Süddeutsche Zeitung

Hotelprojekt in Bad Tölz:Natur statt Kur

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Johannes Tien will auf der Wackersberger Höhe ein 100-Betten-Haus mit Blick auf den Blomberg bauen und Gästen Entspannung bieten.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Wenn Johannes Tien über die leicht geschwungene Wiese auf der Wackersberger Höhe geht und über sein geplantes Naturhotel spricht, muss er manchmal über sich selbst lachen. Über die Sätze, die gelegentlich aus ihm geradezu heraussprudeln, über die Begeisterung, aus der sie geboren sind. Ein Haus mit 100 Betten will er auf dem Areal mit freiem Blick auf den Blomberg errichten, das mit seinen Holzelementen an der Fassade ein wenig so aussieht, als würde es von einem Ausläufer des dahinter liegenden Stadtwalds umschlossen. Ruhe sollen die Gäste in dem Hotel finden, ausspannen vom Alltagsstress, sich entschleunigen. "Das war von Anfang an unsere Philosophie", sagt Tien. "Wir wollen eine Nische besetzen, und wenn man eine Nische bedienen will, muss man authentisch sein." Die Eröffnung ist für Sommer 2022 anvisiert.

Das Gras ist noch nass an diesem Herbstmorgen. Tien hat einige Streifen des rund 8400 Quadratmeter großen Grundstücks mähen lassen, um die Dimension seines Vorhabens zu verdeutlichen. Das findet in Bad Tölz nicht bloß Anhänger, was bei Hotelprojekten in der früheren Kurstadt kaum noch verwundert. Sieben von 17 Stadträten stimmten gegen den Bebauungsplan, die wenigen Anwohner stemmen sich ebenfalls gegen die Pläne. Gleich zu Beginn habe er mit den Nachbarn gesprochen, erzählt Tien. "Vier Wochen danach haben sie geschrieben, dass sie das Ganze nicht gut finden, und dass ich von ihren Anwälten hören werde." Das sei eine klare Ansage gewesen, das müsse man akzeptieren. Geärgert hat sich Tien nur über manche Behauptungen, die über sein Projekt in Umlauf kamen. Zum Beispiel: Der Hotelklotz werde noch vom Kalvarienberg aus zu sehen sein. "Unsubstanzielle Aussagen" seien das, sagt er, um nicht einfach "Unsinn" zu sagen. "Aber das sind ein bis zwei Prozent von knapp 20 000 Tölzer Bürgern, das will ich nicht so wichtig nehmen."

Seinem Enthusiasmus für das Naturhotel tut die Kritik ohnehin keinen Abbruch. Mit einer Aktenmappe in der Hand breitet er seine Pläne genauer aus: Zwei Drittel der Fläche, die jetzt der Wanderparkplatz am westlichen Rand des Areals umfasst, sollen wieder ein Parkplatz für die Hotelgäste sein. Das Trafo-Häuschen daneben bleibt stehen. Hinter ihm sollen nach Norden hin schmale Stellflächen für E-Autos und E-Bikes folgen. Vom Parkplatz gibt es eine kurze Zufahrt zur Tiefgarage des Hotels, dies wird ist das einzige Stück Straße auf dem Grundstück sein. Der Geh- und Forstweg zum Stadtwald wird auf die östliche Seite verlegt. Der Befürchtung, Gäste und Lieferanten störten mit ihren Fahrzeugen die beschauliche Ruhe der Anhöhe, widerspricht der Unternehmer. "Wir wollen den Gästen doch Ruhe und Muße vermitteln", betont er. Deshalb werde es auch "keine Halligalli-Veranstaltungen" gebe. "Wenn das Ganze einmal steht, werden auch die Anlieger sagen, so schlimm ist es doch gar nicht."

Ein geschwungener Fußweg soll vom Parkplatz durch den Garten zum Hoteleingang führen. Das Bauwerk soll in Holzständerbauweise entstehen, wird der Statik und des Brandschutzes wegen jedoch auch Beton enthalten. Die Fassade sieht nach den bisherigen Plänen so aus, als lehnten sich Baumstämme rund um das Gebäude an die Wände. Geplant sind über dem Erdgeschoss ein Obergeschoss und ein Laternengeschoss, das zwei Suiten, ein Lounge und eine Wohnung beherbergen soll. Die Hotelzimmer sollen die Besucher ganz individuell buchen können: mit einer Badewanne, mit einer Sauna, mit einem Sportgerät nach Wunsch, mit Blick zum Stadtwald, mit Blick zum Blomberg. Diese Module könnten sie bei der Buchung individuell konfigurieren, sagt Tien. Außerdem soll es noch einen kleinen gemeinsamen Fitnessraum geben.

Und noch eine Kritik: Das Hotel werde so hoch und massiv ausfallen, dass die Tierarten im benachbarten Stadtwald gefährdet seien. Die artenschutzrechtliche Relevanzprüfung lieferte dafür indes keine Belege. Das ganze Gebäude sei nur knapp halb so hoch wie die Bäume, sagt Tien. Die Habichte, die im Wald leben, würden in ihren Flug nicht beeinträchtigt. Außerdem sei das Hotel vom Waldsaum abgesetzt. Von Balkonen aus sollen die Gäste dort dem Gezwitscher der Vögel lauschen können. In dem Streifen dazwischen möchte Tien sogar noch Baumarten pflanzen lassen, die der Klimawandel erfordert, Douglasien etwa.

Auf der anderen Seite will er vor dem Hotel einen Garten anlegen lassen, der von Bachläufen durchplätschert ist, der überschüssiges Wasser in einem Fischteich auffängt, der biologisch aufbereitet werden soll, damit darin Fische schwimmen können, der Gumpen und eine Erdsauna hat. Tien schwebt ein zirkulierendes Wassersystem vor. Dazu gibt es viel Grün und Spazierwege mit freiem Blick auf den Blomberg. Den sollen auch die Gäste in den etwa acht Chalets haben, die am östlichen Rand der Grundstücks entstehen und jeweils rund 40 Quadratmeter groß sein sollen. Eines davon will Tien als "so eine Art Meditationsraum" gestalten.

Einen Namen hat er schon für sein neues Hotel: "Bergeblick" soll es heißen. Die Zimmer soll es in drei Kategorien geben, günstig, mittelpreisig, teuer. Auch eine gediegene Gastronomie ist vorgesehen, wofür Tien allerdings nicht gleich einen Sternekoch anstellen will, manchmal wird auch ein Caterer kommen. Tien denkt an regionale Gerichte. Auch für das Frühstück: Landeier vom Bauern, Semmel vom Bäcker im Ort. Um die Gäste sollen sich einmal 40 Angestellte kümmern, darunter etwa 20 Vollzeitkräfte. "Wichtig ist, das wir eine wirklich tatkräftige Crew haben, die Mitarbeiter sind das Gesicht des Hotels."

Noch ein Vorwurf: Er mache der Tölzer Hotellerie mit seinem Projekt bloß Konkurrenz. Das helfe der Stadt doch, mehr Gäste herzubekommen, wehrt er sich. Und davon profitierten schlussendlich auch andere Betriebe in Bad Tölz. Unter anderem das Kurhaus, das für Hochzeitsgäste oftmals eine Unterkunft suche. Seine Begeisterung lässt sich Tien nicht nehmen. Auf der herbstnassen Wiese auf der Wackersberger Höhe träumt er sich in seine künftigen Gäste hinein, wie sie von eine Suite aus mit einem Glas Wein in der Hand auf die Abendsonne über dem Blomberg schauen. Ruhe, Erholung, Entspannung - diese Vokabeln tauchen immer wieder auf, wenn er über ein Projekt spricht. "Wenn man zwischen den Ohren Probleme hat und die Belastung im Kopf zu intensiv wird, dann sollen die Angebote des Hotels eine moderne Kur sein", sagt er. Und erzählt nebenbei von einem Gast aus Niedersachsen, woher auch Tien selbst stammt, ehe er vor 15 Jahren nach Tölz zog. Der sei mit dem Fahrrad zum Walchensee gefahren und habe sich ganz erstaunt gezeigt, wie schön doch dieses Bayern, wie herrlich doch das Oberland sei. Auf solche Kunden setzt Tien: "Ich sehe Radtouristen nicht als Durchgangstouristen", sagt er.

Als er mit seiner Frau Andrea, mit der er das Ferienhaus "BergeBlick" in Wackersberg führt, vor einem Jahr erstmals seine Idee für ein Naturhotel präsentierte, war das Wort Coronavirus fast nur Wissenschaftlern geläufig. Nun ja, räumt er ein, das Projekt sei nun mal ein Risiko und werde sicher "kein Selbstgänger" sein. "Es gibt da keine Hochnäsigkeit." Aber er hat auch drei Jahrzehnte lang als Chef einen Versandhandel mit circa 300 Mitarbeitern geführt, weiß also um die Stürme des Geschäftslebens. In das Naturhotel investiert er nicht bloß Herzblut, sondern sein Vermögen, auch sein Privathaus. Eine achtstellige Summe werde nicht reichen, sagt er. "Ich habe nichts geerbt, ich habe alles mit meiner Hände Arbeit erwirtschaftet." Außerdem schwirrt da noch ein Gerücht herum: Er habe das Grundstück billig von der Stadt bekommen. Falsch, sagt Tien: "Ich habe den normalen Preis bezahlt."

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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