Historisches:"Flins" in Tölz

Thomas Grasberger, 2015

"Ich stelle gerne Bezüge her": Thomas Grasberger.

(Foto: Robert Haas)

Thomas Grasberger spürt der bayerischen Wirtschaftsgeschichte nach - von Max I bis Hartz IV

interview Von Stephanie Schwaderer

Mit 17 hat Thomas Grasberger seine Gymnasialzeit in Altötting unterbrochen, um freiberuflich bei der Müllabfuhr und auf Baustellen zu arbeiten. Nicht, weil er dringend Geld brauchte, sondern weil er gegen Lehrer und Eltern rebellierte. Nach dem Abitur studierte er Politikwissenschaft, Philosophie und Bayerische Geschichte, absolvierte die Journalistenschule und arbeitete als Kulturredakteur. Mittlerweile lebt er mit seiner Familie in München und verdient sein Geld unter anderem mit dem Schreiben von Büchern. Nach "Grant" und "Stenz" ist zuletzt "Flins" im Diederichs Verlag erschienen.

SZ: Flins - ein ungewöhnliches Wort. Wann ist es Ihnen zum ersten Mal begegnet?

Thomas Grasberger: Flins kennt in Altötting jeder. Auch in Niederbayern ist es weit verbreitet. In München hingegen habe ich viele Leute getroffen, die es noch nie gehört haben, das ist interessant: Das Wort spaltet offenbar die Bayern, aber ich habe da noch kein wirkliches System entdeckt.

Welche Rolle spielt der Flins für Sie?

Ich bin kein Mensch, dem Geld besonders wichtig wäre. Andererseits ist es für jeden ein Thema - vor allem für jeden, der in München Miete zahlen muss. Dass ich dem Flins ein ganzes Buch gewidmet habe, liegt aber an den Vorgängerbüchern: Nach Grant, in dem ich die philosophische Seite der Bayern beleuchtet habe, und Stenz, in dem es um Liebe, Lust und Leidenschaft geht, bot es sich an, die bayerische Wirtschafts- und Sozialgeschichte einmal genauer anzuschauen. Der Flins eröffnet einem da ja ein weites Feld. Wenn man mit einem ernsthaften Anspruch an die Sache geht, steht man schnell vor der Frage: Was nehme ich mit rein, was lasse ich weg.

Sie haben in Ihre 330 Seiten sehr, sehr viel gepackt: Max I und Hartz IV, Benediktbeurer Reliquienräuber und die Griechenlandkrise, Berthold von Regensburg und die Champions League. Was ist der rote Faden?

Die Kapitel folgen durchaus einer Chronologie, angefangen beim bayerischen Stammesrecht des frühen Mittelalters, der Lex Baiuvariorum, die gnadenlos zeigt, wie viel ein Menschenleben damals wert war, über die Fürsten der Neuzeit bis in die Gegenwart. Zugleich habe ich in alle Geschichten bewusst Anachronistisches und Brüche eingebaut. Für mich liegt der Reiz beim Schreiben nicht nur darin, historisches Wissen weiterzugeben, ich stelle auch gerne Bezüge her.

Welche Bezüge bestehen denn zu Bad Tölz und Umgebung?

Sehr viele, auch wenn die meisten Geschichten nicht an bestimmte Orte gebunden sind. Die mehr oder weniger große Lust am Teilen zum Beispiel, oder das Thema Arbeitssklaven- das sind Dinge, die in ganz Bayern aktuell sind. Aber es gibt auch eine lustige Geschichte vom Millionen-Bauern aus Neuhausen, dem Hauser Lenz, der so viel Geld hatte, dass er es mit zwei Händen nicht hat raushauen können. Seinem Vater gehörte um 1895 unglaublich viel Grund, von Ismaning bis Perlach; Boden, der im Zeichen der Stadtentwicklung Gold wert war. Weil in der Erbfolge noch ein Bruder vor ihm stand, ist der Hauser Lenz zunächst in die Metzgerlehre nach Lenggries gegangen. Dann aber waren Vater und Bruder tot, und er hat in München so richtig die Sau rausgelassen: Seine Zigarren, so erzählte man sich, soll er sich mit 1000-Mark-Scheinen angezündet haben.

Sie zitieren aus Gerichtsakten und literarischen Werken, aus Chroniken und aktuellen Studien - wie sieht Ihr Schreibtisch aus?

Im Zuge der Recherchen musste ich mir von einem Nachbarn einen Tapeziertisch für meine Handbibliothek ausleihen. Die Bücherstapel am Boden - das funktionierte irgendwann nicht mehr. Am spannendsten sind aber oft die Recherchen im Staatsarchiv, da stößt man auf wunderbare Dinge, Geschichten von Verschwendung und Sparsamkeit bis zum Exzess.

Zum Beispiel?

Ein Mann ist Monate lang mit demselben MVV-Ticket gefahren. Er hat eine spezielle Technik entwickelt, es mit Haarspray zu präparieren und das Ganze am Abend wieder abzukratzen, so dass er es wieder und wieder benutzen konnte. Allerdings war die Karte irgendwann so dabärt, also verschlissen, dass der Mann aufgeflogen ist.

Man kann aus Ihrem Buch also Einiges fürs Leben lernen?

Durchaus.

Nochmal zurück nach Tölz: Was fällt Ihnen flinsmäßig spontan zu dieser Stadt ein?

Nix, weil ich sie zu wenig kenne. Aber ich bin immer wieder gern zu Lesungen im Gasthaus, weil es da ein tolles Publikum gibt. Ansonsten hab ich den Eindruck, dass es in der Stadt schon den ein oder anderen gibt, der Flins hat. Verhungern tun's dort jedenfalls noch nicht, hab ich den Eindruck.

Donnerstag, 28. Januar, 20 Uhr, "Gasthaus", Bahnhofstraße 2, Bad Tölz; musikalische Umrahmung: Sepp "Bodo" Kloiber" (Gitarre) und Anderl Winkler (Akkordeon); Karten zu zehn Euro im "Gasthaus" und in der Buchhandlung Winzerer

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