Sie rechne in den nächsten Monaten noch nicht "mit dem Ende der corona-bedingten Veränderungen", sagt Bettina Gaebel zum Herbstauftakt des Konzerts im Rainer-Maria-Rilke-Gymnasium mit dem französischen Ensemble Quatuor Ardeo. Die Vorsitzende des Vereins "Klangwelt Klassik" klingt mittlerweile anders als noch beim Konzert im Juli, dem ersten nach dem Lockdown. Resolut kündigt sie einen Termin nach dem anderen für den Rest dieses Jahres und die kommende Saison an. Nur noch die Sitzordnung im Saal mit den vereinzelt und paarweise gruppierten Musikfans erinnert noch daran, dass zurzeit alles anders ist als sonst. Und natürlich die vier Pariser Musikerinnen, die ihren Platz auf der Bühne mit Mund-Nasen-Schutz aufsuchen, ehe sie sie ablegen und mit Mozarts Streichquartett Nr. 18 in A-Dur KV 464 beginnen.
Seit 2001 als festes Ensemble zusammen, haben sich die Geigerinnen Carole Petitdemange, Mi-sa Yang, die Bratschistin Yuko Hara und die Cellistin Joëlle Martinez internationales Renommee erarbeitet. In jedem Ton spürt man individuelle Klasse und gewachsenes Zusammenspiel. Das wird etwa deutlich in Mozarts "Andante". Plastisch mit opernhafter Dynamik und Dramatik entwickeln die Musikerinnen des Quatuor Ardeo diesen Satz. Mit klugem Geschick bauen sie die Spannung auf, die zu den markanten Punktierungen führt. Das ist eine Seite ihrer Mozart-Kunst, die andere ist große Gesanglichkeit, seliges Musizieren voller Hingabe. Begeistert feiern die Zuhörer im Saal diesen ebenso feinen wie ausdrucksstarken Konzertbeginn. Bevor es weitergeht, spricht Bratschistin Yuko Hara ein paar Worte. Es habe für das Quartett seit dem Frühjahr viele Absagen gegeben. Umso größer sei dann die Freude gewesen, in Icking spielen zu können. Auch das hatte besonderen organisatorischen Aufwand angesichts gestiegener Corona-Zahlen in Frankreich erfordert.
Raffiniert gesetzt ist das Programm dieses Abends. Zwischen Mozart und dem später abschließenden Schubertquartett "Der Tod und das Mädchen" steht die Komposition IXXU des 1963 geborenen Österreichers Thomas Larcher. Den haben die vier Französinnen 2019 beim englischen Aldeburgh-Festival als "Composer in Residence" kennengelernt und mit ihm sein 2. Streichquartett erarbeitet. Was der rätselhafte Titel IXXU bedeutet, heißt es im Programmheft, kommentiere Larcher nicht. Er warne aber vor zu viel Spekulation. Immerhin, so viel wird klar, ginge es ihm schon darum, an die Grenzen dessen zu gehen, was man einer Geige zumuten möchte. Eine Welt tut sich auf, die mit harmlosen Pizzicati beginnt, dann aber sich zu einer faszinierend brüchig und fragmentierten Tonsprache entfaltet. Dabei ist Larchers Musik voll spannendem Suspense und erinnert bisweilen an den Film "Psycho" von Alfred Hitchcock. Vor allem aber zieht einen diese neutönende Musik in Bann, entwickelt sich zum Kino für die Ohren. Das öffnet diese - das ist der geschickte Zug über das gesamte Ickinger Programm - für die Musik, die man als Klassik-Fan schon oft gehört hat. Nach Larcher wirkt Schuberts "Der Tod und das Mädchen" eben auch wie eine Neuentdeckung bekannter Klänge. Die vier Streicherinnen nutzen ihre brillante Technik, um zu zaubern. Sie entwickeln ein ungemein zwingendes Spiel, eröffnen einen Fächer an Farben vom robust-konkreten bis zum völlig verschatteten Klang. Ihr Schubert macht Staunen. Carole Petitdemange, die im anfänglichen Mozart eine souveräne zweite Geigerin neben Primarin Mi-sa Yang gegeben hat, hat für den Schubert mit ihrer Kollegin getauscht und spielt mit grandioser Sensibilität die delikaten Melodielinien.
Kongenial ziehen Yuko Hara und Joëlle Martinez an Bratsche und Cello mit - mitreißend, bewegend. Ein packendes Musizieren, das bei dem einen und anderen Zuhörer begeistertes Geraune und entzückte "Bravi" zum Schlussapplaus entlockte. Zugabe: eine Chaconne von Henry Purcell für drei Stimmen und Bass, die sich auch auf der jüngst veröffentlichen CD des Quatuor Ardeo finden. Da kann man es auch nachhören.
Nächstes Konzert bei Klangwelt Klassik: Lux-Trio, 3. Oktober, 11 und 19.30 Uhr