Gastronomie in Bad Tölz-Wolfratshausen:Abgesang auf ein Gasthaus in bester See-Lage

Collage WOR

Das Gasthaus und Hotel am See hat eine traumhafte Lage am Ostufer des Starnberger Sees und eine lange Tradition. Doch der Betrieb versinkt immer mehr im Dornröschenschlaf.

(Foto: HAP; F. X. Sailer/oh; Münsinger Archiv/oh (2))

"Diese Knochenmühle will ich nicht mehr": Zu Pandemiebeginn hat Reinhard Sailer die Gastronomie im Ammerlander Hotel am See geschlossen. Seitdem hält er nur noch für Übernachtungsgäste offen. Der 68-Jährige will nicht mehr groß investieren, eine Nachfolge fehlt

Von Benjamin Engel

Die Lage direkt am Ammerlander Ostufer des Starnberger Sees zählt zu den besten der Region - und doch versinkt das dortige Hotel am See in einen immer tieferen Dornröschenschlaf. Der Biergarten mit den Kastanienbäumen direkt am Wasser ist bereits verwaist, der angrenzende Anlegesteg der Seenschifffahrt abgebaut. Zu Pandemiebeginn vor knapp zwei Jahren hat das Inhaberehepaar Reinhard und Vera Sailer den Gastbetrieb endgültig zugesperrt. Beide halten nur noch das Hotel mit 18 Übernachtungszimmern offen, allerdings ist auch dieses im Winter zwischen November und März weitgehend geschlossen.

Reinhard Sailer spricht von einem schwierigen Geschäftsumfeld für die mittelständische Tourismusbranche. "Die Gastronomie funktioniert nur noch für die ganz Kleinen oder Großen." Zudem müsste er in den Betrieb kräftig investieren, um ihn zukunftssicher zu machen. Das heutige Gebäude ist mehr als hundert Jahre alt. Es wird aber auch keine Nachfolgerin aus der Familie geben. Die Tochter hat sich als promovierte Biochemikern beruflich anderweitig orientiert. Erschwerend wirkt sich aus, dass ein Nachfolger eine neue Konzession für den Betrieb beantragen müsste. Damit, so schätzt Sailer, wäre eine Millioneninvestition nötig, um die modernen Auflagen zum Brandschutz und Hygienestandards zu erfüllen.

Sailer selbst ist 68 Jahre alt und seit 1975 mit seiner Frau im Geschäft. "Diese Knochenmühle will ich nicht mehr", bekennt er. Im Grunde sei das Hotel am See ein reiner Sommersaison-Betrieb. Das Geschäft sei immer unsicherer zu kalkulieren. Ausflugsgäste entschlössen sich bei schlechter Wettervorhersage schneller um als früher und kämen dann gar nicht erst zum See. Die Probleme, Personal zu gewinnen, habe die Pandemie verschärft.

Daher sind inzwischen nur noch die Zimmer für Übernachtungsgäste offen - in der Winterruhe ausnahmsweise auch für größere Gruppen oder Handwerker auf Anfrage. Mehr als Frühstück gibt es nicht mehr. Die Entwicklung im Ammerlander Hotel am See ist typisch für die Probleme einiger Tourismusbetriebe der Region. Bausubstanz und Einrichtung altern, werden unmodern und genügen den Ansprüchen heutiger Gäste immer weniger. Wenn die Betreiber gleichzeitig selbst das Rentenalter erreichen und keine Nachfolger haben, rückt das Aus stetig näher.

Was wie ein Abgesang klingt, hat im konkreten Fall allerdings eine Erfolgsgeschichte von sieben Generationen Familie zum Hintergrund. 1847 kaufte der aus dem Tegernseer Tal stammende Georg Sailer ein Grundstück am heutigen Hotelstandort. Er errichtete das erste Wirtshaus in Ammerland und betrieb eine zugehörige Landwirtschaft. Nur die Urgroßmutter des jetzigen Eigentümers unterbrach die Familienfolge. Als ihr Mann starb, heiratete sie den Gendarmerie-Wachtmeister Jakob Ruppert. Als Gastwirt baute er das Gebäude in der bis heute existierenden Form um. 1911 übertrug er den Besitz seinem Stiefsohn Sebastian Sailer. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, so der heutige Gastwirt Reinhard Sailer, gehörte zum Betrieb auch eine Metzgerei. Als die erwachsenen männlichen Familienmitglieder zur Armee einrücken mussten, sei diese aufgegeben worden so wie später die Landwirtschaft.

Zuverlässig Gäste brachte auch der Dampfersteg zu Hotel und Gasthaus. Doch vor zwei Jahren ließ die Seenschifffahrt die marode Anlegestelle abbauen. Um aufs Schiff zu kommen, mussten die Fahrgäste nämlich über Grund von Reinhard Sailer queren. Der jetzige Hotelinhaber wollte den Pachtvertrag dafür nur noch um ein Jahr verlängern. Das war der Seenschifffahrt zu kurzfristig.

Für einen dauerhaften Erhalt eines Tourismusbetriebs an dieser Stelle sieht die Kommunalpolitik wenig Handhabe. "Eigentlich ist das eine Goldgrube", sagt Gemeinderat Thomas Schurz (CSU) auf Nachfrage. Der Zimmerermeister kann sich gut erinnern, wie sein Vater regelmäßig zum Frühschoppen dort einkehrte. "Natürlich wäre uns eine gescheite Wirtschaft recht", sagt er aus kommunalpolitischer Perspektive.

Ratlos ist Schurz aber, wie es zu verhindern wäre, dass womöglich irgendwann einmal das Hotel in Wohnraum umgewandelt wird - so wie sich das beim früheren Gasthaus und der Metzgerei Limm in Münsing anbahnt. Er könne nachvollziehen, dass das Ehepaar Sailer so wie bisher nicht mehr weitermachen wolle. Wenn die Inhaberfamilie die Absicht habe zu verkaufen, dann habe die Kommune zwar das Vorkaufsrecht. "Aber wo nehmen wir das Geld her?", fragt Schurz. "Wir können nicht alle großen Grundstücke zurückkaufen, selbst wenn das vernünftig wäre." Das könne die Gemeinde gar nicht bezahlen, noch dazu bei einem so weitläufigen Seegrundstück.

Ähnlich bewertet dies Bürgermeister Michael Grasl (FW). Er spricht von der grundsätzlichen Planungshoheit der Gemeinde und dem möglichen Erlass einer Vorkaufsrechtsatzung. Als Beispiel nennt er das Pallaufhofareal in Münsing. Auf diesem 2008 erworbenen Grundstück realisiert die Kommune ihr neues Bürgerhaus. Im südlichen Teil ist ein Baugemeinschaftsprojekt entstanden. Für das Ammerlander Hotel am See sei ein derartiger Kauf nicht geplant. "Eine Gemeinde wie Münsing kann sich nicht verausgaben und dabei andere Projekte auf ihrer langen Liste hintanstellen", sagt Grasl. Ein Grundstückskauf wie beim Pallaufhof sei für die Gemeinde finanziell nicht alle paar Jahre zu stemmen.

Entwicklungen im familiären und betrieblichen Bereich wie beim Hotel am See sind aus Sicht des Bürgermeisters nicht kommunal zu lösen. In dieser Lage seien zwar ein Gasthaus und ein Hotel ebenso wünschenswert wie ein Dampfersteg. "Aber es muss auch Betreiber geben, die solche Betriebe heute noch stemmen und tagtäglich da sind", findet Grasl. Konsumenten, die sich einen schönen Abend im Biergarten machen wollten, redeten sich leicht, während die Gastronomie mit Lockdowns und Personalmangel kämpfe. Führe die nächste Generation die Geschäfte nicht weiter fort, könne die Kommune dies nicht verhindern. So sei es auch beim Alt- und Neuwirt in Holzhausen oder in Degerndorf gewesen.

Gleichzeitig betont Grasl den Wert zusätzlichen Wohnraums in Münsing, der allerdings bezahlbar sein müsse. "Fakt ist, dass wir mit Umwidmungen, Ersatzbauten und Veränderungen uns anfreunden müssen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: