Icking:Amerika entdeckt

17. Ickinger Konzertzyklus 2016

Der Münchner Kammerchor beim Auftaktabend in Icking.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Münchner Kammerchor glänzt in Icking

Von Reinhard Szyszka, Icking

"Die Entdeckung Amerikas geht weiter." Dieser Aphorismus von Manfred Hinrich könnte als Motto über dem diesjährigen Ickinger Konzertzyklus stehen, und mit gutem Grund zitierte Bürgermeisterin Margit Menrad das Bonmot in ihrer Begrüßungsansprache. Denn bei amerikanischer Musik denkt jeder zunächst an Pop, Rock, Jazz, Gospel und Spiritual - aber kaum an Klassik.

Dass es auch ganz anders geartete Musik aus den USA gibt, will Philipp Amelung, der künstlerische Leiter des Konzertzyklus, in diesem Jahr unter Beweis stellen. Am Sonntag ging es los; der Münchner Kammerchor bestritt unter Amelungs Leitung das Eröffnungskonzert in der evangelischen Auferstehungskirche in Icking. Der Ort war gut gewählt: Konzerte in dieser kleinen Kirche haben immer eine heimelige Atmosphäre, und die Größe entsprach dem Besucherandrang. Die Kirche war gut besucht, aber sie platzte nicht aus allen Nähten.

Der Münchner Kammerchor ist ein professionelles Ensemble aus je fünf Sopranistinnen und Bässen sowie je vier Altistinnen und Tenören. Die achtzehn Sängerinnen und Sänger nahmen im Halbkreis um den Altar Aufstellung; Amelung stand vor dem Altar und dirigierte mit klaren, ausdrucksstarken Gesten. Der Chor ist so gut geschult, dass innerhalb jeder Stimmgruppe die Einzelstimmen zu einer völlig homogenen Einheit verschmelzen, die Stimmgruppen untereinander sich jedoch deutlich absetzen. Polyphone Linien lassen sich auf diese Weise ebenso gestalten wie flächige Harmonien.

Außerdem verfügen die Sänger über eine enorme dynamische Bandbreite vom zartesten Pianissimo zum donnernden Fortissimo, und sie besitzen die Disziplin, gleichmäßige Crescendi und Decrescendi zu singen, auch über längere Strecken hinweg. Jeder Chorsänger und mehr noch jeder Chorleiter weiß, wie schwer das zu erreichen ist.

Das in der Broschüre abgedruckte Programm entsprach nicht in allen Einzelheiten dem Konzertablauf; man hielt sich da besser an die Einlegeblätter mit den Gesangstexten. Den Anfang machte ein Anthem von William Billings, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte. Wer hier eine knochentrockene puritanische Hymne erwartet hatte, sah sich angenehm überrascht: frisch und munter kam die Musik daher, im Wechsel zwischen ein- und mehrstimmigen Passagen. Der Text war dem Hohelied Salomons entnommen, und der Komponist nahm die erotischen Aspekte durchaus wörtlich.

Ganz anders dann die romantischen Klänge bei George Chadwick. Sie erinnerten entfernt an den Chorstil von Joseph Rheinberger, und in der Tat: Chadwick hat bei Rheinberger studiert. Wiederum anders dann die harten, dissonanten Harmonien bei Christopher Deane.

Das Chorkonzert war zweimal unterbrochen - und zwar für instrumentale Einlagen des Perkussionisten Cristóbal Gajardo. Das Publikum hätte die Abwechslung nicht unbedingt gebraucht, die Chormusik war schließlich vielseitig genug. Für den Chor aber war es eine kluge Entscheidung, den Sängern stimmliche Erholungs- und Regenerationspausen zu gönnen. A-cappella-Singen ist anstrengend, selbst für Vollprofis.

Randall Svane, der "Composer in Residence" des diesjährigen Konzertzyklus, war auch bei diesem Chorkonzert mit einem Werk vertreten: "O God, you are my God" nach dem 63. Psalm. Die Darbietung durch den Münchner Kammerchor erwies sich sogar als Uraufführung; Svane hatte das Stück zwar ursprünglich für seinen Kirchenchor komponiert, doch dem war es zu schwer. Für den Hörer klang Svanes Chorsatz durchaus anspruchsvoll; horrende Schwierigkeiten waren aber nicht auszumachen. Der Münchner Kammerchor bewältigte im selben Konzert weit härtere Brocken.

Den Abschluss bildete ein Agnus Dei von Leonard Bernstein. Wer von diesem Komponisten nur die "West Side Story" kennt, horchte auf: So modern, so kühn kann Bernstein klingen. Chor und Schlagzeug fanden bei diesem Werk zu einer Einheit zusammen. Großer, berechtigter Applaus; Amelung und der Chor bedankten sich mit der Wiederholung des Werks von Randall Svane. So kam es wenige Minuten nach der Uraufführung gleich zur Zweitaufführung.

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