Süddeutsche Zeitung

Kunstwerk für Tölzer Neurokom:Das neue Leben des Birdman

Nach einer Hirnblutung kämpft sich der Künstler Hans Langner in Bad Tölz anderthalb Jahre lang zurück ins Leben. In einem Atelier entstehen dort mehr als 300 Werke. Ein großformatiges Bild in Gold hat er der Reha-Klinik nun geschenkt.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Kunst kann Leben retten. Über diesen Satz, der so wahr ist, wie er klischeehaft klingt, muss Hans Langner nicht lange nachdenken. Ja, sagt er, "die Kunst ist das, was mich wieder gesund gemacht hat". Und ja, sie sei für ihn lebensrettend gewesen. Der als "Birdman" bekannte Multimediakünstler sitzt im Foyer der Reha-Klinik Neurokom im Tölzer Kurviertel, wo er nach seiner Hirnblutung, die er im Januar 2019 auf Malta erlitten hatte, anderthalb Jahre lang in Behandlung war. Er lacht oft, er winkt Bekannten und Freunden zu, er ist guter Dinge, er ist wach und bei klarem Verstand. Gerade hat er das großformatige Bild enthüllt, das er in seiner langen Reha-Zeit gemalt und nun Neurokom geschenkt hat: Auf goldenem Grund fliegen bunte Vögel aus der Tiefe in Spiralen dem Betrachter entgegen. Ein Motiv voller Freude und Lebenskraft. "Mir geht es so gut wie eh und je", sagt Langner.

Das war nicht unbedingt zu erwarten, als ein Aneurysma in seinem Kopf platzte und sein Leben vor dreieinhalb Jahren schlagartig veränderte. Damals lebte der Träger des SZ-Tassilo-Preises noch in Wien, künstlerisch lief alles gut für ihn, seine Werke waren in New York und Chicago zu sehen. Aber nach dem Schicksalsschlag auf Malta war von einer Sekunde zur nächsten alles anders. "Das kennt man ja so nicht, plötzlich wird man in etwas hineingeworfen, muss nun so sein und so leben", erzählt der 57-Jährige. Er konnte sich an viele Dinge nicht mehr erinnern. "Das sind Verluste, die man dann eben hinnimmt." Als frustrierend empfand er vor allem, dass er seine rechte Hand nicht mehr bewegen konnte, "ich musste alles mit links malen, das hat keinen Spaß gemacht". Dies hat sich inzwischen erheblich gebessert, die rechte Hand lässt sich wieder einigermaßen gebrauchen. "Ich habe von Anfang an viel geübt", sagt der Birdman. Zum Beispiel, indem er beidhändig auf seine Brust trommelt. Auch seine Sicht war auf dem rechten Auge stark eingeschränkt. "Ich stieß überall an", sagt er. Und das gehe ihm noch immer so.

Die Folgen der Hirnblutung warfen den Künstler in einen Zustand, den er 2016 in einer Performance eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht hat. Für seine "Entkäfigung" ließ er sich damals zwei Tage lang in die Zelle eines leer stehenden Gefängnisses sperren, dann auch in ein Käfigkostüm. "Ich verspüre Gefangenschaft", rief er in dieser Performance: "Es schmerzt!" Das quälende Gefühl der Enge und des Eingesperrtseins gab ihm auch seine schwere Erkrankung. Langner habe vorher in seiner Kunst beschrieben, was er dann "selbst live erlebt" habe, sagt Tim Mrzyglod, Geschäftsführer der Tölzer Reha-Klinik, die auf Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzungen spezialisiert ist. "Er hat berichtet, wie er ausbrechen möchte."

Das gelang ihm bei Neurokom auch. "Ich habe zu meinem alten Ich zurückgefunden", betont der Künstler. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, dass seine Medikamente allesamt richtig eingestellt waren. Nicht minder wichtig war aber auch die Werkstatt, wo er im Zuge der berufsbegleitenden Therapie in der Reha-Einrichtung arbeiten konnte. Dort freundete er sich mit Jochen Götz an. Anfangs, erzählt der Schreiner, habe man Langner gesagt: "So, jetzt mal mal ein Bild." Aber so einfach funktioniere das nicht. Eine Konzeption lasse sich nicht über jeden Patienten stülpen, man müsse wachsam, aufmerksam sein, so Götz. Also bekam der Künstler ein eigenes Atelier in einem ehemaligen Lagerraum - und ein therapeutisches Wunder geschah. In den ersten drei Monaten, erzählt der Schreiner, seien mehr als 300 Werke entstanden - "das war unglaublich, das hat nur so herausgesprüht". Vom ersten Tag im Atelier an war es für Schreiner Götz "schön zu sehen", wie sich sein Künstler-Freund hin "zu seinem alten Ich entwickelt".

Ehe er sein großformatiges goldenes Gemälde im Foyer von Neurokom enthüllt, sagt Langner, dass er sich nach seiner Reha jetzt "wie neugeboren" fühle. Von Dezember 2020 bis Anfang Juni dieses Jahres hatte er in der Einrichtung gelebt und gearbeitet, "ich kann jetzt wieder von vorne anfangen". Für Geschäftsführer Mrzyglod sind diese Worte das höchste Lob, "sie alleine sind ein Geschenk", sagt er. Die Neurokom-Patienten hätten ihre jeweils eigenen Methoden, um aus dem tiefen Loch nach dem Schicksalsschlag herauszukommen, bei Langner sei dieser Weg die Kunst gewesen.

Der 57-Jährige, der einstmals im Ratzenwinkl bei Tölz lebte, wäre gerne noch ein wenig in der Klinik im Kurviertel geblieben. "Ich hätte gerne verlängert", sagt er. Nach seiner Entlassung hat er es jedoch alles andere als schlecht getroffen. Hoteldirektorin Ulrike Kless-Böker hat ihn zu sich nach Starnberg genommen und stellt ihm dort sogar ein eigenes Atelier zur Verfügung. Eine goldene Zeit für den Birdman? Ja, sagt er und lacht: "Meine neue Farbe ist Gold."

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