Süddeutsche Zeitung

Handwerk in Bad Tölz-Wolfratshausen:Mangelware Mitarbeiter

Wenig Nachwuchs und der Trend zum Studium stellen den Arbeitsmarkt vor Probleme. Auch im Landkreis bleiben viele offene Stellen unbesetzt. Abhilfe sollen Ausbildungsförderungen schaffen - und der Zuzug aus dem Ausland.

Von Sophia Coper, Bad Tölz-Wolfratshausen

Seit ein paar Monaten ziert das Auto von Elektro Mayr aus Bad Tölz neben Logo und Kontaktdaten ein zusätzlicher Sticker: "Mitarbeiter gesucht", ist darauf zu lesen. Er wäre glücklich, wenn er den Aufkleber endlich abnehmen könnte, sagt Inhaber Christian Mayr. "Aber der bleibt wohl noch eine Weile dran."

Wie Mayr geht es momentan vielen Meistern und Unternehmen, denn der zunehmende Fach- und Arbeitskräftemangel macht sich auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen seit längerem bemerkbar. Nicht nur bei Elektroinstallateuren ist die Nachfrage groß, der Trend zeichnet sich branchenübergreifend ab. Egal ob im Handwerk, Tourismus oder Dienstleistungsbereich. Die Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern (IHK) berichtet, dass in Bayern aktuell 233 000 Arbeitskräfte fehlen. Besserung ist nicht in Sicht. Bis 2035 könnte die Zahl auf 1,3 Millionen ansteigen. Insbesondere in Handwerksbetrieben werden dringend Menschen gesucht. Laut der zuständigen Agentur für Arbeit Rosenheim gibt es in Bad Tölz-Wolfratshausen derzeit 159 offene Stellen in Handwerksbetrieben. Besonders betroffen sind Mechatronik-, Energie- und Elekroberufe. Es fehlen aber auch Fliesenleger und Mitarbeiter im Hoch- und Tiefbau.

"Wir haben keinen Fach-, sondern einen allgemeinen Arbeitskräftemangel", seufzt Elfriede Kerschl, Referatsleiterin für Fachkräfte bei der IHK. "Und wir stehen hier erst am Anfang." Gespräche über unbesetzte Stellen führt sie häufig: "Grund für die allgemeine Notlage ist vor allem der demografische Wandel", sagt sie. Deutschland altert, auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik ist die natürliche Bevölkerungsentwicklung negativ - die niedrigen Geburtenraten gleichen die Sterbefälle nicht aus. Jeder Renteneintritt stellt also ein potenzielles Problem für Unternehmen dar. Schließlich muss die frei gewordene Stelle neu besetzt werden.

Gefüllte Hörsäle, leere Berufsschulen - anstatt eine Lehre in Erwägung zu ziehen, entscheiden sich immer mehr junge Menschen nach dem Schulabschluss für ein Studium. Jens Christoph Ulrich, Pressesprecher der Handwerkskammer für München und Oberbayern, sieht darin den Hauptgrund des Fachkräftemangels. "Es hat sich in den letzten Jahren bei Jugendlichen und Eltern die Einstellung verfestigt, dass man nur mit einem Studium die Karriereleiter hochklettern kann", sagt er. Diese Auffassung entspreche aber nicht der Realität. Gerade die Ausbildungsvergütung raube dem Argument, Akademiker würden besser verdienen, die Kraft: "Im Bauhauptgewerbe verdient man im ersten Ausbildungsjahr über 900 Euro pro Monat." Nach abgeschlossener Gesellenprüfung gebe es Arbeitsplatzsicherheit und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Als erstes deutsches Bundesland biete Bayern ab 2024 eine kostenlose Fortbildung zum Meister an: "ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung von akademischer und beruflicher Bildung", findet Ulrich. "Studieren wird schließlich auch staatlich bezuschusst."

Kerschl von der IHK pflichtet den Forderungen Ulrichs, Ausbildungsberufe verstärkt zu fördern und zu bewerben, bei. Doch sieht sie noch weitere Handlungsmöglichkeiten. "Es muss unbedingt das Inlandspotenzial ausgeschöpft werden." Viele Frauen würden gerne mehr arbeiten, seien aber aufgrund von Kinder- und Betreuungspflichten in ewiger Teilzeit gefangen, sagt sie. "Hier gilt es von staatlicher Seite Strukturen zu schaffen, um arbeitswillige Mütter zu entlasten." Zudem könne man dem demografische Wandel nicht ohne Zuzug entgegenwirken. "Wir brauchen bessere Möglichkeiten, um Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland zu uns zu holen", sagt Kerschl.

Dass das seit 2020 geltende Fachkräfteeinwanderungsgesetz in diesem Jahr überarbeitet werden soll, bewertet Kerschl positiv. Dennoch sieht sie noch Luft nach oben. "Wichtig ist vor allem die Berufserfahrung." Sei die vorhanden und der Arbeitsplatz fest zugesagt, sollte einer Anstellung ausländischer Fachkräfte nichts im Wege stehen, findet sie. Das Gesetz gestatte diese aber nach wie vor nur mit einer staatlichen Ausbildung - auch wenn diese in einem völlig anderen Berufsfeld stattgefunden habe. Ein ausgebildeter Landschaftsgärtner dürfte nach Deutschland ziehen, um auf dem Bau arbeiten, ein Mann mit mehreren Jahren Erfahrung in der Branche ohne eine offizielle Qualifikation jedoch nicht, erläutert Kerschl. "Da sehen wir Nachbesserungspotenzial."

Im Landkreis gesellt sich noch ein weiteres Problem hinzu. "Wir haben einen riesigen Wohnraummangel", betont Renate Waßmer, Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses und Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen. Die Nähe zu München, aber insbesondere die hohen Baukosten und langjährigen Genehmigungsverfahren für Neubauten erschwerten es potenziellen Arbeitswilligen, sich niederzulassen. Oft seien Leute bereit zu kommen, es scheitere aber an einer geeigneten Bleibe. Das sei schade, sagt Waßmer. "Leider sehe ich hierfür im Moment keine wirkliche Lösung."

All diese angesprochenen Problemfelder bestätigt Elektroinstallateur Mayr. Einmal wollte er einen Iraner in seinen Betrieb nach Tölz holen, erzählt er. Das sei aber an dessen fehlender beruflicher Ausbildung gescheitert - obgleich der Mann schon jahrelang in Deutschland als Installateur gearbeitet hatte. Azubis habe er tatsächlich gerade, aber dennoch sei Not am Mann. "Ich muss leider tolle Aufträge absagen, weil ich nicht genug Leute dafür habe." Für größere Aufträge sei sein Betrieb bis Weihnachten ausgebucht. Der Kampf um die Arbeitskräfte sei groß, kleine Betriebe würden häufig von größeren Industriebetrieben wie Roche ausgebootet, die mit deutlich besseren Gehältern locken könnten. "Ich würde gerne mehr zahlen", sagt Mayr, "aber unsere Angebote sollten im Bereich des Leistbaren bleiben."

So bleibt der Appell an die Jugend aus der Region, handwerkliche Werdegänge nicht per se auszuschließen, sondern ihnen eine Chance zu geben. Renate Waßmer sieht das momentan als eine der wenigen Möglichkeiten, dem Arbeitskräftemangel entgegenzusteuern und die Wohnraumproblematik sanft zu umschiffen. "Vielen jungen Leuten ist gar nicht bewusst, wie sinnvoll eine berufliche Ausbildung ist."

Gerade in Hinblick auf die Energiewende ist eine Gesellentätigkeit ein gesicherter Arbeitsplatz fürs Leben: Häuser dämmen sich nicht von alleine und Photovoltaikanlagen müssen aufgebaut und regelmäßig gewartet werden. Das Handwerk sei natürlich manchmal auch unbequem, sagt Elektroinstallateur Mayr. Aber jede Baustelle sei anders und das mache den Beruf abwechslungsreich und interessant. Die Arbeit sei erfüllend: "Am Ende des Tages hat man mit seinen Händen etwas geschaffen."

Die Bundesagentur für Arbeit in Rosenheim informiert über Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie Stellenangebote und Bewerbungsprozesse in der Region. Mehr über Telefon 08031/202222 oder per E-Mail an rosenheim.berufsberatung@arbeitsagentur.de

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