Kultur im Oberland:"Kunsttherapie ist die Sprache, wenn Worte fehlen"

Kultur im Oberland: Warum die alte Schankanlage im Atelier geblieben ist? "Weil sie so praktische Schubladen hat", sagt Kunsttherapeutin Marianne Elisabeth Holzer.

Warum die alte Schankanlage im Atelier geblieben ist? "Weil sie so praktische Schubladen hat", sagt Kunsttherapeutin Marianne Elisabeth Holzer.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Marianne Holzer hat ihr Atelier im einstigen Altwirt eingerichtet. Wie andere Kreative öffnet sie ihre Arbeitsräume am Wochenende zur Schau "Holzhauser stellen aus".

Von Benjamin Engel, Münsing

Die Inschrift und das alte Wirtshausschild sind noch da. Im Gastraum sind die alte Schanklage mit den beiden Zapfhähnen für das Bier und die holzvertäfelte Ecknische geblieben. Marianne Elisabeth Holzer hat das im Holzhauser Altwirt so gelassen. Dafür schrubbte die 66-jährige gebürtige Partenkirchnerin den gekachelten Wirtshausboden umso intensiver und riss die nikotinimprägnierte Tapete herunter. Sie spricht von einem Ort der Begegnung: "Der Raum, wie er da ist, ist so konzipiert, dass er Leute aufnimmt." Wie einst die Gäste an den Tischen saßen, habe sie sich sofort vorstellen können.

Kultur im Oberland: Das alte holvertäfelte Wirtshauseck nutzt Kunsttherapeutin Holzer zum Ratschen mit ihren Klienten.

Das alte holvertäfelte Wirtshauseck nutzt Kunsttherapeutin Holzer zum Ratschen mit ihren Klienten.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im Januar hat die Kunsttherapeutin dort ihr Atelier eingerichtet. Die Familie Meier hat das im Jahr 1908 eröffnete Wirtshaus bereits länger geschlossen. Der geschützte Raum, den Holzer ihren Klienten sonst hier bietet, steht für Besucher am kommenden Wochenende offen. Unter dem Motto "Holzhauser stellen aus" verwandelt sich das ganze Dorf bei Münsing zum Schau- und Erlebnislabor. Handwerker, Kreative und Therapeutinnen wie Holzer zeigen, was sie herstellen und wie sie arbeiten. Orangene Fahnen weisen den Weg zu den Ausstellern der im Zwei-Jahres-Rhythmus organisierten Schau.

Kultur im Oberland: Als Kunsttherapeutin hat Holzer auch Projekte an Schulen und in Seniorenheimen umgesetzt. Psychische Beschwerden und Traumata könnten jeden treffen, sagt sie.

Als Kunsttherapeutin hat Holzer auch Projekte an Schulen und in Seniorenheimen umgesetzt. Psychische Beschwerden und Traumata könnten jeden treffen, sagt sie.

(Foto: Hartmut Pöstges)

In ihrem Atelier im Altwirt will Holzer mit den Besuchern der Dorfschau ins Gespräch kommen. Bei der Kunsttherapie gehe es darum, kreativ zu werden, sagt sie. Wichtig sei, welche Gedanken die Klienten entwickelten, während sie etwa an einem Bild arbeiteten. Damit könnten sich die Klienten im Gespräch untereinander oder mit dem Therapeuten auseinandersetzen. Über die Selbsterfahrung entwickelten sich Selbstbewusstsein und Selbstkompetenz. "Kunsttherapie ist die Sprache, wenn Worte fehlen", sagt Holzer.

Was sie damit meint, lässt sich anhand einer ausliegenden Mappe mit Bildern einer Klientin beispielhaft nachvollziehen. Im ersten Bild scheint ein kleiner Käfer vom Dunkel der nur mit schwarzer Kreide ausgemalten Fläche fast verschluckt zu werden. Das Schlussbild: die schwarzen Konturen eines Frauenportraits mit an den Körper angelegten, die Arme verdeutlichenden Strichen. Die Entwicklungsgeschichte einer von Wut und Hass auf sich selbst geprägten Klientin, so Holzer. Das Abschlussbild drücke aus, dass sie endlich wieder befreit leben wolle, die geschlossenen Augen symbolisierten den Wunsch, nicht immer wachsam sein zu müssen.

Ob das Bild für den Klienten letztlich schön oder hässlich ist, spielt in der Kunsttherapie keine Rolle. Zentral ist die Auseinandersetzung im kreativen Tun. Dafür stehen unterschiedliche Werkstoffe bereit - natürliche Materialien wie Tannenzapfen, Ton, Speckstein, flüssige Farben, Zeichenkohle oder Kreiden. All das liegt in Holzers Atelier in Kisten bereit. Im offenen Atelier können die Klientinnen und Klienten der Kunsttherapeutin ausprobieren, welches Material besonders für sie ansprechend ist. Wichtig sei es, sich vorher anzumelden, sagt Holzer. Nur so könne sie sicherstellen, dass alle Angebote im geschützten Rahmen stattfänden.

"Ich habe keine Probleme mit Menschen in Kontakt zu kommen."

Als Pragmatikerin beschreibt Holzer sich selbst. "Ich habe keine Probleme, mit Menschen in Kontakt zu kommen", sagt sie. Seit 1992 arbeitet sie als Kunsttherapeutin. Sie ist gelernte Heilpraktikerin für Psychotherapie, hat eine vierjährige kunsttherapeutische Ausbildung abgeschlossen und sich beim Münchner Professor Willi Butollo zur Traumatherapeutin und Supervisorin fortgebildet. Ihr erstes Projekt: mit Kindern basteln. Dafür habe sie sich mit einer Punkerin und Künstlerin zusammengetan, die ihre Räume bereitgestellt habe. "Die Kinder haben dann bei Punkmusik gebastelt." Das klingt ein wenig unkonventionell. Doch gerade deswegen könnte Holzer gut nach Holzhausen passen.

Kultur im Oberland: Das Haus heißt noch "Altwirt", ist aber keine Wirtschaft mehr.

Das Haus heißt noch "Altwirt", ist aber keine Wirtschaft mehr.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Zu entdecken, wie kreativ es in dem Dorf zugeht - von der Papierkünstlerin Anna Bellmann bis zum Lichtgestalter Gregory Prade - ist alle zwei Jahre immer wieder spannend. Holzer berichtet, wie herzlich sie von ihren Vermietern und den Organisatoren von "Holzhauser stellen aus" aufgenommen worden sei. Warum sie mit 66 Jahren weiter aktiv ist. "Ich habe Potenziale, die ich noch einbringen kann", sagt sie.

Samstag und Sonntag, 23. und 24. September, 11 bis 18 Uhr. www.holzhauser-stellen-aus.de

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