Sie hat nicht von ihm gelassen, bis zum Ende. So schildert Anatol Regnier in seiner Erzählung die Liebe zwischen Clara Wieck und Robert Schumann, so illustrieren es die Musizierenden des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, die hier als Streichquartett zusammenkommen. Der Konzert- und Leseabend „Ach, du mein Alles!“ der Holzhauser Musiktage leistet damit etwas Ungewöhnliches: Musik und Information zu verbinden, die Neugier an einer Liebesgeschichte zu befriedigen, ohne indiskret zu sein.
Kaum ein anderes Paar des 19. Jahrhunderts erregt so viel Neugier wie die Schumanns. Dass sie hier nicht als das power couple der deutschen Romantik erscheinen, ist dem sachlichen Ansatz Regniers zu verdanken. Mit dem Charisma des Sängers, der auch eine wunderbare Lesestimme besitzt, zeichnet er das Porträt des Paars. Der Münsinger Regnier, eine literarisch-musikalische Doppelbegabung wie Robert Schumann selbst, verbindet dabei profundes Quellenstudium mit seinem Talent, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Dazu gehört auch, die unsichtbaren Protagonisten des Abends in Zitaten hörbar zu machen: „Wenn ich mein ganzes Leben durchgehe, so bliebe ich fast immer bey der Frage stehen: bist du’s oder bist du’s nicht?“, schreibt Schumann in sein Tagebuch. Diese Unsicherheit bezieht sich automatisch auf das Streichquartett, dessen ersten Satz die vier BR-Symphoniker spielen.

Mit schwermütigem Melos setzt das Streicher-Gespräch zwischen den Geigen-Stimmen von Daniela Jung und Marije Grevink ein, fließend und gesanglich. Nicola Birkhan (Bratsche) und Hanno Simons (Cello) erweitern den Satz, entwickeln ihn mit. Hier ist jede Stimme wichtig. Das Quartett akzentuiert prägnant, hält den Satz in Bewegung. Klar ist, dass diese Besetzung eine andere Dynamik hat als ein Streichquartett, das nichts anderes tut, als gemeinsam Quartette zu spielen. Entsprechend vorsichtig bewegen sich die Orchestermusiker, Kontraste werden eingehegt. Stark bleiben die zarten Stellen, etwa die geschmackvoll gedämpfte As-Dur-Phase in diesem ersten Satz von Schumanns Opus 41 Nummer 1.
Bei aller Professionalität bleibt der Hausmusikcharakter
„Wunderschön!“, kommentiert Regnier, was ganz der Atmosphäre des Abends entspricht. Die Spielregeln des traditionellen Konzerts sind hier aufgehoben, wie die Leiterin des Klassik-Festivals, Antonia Niederländer, am Anfang betont. „Normalerweise klatscht man nicht zwischen den Sätzen eines Streichquartetts“, sagt sie. „Heute schon! Hier geht es unkonventionell zu.“ Die Stimmung in der Tenne des Lothhofs ist die eines zwanglos zusammengekommenen (wenn auch nicht kleinen) Grüppchens Interessierter, die Musik und Texten lauschen möchten. Bei aller Professionalität bleibt der Hausmusik-Charakter.

„Dem Vater werd' ich zeigen, daß ein jugendliches Herz auch standhaft sein kann“, schreibt Clara an Robert 1837, im Jahr des ersten Kusses. Regnier malt die Romanze zwischen Robert und der Tochter seines Klavierlehrers Friedrich Wieck nicht in dramatischen Farben, sondern in gemäßigtem Vokabular. Für die emotionale Anteilnahme sorgt die Musik, die nun als engagiert gestrichenes Scherzo in Presto-Leidenschaft dahinprescht. Die Beziehung festigt sich, Heiratspläne werden geschmiedet, wobei Regnier herausstellt, dass Clara durchaus nicht dazu bereit war, ihr eigenes Leben über dem Eheleben zu vergessen. Weder ihre eigene Karriere als Pianistin wollte sie aufgeben, noch die gehobenen Lebensstandards: „Also Robert, prüfe dich, ob Du imstande bist, mich in eine sorgenfreie Lage zu versetzen“, schreibt sie an ihren Freund, wie Regnier mit mahnender Stimme vorliest. Intimität findet sich im Adagio-Satz des a-Moll-Streichquartetts, dessen Poesie den Paarbriefwechsel ergänzt.
Robert Schumann hat „die Heiratserlaubnis gerichtlich erstritten“
„Robert hat die Heiratserlaubnis gerichtlich erstritten, Clara ist volljährig, der Vater machtlos“, fasst Regnier zusammen. Das jubelnde Finale des Quartetts, vital gespielt, gibt die Klangkulisse. Dazu meint man im Augenwinkel etwas flattern zu sehen. „Die Fledermäuse waren schon im letzten Jahr bei Schumann sehr aktiv“, erinnert sich Niederländer. Wer könnte es ihnen verübeln bei diesem Programm? Zumal Regnier auch die Schattenseiten des Ehelebens im Hause Schumann nicht verschweigt. Finanzielle Probleme machen Sorgen, Streit zwischen Clara und Robert, beide nicht mit Gleichmut gesegnet, belasten das Paar. Zumal Robert seine Frau ermahnen muss: Was einmal ausgestritten sei, dürfe nicht nochmal aufs Tableau gebracht werden. „Merken Sie sich das!“, sagt Regnier ins Publikum.
Die Düsseldorfer Jahre voller beruflicher Querelen zerrütten Roberts ohnehin angegriffene Psyche, und so folgt auf einen Selbstmordversuch der Aufenthalt in der „Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren“ in Endenich bei Bonn. Clara durfte ihren Mann auf Anordnung der Ärzte bis kurz vor dessen Tod nicht sehen. Herzzerreißende Stellen aus den Briefen beweisen die Verzweiflung des getrennten Paars.
Regnier ist zu klug, den Abend damit zu beschließen. Statt mit dem Tod Roberts endet er mit einer Rückblende, mit einer rührenden Nachricht Claras an Robert, in der diese ihm für seine „Kinderszenen“ dankt. Mit Schumanns „Träumerei“ in Bearbeitung für Streichquartett ziehen Regnier und seine Mitstreiter den Vorhang zu. Der Plan, Wort und Musik zu verbinden, mit dem Antonia Niederländer die traditionellen Konzertformate der Holzhauser Musiktage erweitern wollte, ist aufgegangen. Das Publikum applaudiert bewegt.