Süddeutsche Zeitung

Hörmann Automotive:"Man hat uns ins Gesicht gelogen"

Gut 200 Frauen und Männer nehmen an der Kundgebung der IG Metall auf dem Penzberger Rathausplatz teil. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze bei Hörmann Automotive an der Seeshaupter Straße.

Von Alexandra Vecchiato

"Beim Sprechen bekomme ich Gänsehaut." Andrea Distler steht mit ihren Kolleginnen auf dem Rathausplatz. Mit ihnen an die 200 weitere Männer und Frauen aus der Belegschaft von Hörmann Automotive Penzberg (HAP). Die 50-Jährige ist Betriebsrätin bei HAP. "Bei uns im Werk arbeiten ganze Familien. Eltern, Kinder, der Onkel", sagt sie. "Es ist dramatisch, was gerade passiert." Mit ihrer Meinung steht sie nicht alleine da. Groß ist die Wut. Und sie macht sich Platz am Mittwochnachmittag bei der Protestkundgebung der HAP-Mitarbeiter. Seit zwölf Jahren verzichten sie auf einen Teil ihres Gehalts, um der Firmenleitung Investitionen am Standort Penzberg zu ermöglichen. Nun muss die Belegschaft bangen, dass Arbeitsplätze abgebaut werden.

Trillerpfeifen und Plakate haben die HAP-Mitarbeiter zur Kundgebung auf dem Rathausplatz mitgebracht, zu der die IG Metall aufgerufen hat. "Wir sind hier und laut, weil ihr uns die Zukunft klaut", ist zu lesen. Oder: "Ohne Plan, ohne Visionen - seht ihr sie da oben thronen." Ein anderes Plakat fasst die Situation so zusammen: "Verträge gemacht, Investitionen nicht gebracht, dann die Firma zugemacht." Vor einer Woche hatte es bereits eine Kundgebung vor der Konzernzentrale des Automobilzulieferers in Kirchseeon gegeben. Der Vorwurf lautet: Obschon die Mitarbeiter seit Jahren Lohnverzicht leisten - im Gegenwert von insgesamt 32 Millionen Euro - investiert der Konzern nicht in die Zukunft des Penzberger Werks. Die IG Metall befürchtet, dass nur noch wenige Arbeitsplätze bestehen bleiben werden. "Die Anzahl schwankt", erzählt Bettina Dienstbier, ebenfalls Betriebsrätin bei HAP. So könnten von den knapp 700 Arbeitsplätzen nur noch 300 übrig bleiben. Die IG Metall spricht von bis zu 200.

Den Vorwurf von Betriebsrat und Gewerkschaft, keine oder falsche Investitionen zu tätigen, weist die Unternehmensleitung vehement zurück. Seit dem Jahr 2008 seien 41,2 Millionen Euro in das Werk Penzberg gesteckt worden. Die vertraglich vereinbarten Investitionen habe das Unternehmen stets eingehalten. Alle erwirtschafteten Gewinne seien vollständig in das Werk Penzberg zum Erhalt der Arbeitsplätze investiert worden.

Der geplante Neubau einer Lackiererei und einer Logistikhalle liege aus wirtschaftlichen Gründen auf Eis. Die Stadt hatte für das Bauvorhaben den Weg frei gemacht und einen Bebauungsplan aufgestellt. Der Konzern teilt mit, dass diese Maßnahmen nicht finanzierbar seien angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage. Dem Unternehmen macht nach Aussage der Zentrale die kostengünstigere Konkurrenz aus Osteuropa und das hohe Lohnniveau in Bayern zu schaffen. Deshalb will Hörmann Anfang 2019 einen Teil der Produktion in ein Schwesterwerk in der Slowakei auslagern.

"Wo ist das Geld der Leute hin?", fragt Daniela Fischer, erste Bevollmächtigte der IG Metall Weilheim. Für Fischer ist es nicht nachzuvollziehen, dass Hörmann in Penzberg ohne Lohnverzicht der Mitarbeiter nicht überleben, aber mittels Darlehen ein Werk in der Slowakei neu aufbauen kann. "Wer das macht, muss auch in der Lage sein, hier in diesen Traditionsbetrieb zu investieren." Stets seien Gewerkschaft und Belegschaft bereit gewesen, Kompromisse mitzutragen. Aber den Abbau von Arbeitsplätzen zu finanzieren, gehe zu weit, sagt Fischer. Neben ihr stehen Penzbergs Bürgermeisterin Elke Zehetner und Klaus Barthel, der 23 Jahre für die SPD im Bundestag saß. Sie sind nicht die einzigen, die sich solidarisch erklären. Ulf Wiedemann, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, liest mehrere Solidaritätsadressen vor, etwa von der Islamischen Gemeinde in Penzberg oder der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB).

Zehetner verspricht, dass sie sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einsetzen werde, soweit dies in ihrer Macht stehe. "Das Gesundschrumpfen hat ein Ende, wenn man notleidend wird" erklärt sie. "Wir sind jetzt notleidend."

Er könne sich diese dramatische Wende nicht erklären, sagt Barthel. Noch vor einem Vierteljahr habe der Konzern mitgeteilt, dass er Gewinne mache. "Und drei Monate später ist die totale Krise." Er fragt sich: "Was ist wirklich los?", und fordert: "Zahlen und Fakten gehören auf den Tisch." Zu den Plänen Hörmanns, die Produktion weiter nach Osteuropa zu verlagern, sagt er: "Viele sind dort gescheitert und reumütig zurückgekehrt."

Anfang kommender Woche will der Konzern sein angekündigtes Zukunftskonzept vorlegen - zunächst nur der Gewerkschaft und dem Betriebsrat. Am Donnerstag, 16. Dezember, wird dieses Konzept der Penzberger Belegschaft bei einer Betriebsversammlung vorgestellt. Man werde laut bleiben, kündigt Gewerkschafterin Fischer an.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2018
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