Es ist ein bemerkenswertes Duo, das da die Straße zwischen dem Hatzplatz und dem Japanischen Garten in Wolfratshausen überquert. Hündin Ayla, die Hinterbeine abgesenkt, läuft mit Halterin Helena Benker sehr langsam über die Fahrbahn. Der Grund dafür hängt über Benkers Schulter: ein Hunderollstuhl. Den benötigt Ayla an ihren schlechten Tagen. Seit einer Anaplasmose-Infektion im Frühjahr fällt der Sibirischen Huskydame das Laufen schwer.
Ob Ayla überhaupt wieder mobil sein würde, war lange Zeit ungewiss. „Wir waren noch beim Check-up, da war alles tipptopp“, sagt Benker. „Und dann auf einmal fing sie hinten an zu humpeln.“ Das war Anfang März. Zunächst lag der Verdacht nahe, es könnte am Alter liegen – Ayla war da 15. Doch die Symptome wurden schlimmer, bis sie nicht mehr allein aufstehen konnte.
Im Japanischen Garten nimmt Benker den Rollstuhl von der Schulter und klappt ihn auf. „Einparken“, sagt die Studentin der Tiermedizin. Ayla stellt sich sofort zwischen ihre Beine. Dort hebt Benker ihre Hinterpfoten gekonnt in das Gestell mit den 34 Zentimeter großen Reifen und schnallt den Husky mit zwei Gurten fest. „Ich habe gesehen, sie hat Lebenslust. Sie hat Lebensenergie. Sie will was tun.“ So begründet Benker die Entscheidung, ihrem Hund einen Rollstuhl anzuschaffen. Etwa jeden zweiten Abend sind die beiden gemeinsam in der Innenstadt von Wolfratshausen unterwegs. Ayla liebe „Windowshopping“, besonders das Schaufenster eines Immobilienbüros am Untermarkt, erzählt Benker.

Mit Blutarmut, blassen Schleimhäuten und Atemnot ging es nach dem Humpeln weiter, erzählt die 29-Jährige. „Die lag nur noch auf der Seite, hat gehechelt und war wirklich knapp davor, zu sterben“, erinnert sie sich. Sie suchte vier verschiedene Ärzte auf, doch keiner fand die Ursache. „Es ging mir auch sehr schlecht. Ich hab’ in der Zeit sehr viel geweint“, sagt Benker. „Vor allem, weil ich auch nicht wusste, was sie hatte.“
Erst zwei Monate später, Mitte Mai, wurde dann in der Tierklinik klar: Eine Zecke ist schuld. Mit ihren Ausscheidungen übertrug sie Bakterien, die eine Anaplasmose bei Ayla auslösten.

„Die Anaplasmose ist eine bakterielle Erkrankung, die in erster Linie von Zecken übertragen wird“ erklärt Amtsveterinär Georg Unterholzner vom Tölzer Landratsamt. „Vor allem vom gemeinen Holzbock, der Zecke, die bei uns am meisten vorkommt.“ Etwa 24 bis 36 Stunden nach einem Zeckenbiss werden die Erreger über den Speichel übertragen. Symptome wie Fieber, Mattigkeit und Gelenkentzündungen können nach Tagen bis Wochen auftreten. Ähnliche Anzeichen treten bei Borreliose auf, die im Landkreis nach Unterholzners Erfahrung häufiger ist. Beide Krankheiten können unbehandelt tödlich sein, lassen sich aber vor allem im Anfangsstadium gut bekämpfen. Zwar wurde die Krankheit bei Ayla erst spät erkannt, trotzdem zeigte die Behandlung schnell Wirkung:„Sie hat dann zwei Wochen lang ein Antibiotikum bekommen, und konnte nach dem dritten Tag schon wieder selbst aufstehen.“ Benker klingt erleichtert, als sie das erzählt.
Trotzdem liegt vor der Huskydame noch ein gutes Stück Arbeit. Da sie zwei Monate fast ausschließlich im Körbchen gelegen hat, ist ihre Muskulatur stark zurückgebildet. „Dadurch tut sie sich natürlich schwer. Aber wenn die Motivation sehr groß ist, dann können wir über uns hinauswachsen“, sagt Benker.
Und genau daran arbeitet Ayla hartnäckig. Seit mittlerweile vier Monaten ist sie mit ihrem Rollstuhl unterwegs – immer öfter sogar ohne. „Gestern ist sie gute drei Stunden gelaufen“, erzählt ihre Besitzerin begeistert – beim Wandern mit Freunden, allerdings noch mit zweirädriger Unterstützung. Etwa fünf Kilometer seien das gewesen. Motiviert habe Ayla dabei ihr enger Freund, Kater Enzo.

Für Ayla ist der Rollstuhl eine Hilfe. Er unterstützt sie bei Erhalt und Aufbau ihrer Muskulatur. Trotzdem scheint sie sich nur teilweise an ihn gewöhnt zu haben. Oft bleibt sie unterwegs mit den Rädern hängen. „Moment, die Wurzel ist hoch“, sagt Benker. Sie schubst den linken Reifen an, und Ayla kann weiterlaufen. Zumindest, bis sie sich wenig später am Aufsteller der Stadtverwaltung verhängt, den Benker dann wegräumen muss.
Seit etwa drei Jahren lebt die Hündin jetzt bei der Studentin. Zuvor war sie elf Jahre im Tierheim. „Sie ist halt ein Husky, will Aufmerksamkeit, Programm und hat eine große Klappe“, sagt Benker auf die Frage, warum Ayla so lange im Tierheim gewesen sei und lacht. „Sie ist wirklich ein zauberhafter, wunderbarer Hund.“ Dass sich mit der Huskydame und Benker zwei gefunden haben, merkt man sofort, wenn man sie zusammen sieht. Vor allem für Ayla ein Glücksfall. Ihre Hundeliebe bewog Benker 2019, Tiermedizin zu studieren. Im Studium kam ihr die Idee mit dem Rollstuhl.
1200 Euro hat dieser gekostet, eine Maßanfertigung. Dazu kamen noch die Kosten für Diagnose und Behandlung der Anaplasmose. Für die Studentin viel Geld. „Ich fahre zum Beispiel nicht in den Urlaub“, sagt Benker. „Für mich ist der Hund das, wofür ich mich entschieden habe.“ Deswegen hat sie Ayla auch das teurere Rollstuhlmodell spendiert. Es ist besonders leicht – nur etwa 4 Kilogramm, geländegängig und klappbar, falls die Hündin mal ohne laufen will.

Unterwegs werden die beiden immer wieder auf den Rollstuhl angesprochen. „Toll, dass es so etwas gibt“ meint eine Frau. Was das für ein Hund sei, wollen zwei Kinder wissen. „Ein Schlittenhund – und jetzt ein Rolli-Hund“, antwortet Benker. Von manchen Menschen höre sie auch den Vorwurf, Ayla zu quälen, erzählt die 29-Jährige. Das sieht sie klar anders: „Ich lauf’ mit 90, wenn ich krank bin, auch nicht mehr ’rum wie ein junger Hüpfer. Aber vielleicht habe ich trotzdem Freude in meinem Leben. Und solange Ayla Interesse zeigt, darf sie laufen.“ Und das tut sie. Von Hauseingang zu Hauseingang. Kurz an der Schwelle schnuppern und weiter.
Am besten schütze man einen Hund vor einer Krankheit wie Aylas mit sogenannten Spot-on-Präparaten, erklärt Tierarzt Unterholzer: „weil sich die schön verteilen über den ganzen Hund. Es gibt auch Kautabletten, die haben denselben Effekt.“ Die Mittel töten Zecken beim Biss, bevor sie Zeit haben, Bakterien zu übertragen. Auch für Benker ist Zeckenprophylaxe mittlerweile das „Allerwichtigste“. Und natürlich Aylas Genesung. „Das Schönste ist, wenn ich sie dann abends sehe, wie sie träumt und dabei läuft – dann sieht man einfach: Okay, sie war glücklich.“