentümer jedoch bislang ausgeschlossen. Dann müsse eben der Status Quo bleiben, fordert die SPD.

Sollten die Ja-Stimmen die Mehrheit bilden und zugleich das Quorum erfüllen, kann die Gemeinde also weder den Ankauf der westlichen Teilfläche tätigen, noch kann der Eigentümer auf der Restfläche Wohnbebauung umsetzen. Zumindest nicht innerhalb der gesetzlichen Bindungsfrist des Bürgerentscheids.

Was bewirkt ein "Nein"?

Wer "Nein" ankreuzt, stimmt dafür, dass die Gemeinde einen Grundstücksanteil an der "Huberwiese" erwirbt. Im Gegenzug erhält dann der Besitzer Baurecht auf der Restfläche, in einem neu zu erstellenden Bebauungsplan festgelegt. Eine Mehrheit im Gemeinderat, genauer gesagt die Mitglieder der Fraktionen CSU, PWG und UBI, befürworten den Kauf des rund 4200 Quadratmeter großen Teilgrundstücks als Vorratsfläche für gemeindliche Pflichtaufgaben. Mit dem Kauf erhalte Icking eine Chance, die Zukunft zu gestalten. Vorratskäufe hätten bereits in der Vergangenheit der Gemeinde Dienste erwiesen. Insbesondere das Wohnen in der Isartalgemeinde werde immer teurer, was es der jungen Generation schwer macht, vor Ort zu bleiben. Für eine gesunde Bevölkerungsstruktur sollten Einheimische, so UBI, PWG und CSU, nicht zu kurz kommen. Zumal die Eigner der Wiese bereits signalisiert haben, auf dem ihnen verbleibenden Teil bezahlbare Mietwohnungen vorzugsweise für Ickinger zu schaffen.

Wie lange gilt der Entscheid?

Die gesetzlichen Bindungsfrist für den Bürgerentscheid ist ein Jahr. Nach Ablauf kann die Angelegenheit erneut beraten werden - es gibt allerdings keinen Automatismus, sprich, jemand muss einen neuerlichen Antrag in der Sache stellen oder der Rat kommt überein, sich damit erneut auseinanderzusetzen.

Auch wenn das Thema "Huberwiese" also theoretisch im Sommer 2017 wieder auf den Tisch kommen könnte, ist eine Wiedervorlage in so kurzer Zeit zumindest fraglich. Denn auf einem gerade verteilten Flugblatt legen sich PWG, CSU und UBI fest: Im Falle eines mehrheitlichen "Ja" des Bürgerentscheids würden sie sich an den Willen der Bürger "über die gesetzliche Bindungsfrist von einem Jahr hinaus gebunden fühlen". Das könnte also zumindest für die Legislaturperiode gelten.

Ist eine Anfechtung möglich?

Dass die Eigner nach einem mehrheitlichen "Ja" der Ickinger für den Erhalt der Wiese klagen könnten, halten die Mitglieder der Initiative "Unser Icking" für nicht praktikabel, schon alleine verfahrenstechnisch. Denn es fehle den Eignern die sogenannte "Klagebefugnis", da sie durch den Entscheid nicht unmittelbar in ihren Rechten betroffen seien. Die Grundstücksbesitzer könnten nämlich die Wiese weiterhin und wie gehabt als das nutzen, als was sie derzeit im Flächennutzungsplan deklariert ist: als eine Fläche für die Landwirtschaft. Etwaige Verfahrensmängel könnten die Eigner nach Ansicht der Bürgerinitiative nicht geltend machen, weil sie keine Ickinger Gemeindebürger seien.

Klagen könnte der Eigentümer aber gegen die Gemeinde, wenn diese - aufgrund des Bürgerentscheids oder aus anderen Gründen - seinen Antrag auf Änderung des Bebauungsplans ablehnt. Doch dass eine solche Klage Aussicht auf Erfolg hätte, bezweifeln die Mitglieder von "Unser Icking": Denn alle Anfechtungsfristen für den geltenden Bebauungsplan seien seit vielen Jahren abgelaufen und Grundeigentümer hätten grundsätzlich keinen Anspruch auf Änderung von Bebauungsplänen, da dies unter die Planungshoheit des Gemeinderats falle.

Was können die Eigner sonst tun?

Sprechen sich die Ickinger Bürger am Sonntag für den Erhalt des gültigen Flächennutzungsplans und damit für den Erhalt der Wiese in ihrer jetzigen Form aus, bleibt die Möglichkeit, dass der Eigentümer das Grundstück einer anderweitigen landwirtschaftlichen Nutzung zuführt, etwa als Maisfeld. Immer wieder wurde auch von der Möglichkeit einer Energieholzplantage gesprochen. Dafür aber wäre ein gesondertes Genehmigungsverfahren mit Beteiligung der Grundstücksnachbarn, Festlegung von Abstandsflächen zur Wohnbebauung, Prüfung der Grundwassersituation und Abwägung landschaftspflegerischer Aspekte zu durchlaufen.

Warum gibt es keine Einigung?

Die Mitglieder der Bürgerinitiative "Unser Icking" betonen, dem Grundeigentümer weiterhin ein wirtschaftlich attraktives Pachtangebot unterbreiten zu wollen, auch nach dem Bürgerentscheid. Mit diesem Angebot wollen sie seinen "verständlichen und berechtigten Interessen Rechnung tragen", und die Wiese dann unentgeltlich der Gemeinde für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.

Wo wird gewählt?

Ihre Stimme abgeben können die Ickinger Wahlberechtigten an diesem Sonntag zwischen 8 und 18 Uhr entweder im Rathaus, in der örtlichen Grundschule oder auch im Vereineheim Dorfen. Kämmerer Stefan Fischer geht davon aus, dass gegen 19 Uhr das vorläufige Ergebnis feststehen dürfte. Die SZ Bad Tölz-Wolfratshausen informiert über das Ergebnis sofort nach Bekanntgabe im Internet auf www.sz.de/wor und auf Facebook. Die Gemeinde rechnet mit einer guten Wahlbeteiligung, dafür sprechen schon die ersten Vorboten: Bis Donnerstag waren bereits 572 Briefwahlumschläge im Rathaus eingegangen.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2016
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