Sommermacher im Porträt:Ein ewig Auf und Ab

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Eine Bergbahn mit Aussicht der besonderen Art ist die auf den Herzogstand. Daran erfreuen sich nicht nur die Gäste. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Sie arbeiten dort, wo andere urlauben. Immerhin müssen Mitarbeiter der Herzogstandbahn heute keine Gäste mehr per Sänfte hochschleppen. Und die Natur am Hausberg König Ludwigs II. entschädigt für viele andere Belastungen.

Von Gregor Miklik, Kochel am See

Stau am Tanneck im Dorf Walchensee am Walchensee: Wer mit der Herzogstandbahn fahren will, braucht erst einmal Platz. Einen Parkplatz, um genau zu sein, und die sind begrenzt. Immerhin: "Seit einiger Zeit kommt der Bus regelmäßig vorbei und die Anzahl der E-Bikes auf dem Parkplatz nimmt auch zu", freut sich die Seilbahn-Belegschaft. Wer die Kabinenbahn erreicht hat, wird auf der Bergfahrt mit einer spektakulären Aussicht auf den Walchensee belohnt, oben winkt dann der weite Blick ins bayerische Oberland - bei klarem Wetter bis nach München. War der Ausblick vom Herzogstand noch vor 150 Jahren ein sehr exklusives, gar königliches Vergnügen, transportiert die Seilbahn heute an Spitzentagen bis zu 4000 Ausflügler. Und bei allen Anforderungen und Herausforderungen, die der Beruf der Bergbahnführer mit sich bringt: Die Arbeitsbedingungen am Berg sind heute besser als zu Königs Zeiten.

Geschichte der Herzogstandbahn

Seinen Namen erhielt der Herzogstand 1535 durch die Bayern-Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. Seit 1865 ist die Existenz einer Aussichtsplattform verbürgt, spätestens damit war bekannt, dass man von dort einen wunderbaren Blick auf das Voralpenland hat. Bereits acht Jahre zuvor hatte König Max II. von Bayern das Herzogstandhaus erbauen lassen, in dem heute eine Gaststätte betrieben wird. Mit zum Ensemble gehört auch das Königshaus, das sein Sohn, König Ludwig II., erbauen ließ und bis zu seinem Tod oft besuchte. Nicht beim Herzogstand, aber zumindest vom Schachen ist es aktenkundig, dass sich der König durchaus auch in einer Sänfte, einer Kutsche oder im Pferdeschlitten chauffieren ließ, insofern gibt es quasi eine royale Tradition, sich bei der Bergbesteigung einer - im Ernstfall menschlichen - Aufstiegshilfe zu bedienen.

Der gebürtige Kochler Christian Blessing - hier in der Talstation - ist Seilbahnangestellter. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Der erste Sessellift wurde 1954 am Hausberg des Märchenkönigs in Betrieb genommen - mit bis zu 88 Prozent Steigung der damals steilste in Europa - und 1973 von der Gemeinde Kochel übernommen; als Anfang der 1990-er Jahre eine aufwendige Modernisierung angestanden hätte, wurde die neue Kabinenbahn geplant und in nur neun Monaten gebaut. Die Betreibergesellschaft war bayernweit das erste Joint-Venture zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft: 51 Prozent gehören der Gemeinde Kochel, 49 Prozent der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen, entsprechend richtet sich die Vergütung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes: "Wegen des Geldes alleine arbeitet hier niemand, man muss die Arbeit in dieser besonderen Umgebung schon mögen", kommentiert dies der Geschäftsführer Jörg Findeisen.

Der Weg zum Bergbahnführer

Aufgrund des umlaufenden Zugseils fahren immer zwei Kabinen gleichzeitig. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Findeisen selbst ist ein erster Beleg dieser These: Er ist 57 Jahre alt, seit dem 1. Januar 1999 dabei und stammt aus Münster, hat also für einen "unheimlich abwechslungsreichen Job" die Heimat weit hinter sich gelassen. Da habe die Freude an der Natur schon eine wesentliche Rolle gespielt. Der gebürtige Kochler Christian Blessing, geboren 1971, ist dagegen eher hineingewachsen - "ich hab' mit zunehmendem Alter meine Arbeit in diesem wunderbaren Ambiente immer mehr zu schätzen gelernt." Nach einer Lehre als Industriemechaniker und zwei Anstellungsverhältnissen in der Branche führte eine längere Auslandsreise zur Neuorientierung: "Ich hab' 1994 in der Bauphase angefangen, hab' also die Eröffnung der neuen Bahn miterlebt." Seine Berufsbezeichnung sei "Seilbahnangestellter", es gebe bei ihnen niemanden, der nur als Bergbahnführer arbeite. "Von unseren neun festen Leuten, im Sommer kommen zwei Kolleginnen für die Kasse dazu, müssen alle Alles betreuen können: die Parkplätze, Ticketverkauf, Einlasskontrolle, Kabinendienst, Wartung sowie Winterdienst". Die Mitarbeitenden sind nicht nur für die Betreuung des Schlepplifts und die Präparierung der Piste verantwortlich, sondern auch für die Instandhaltung und Verkehrssicherung der Wanderwege zum Berggasthaus und zum Aussichtspavillon. Insgesamt sind das gut 1,5 Kilometer - im Sommer schon eine lange Strecke, im Winter eine Herausforderung.

Den Ausblick auf den Walchensee genießen auch die Angestellten. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Arbeitsprofil am Berg

Die Kälte im Winter sei teilweise "heftig", sagt Blessing, sei ihm aber im Vergleich zur Hitze im Sommer fast lieber, denn gegen Letztere könne man nichts tun: "Die Passagiere stehen nur vier Minuten in der heißen Kabine, der Bergbahnführer dagegen teilweise den ganzen Tag." Die Druckveränderung vom Tal zum Berg und retour sei schon bei normaler Witterung eine Belastung für den Kreislauf: "Dass ich gerne Bergtouren mache und öfter Kajak fahre, hilft als Training bestimmt". Die Belegschaft müsse ihre Fitness auch regelmäßig mit Belastungs-EKGs beim Betriebsarzt nachweisen, übergewichtig sei da keiner; dazu komme ja auch noch, die knapp einen Kilometer lange und rund 60 Meter breite Lifttrasse immer wieder freizuschneiden - bei bis zu 88 Prozent Steigung. Trotz Hitze, Kälte oder Steigung: Dass man bei der Herzogstandbahn in der Natur arbeite, sei definitiv ein Entscheidungskriterium gewesen; und hätte ihn beflügelt: "Mit dem Bergwandern habe ich erst angefangen, als ich hier schon dabei war - die Freude daran kam mit den täglichen Erlebnissen und das hat sich bis heute nicht verändert." Allerdings fallen ihm Besonderheiten, wie beispielsweise die unterschiedlichen Lichtstimmungen und Perspektiven, im Tal und auf dem Gipfel, oder der Wechsel der Jahreszeiten, vor allem vor oder nach dem Dienst auf: "Während der Arbeit hab' ich da meistens keinen Kopf dafür." Im Winter sei es ruhiger, da könne man die Natur mehr genießen, aber man müsse mit der Kälte und den Schneemengen umgehen können. Findeisen erläutert, dass aufgrund des Naturschutzes die Bergstation 1994 ohne Überdachung geplant wurde: "Wir haben natürlich eine Schneefräse, aber die können wir auch nicht überall einsetzen."

Einmal in der Woche wird das Fahrwerk gefettet. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Schutz steht über allem

Es gibt täglich eine äußere Sichtkontrolle insbesondere der Rollen und der Schalter. In der wöchentlichen Kontrolle werden die Laufwerke der beiden Kabinen gewartet, insbesondere die Rollen gefettet. Bei der monatlichen Wartung werden die zwei Laufwerke abgehoben und alle Rollen einzeln überprüft - dazu kommt eine Unterbodenkontrolle. Und dann gibt es zwei Inspektionen pro Jahr: Die längere Wartung Ende November dauert vier bis fünf Wochen inklusive TÜV, die kürzere im Frühjahr nur 14 Tage. Nachdem die Kabinen in dieser Zeit nicht fahren, wird diese Zeit für Fortbildungen genutzt, allerdings auch für zeitintensive Arbeiten wie das Ausforsten der Bahntrasse und die Instandhaltung der Bergwege. Diese Arbeiten seien vor allem körperlich anstrengend, aber die Bergungsübungen seien laut Findeisen die größte Herausforderung: "Jeder Kabinenbegleiter muss in der Lage sein, im Notfall die Kabine zu evakuieren; die schaukelt dann irgendwo 20 Meter über dem Boden bei Dunkelheit im kalten Novemberwind. Die Passagiere werden dann panisch" - auch wenn's nur eine Übung mit Freiwilligen sei. Dass die Mitarbeitenden solche Herausforderungen meisterten, sei bei jeder Neueinstellung die Messlatte, "da hatte ich bisher offenbar ein ganz gutes Näschen," sagt Findeisen stolz.

Blick über das Laufwerk. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Freude an der Arbeit

Fast jeder Bewohner im Oberland kennt eine Seilbahn aus eigener Erfahrung, die meisten Menschen vermutlich mehrere, Sessellifte und Skilifte gehören ja auch dazu. Kaum jemand dürfte sich bewusst machen, dass diese Branche im Vergleich winzig ist. "Bei uns kennt jeder jeden", sagt Findeisen. In der Ausbildung, bei Fortbildungen, bei Verbandsversammlung treffe man national und international immer wieder die gleichen Leute - und das sei ausgesprochen herzlich, freundschaftlich und sehr kollegial, da helfe man sich auch mal mit einem Ersatzteil aus oder schicke einen eigenen Kollegen für einen Sachvortrag. "Konkurrenzdenken habe ich da noch nie erlebt. Wenn ich auf einen Kongress und zu einer Fortbildung fahre, dann treffe ich dort jedes Mal Freunde." Die Touristen "haben meistens gute Laune, da macht der Kontakt schon Spaß", meint Christian Blessing - dass sich immer einer findet, der sich beschwert, das dürfe man nicht überbewerten.

Christian Blessing. (Foto: Gregor Miklik/OH)

Findeisen fallen in den vergangenen Jahren positive Entwicklungen auf: Der Wunsch, Zeit in der Natur zu verbringen, insbesondere bei jüngeren Menschen. Der Wunsch, in der Freizeit - vielleicht auch kostenbedingt - nicht allzu weit zu verreisen. Und eine Korrektur: "Vor Corona hatten wir leider oft Leute mit völlig unangemessenen Erwartungen - das hat sich seit dem Lockdown deutlich verbessert, die Leute sind wieder dankbarer." Dabei profitiere die Belegschaft der Herzogstandbahn von der Haltung der Betreiber: "Wir haben mit bis zu 4000 Beförderungen an Spitzentagen und mehr als 150 000 Beförderungen in guten Jahren eine sehr hohe Auslastung". Aufgrund der hohen Investitionskosten sei man als - laut Findeisen - "günstigste Großkabinenbahn in Bayern" trotzdem nur knapp profitabel, "aber die Eigentümer sind mit der knappen Rendite offenbar zufrieden, die Kunden freuen sich über günstige Preise und wir freuen uns über gut gelaunte Gäste."

Angekommen: Heute geht es für Gäste der Bahn bequem bis ganz nach oben am Herzogstand. (Foto: Gregor Miklik/OH)
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