Mit der Heimat ist das so eine Sache. Für die einen ist Blasmusik der Trigger fürs Heimatgefühl, die anderen flippen bei Robert Schumanns „Rheinischer“ selbst im australischen Konzertsaal aus. Heimat hat viele Gesichter, Gefühle, Gerüche, mit deren Ergründung sich Generationen von Forschenden beschäftigt haben. Das beginnt nicht erst mit dem heute leider oftmals verkitscht dargestellten Zeitalter der Romantik und der Suche nach der mythischen blauen Blume. Deren „Erfinder“, der Dichter Novalis, hat in seinem Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ die Blaue Blume zum Symbol des Strebens nach der Harmonie von Vergangenheit und Gegenwart, Endlichem und Unendlichem, Natur und Geist und nicht zuletzt der Liebe gemacht.
Heutzutage müssen oder wollen Menschen mehrfach in ihrem Leben eine neue Heimat finden, haben also mehrere „Heimaten“ wie es der Publizist, Filmemacher und frühere Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler genannt hat. Für ihn sind diese Heimaten nicht nur real existierende Orte, sondern auch Gefühle, Erinnerungen Kunst, Literatur und Musik. Gerade die Musik – in welcher Ausdrucksform auch immer – kann Menschen ein heimatliches Gefühl vermitteln.
Wie steht es also Höchste Zeit also um das Heimatuniversum Musik?Der Pianist und Hochschullehrer Markus Kreul erforscht in der kommenden Woche beim Meisterkurs in Benediktbeuern mit zwölf Musikerinnen und Musikern aus fünf Nationen genau dieses Thema. Und er stellt die Frage: Ist Heimat ein Ort oder ein Gefühl? Dazu sagt Kreul: „Unsicherheit, Einsamkeit, Isolation sind Gefühle oder Zustände, die wir alle kennen. Wenn wir aber Musik aus oder über unsere Heimat, Herkunft oder Gemeinschaft hören, empfinden wir Geborgenheit. So, wie wir sie vielleicht in unserer Kindheit gespürt haben. Heimat ruft in mir Bilder aus meiner Kindheit wach.“ Als Kind habe ihm Heimat ein Gefühl von Sicherheit und innerer Freiheit geschenkt. „Alles schien möglich.“
Die Pianistin und Klavierpädagogin Enisë Shala lebt und arbeitet in Pristina. 1998/1999 war die Hauptstadt des Kosovo in den Jugoslawienkriegen stark umkämpft. Bis heute gibt es Spannungen zwischen Kosovo und Serbien. Was ist für die Pianistin Shala also Heimat? „Weniger ein physischer Ort als vielmehr ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es ist der Ort, an dem man ganz man selbst sein kann, an dem die eigene Geschichte ohne Erklärungen verstanden wird. Heimat ist der Ort oder sind die Menschen, die deine frühesten Erinnerungen, Gerüche, Geräusche und sogar die Stille, die dich geprägt haben, in sich tragen.“

Sie spricht davon, wie tief „die Idee der Heimat“ in der Musiktradition ihres Landes verwurzelt ist. „Viele Lieder haben patriotische Themen oder drücken die Liebe zu den Landschaften und Jahreszeiten aus, mit denen wir aufgewachsen sind.“ Mit Blick auf den Meisterkurs hat sie ein Programm erarbeitet, „das zu meiner persönlichen musikalischen Landkarte geworden ist, die meine Herkunft und meinen aktuellen Wohnort miteinander verbindet“.
Für die aus Aserbaidschan stammende Pianistin Ayla Schmitt ist der Schwarzwald längst Heimat geworden. Die Sopranistin Susanne Müller stammt aus dem Schwarzwald und ist der buchstäblich sagenhaften Landschaft zu tiefst verbunden. Was lag also näher, als dieser Region die Reverenz zu erweisen? Sängerin und Pianistin arbeiten daher gerade an einem multimedialen Programm, das Musik, Naturgeräusche und Bilder zu einer „Heimatgeschichte“ verbindet. Schmitt sagt: „In der Heimat kommt man zur Ruhe, ob im Krieg oder im Frieden. In der Heimat ist es bekannt und gewohnt. Die Heimat ist nicht immer da, wo man geboren ist, doch sie ist immer da, wohin man stets zurückkehren möchte.“
Der siebzehnjährige Anton Bruder besucht das musische Pestalozzi-Gymnasium in München und ist seit Jahren Stammgast beim Meisterkurs. Für ihn ist „Heimat da, wo es Leute gibt, die man liebt“. Und alles, was diese Leute, die man liebt, ausmacht, was man mit ihnen verknüpft: die Witze, das Essen, die Landschaft, der Eisbach, die Seen, die Kirchen. Hat er auch eine musikalische Heimat? Bruders verblüffende Antwort: „Ich fühle die Idee von Heimat am stärksten bei Rachmaninov. Nostalgie heißt ja Heimweh. Und bei Rachmaninov ist die Nostalgie, diese Sehnsucht nach der Heimat, am intensivsten fühlbar.“
Die Künstlerinnen und Künstler sind am Dienstag und am Donnerstag, 26. und 28. August, im Don-Bosco-Saal des Zentrums für Umwelt und Kultur (Zuk) Benediktbeuern sowie am Freitag, 29. August, im Barocksaal des Klosters Benediktbeuern zu erleben. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr (Einlass 19 Uhr), der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.

