Leerstand in Wolfratshausen:Wieder schließen Geschäfte in der Altstadt

Leerstand in Wolfratshausen: All diese Geschäfte stehen in der Marktstraße leer (zum Vergrößern klicken, gezeigt sind die Hausnummern).

All diese Geschäfte stehen in der Marktstraße leer (zum Vergrößern klicken, gezeigt sind die Hausnummern).

Die Läden prägen die Marktstraße teils seit Jahrzehnten. Die Stadt schafft es nicht, den Abwärtstrend aufzuhalten.

Von Pia Ratzesberger, Wolfratshausen

Tobias Krätschmar krempelt die Ärmel hoch, ja, wo soll er denn nur anfangen. Er schnauft. Es ist ein wütendes Schnaufen. Krätschmar steht an der Kasse in seinem Laden am Marienplatz 3, in der Mitte der Marktstraße, umrahmt von Kunststoffengeln, Fruchtgummis und Quietschenten mit Sonnenbrille. Was man eben so da hat in einem Geschenkehandel. "Mei", sagt er und hebt die Schultern. Mei, früher, da habe man sich um die Immobilien in der Marktstraße noch geprügelt. Früher sei hier kein Geschäft leergestanden, in der wichtigsten Meile der Stadt. Irgendwann aber blieben die ersten Schaufenster dunkel. Die ersten Fassaden verschmutzten, die Malereien an den Hauseingängen verblassten. Seit fast 20 Jahren sperrt Krätschmar, blauer Pullover, kurz geschorenes Haar, jeden Morgen sein Geschäft auf, doch wenn er heute links und rechts die Straße entlang sieht, muss der gebürtige Wolfratshauser sagen: Er fürchtet um seinen Markt.

Im Geschäft des ehemaligen Foto-Speedy am Obermarkt 18 (siehe Grafik) strahlen den Passanten jetzt weiß gestrichene Räume entgegen, genau wie im früheren Tchibo-Laden. Bereit für den nächsten Einzug, der nicht kommen mag. Ende Dezember hat der Optiker Emberger auf der gegenüberliegenden Straßenseite zugemacht, er fasst seine beiden Filialen in einem neuen Geschäft an der Sauerlacher Straße zusammen.

Die blanken Schaufenster mahnen, die verbliebenen Händler bangen

Ein paar Häuser weiter, in der Loisach-Passage, macht zum 31. März Stoff-Creativ nach Jahrzehnten dicht, am Untermarkt 45 Reiners Musikladen zum 31. Januar. Und der Feinkostladen Cantinetta am Untermarkt 17 wird ebenfalls schließen, die Besitzerin weiß nur noch nicht wann - erst müssen noch alle Weine verkauft werden. Es wird leer am Markt in Wolfratshausen. Die blanken Schaufenster mahnen, die verbliebenen Händler bangen. Sie fürchten, dass auch ihre Schaufenster irgendwann weiß strahlen werden.

Wann das alles angefangen hat in Wolfratshausen? Krätschmar lächelt und dreht sich. Er geht nach hinten ins Büro, zieht ein Blatt Papier aus einem Stapel und ruft ein wenig triumphierend in den Ladenraum: "Das kann ich ganz genau sagen, das war 2006." In diesem Jahr ist Krätschmars Umsatz zum ersten Mal bedeutend eingebrochen. Während der 41-Jährige früher allein Süßigkeiten verkaufte, ist nach und nach immer mehr Tand hinzugekommen, Weißwürste aus Marzipan, Helium-Luftballons in Form von Hello Kitty. "Schnickschnack ohne Ende", sagt Krätschmar. Für den Sommer wird er bald bayerische Schwimmbrezen aus Gummi bestellen, denn nur mit diesem "Schnickschnack" kann er seinen Laden halten, sagt er. Dass in der Markstraße immer mehr Geschäfte zumachen, immer weniger Passanten zum Einkaufen kommen - wobei wohl keiner gewiss sagen kann, was dabei Auslöser und was Folge ist - führt Krätschmar auch auf die Einbahnstraße zurück. Früher konnte man von beiden Seiten in die Marktstraße fahren, dann aber setzte die Stadt durch, sie nur noch von der Bahnhofsstraße aus befahrbar zu machen, um den "Verkehr zu beruhigen".

Geretsried hat alles, was die Marktstraße nicht hat

Beruhigt ist der Verkehr nun , das kann man schon sagen . Allerdings mit der Konsequenz, dass jeder der aus Gelting oder Waldram über die Königsdorfer Straße ins Zentrum fährt, erst einmal einen großen Bogen um die Altstadt machen muss, an Bahnhof und Amtsgericht vorbei, gerne auch im Feierabendstau. Manche Einkäufer aus dem Süden biegen lieber gleich ab nach Geretsried. Dort gibt es kostenlose Parkplätze, Supermärkte, sogar ein Einkaufszentrum. Kurzum alles, was die Wolfratshauser Marktstraße nicht hat.

Die Belebung der Altstadt, das war schon vor zwei Jahren Thema des Wahlkampfes, alle Parteien warben mit ihren Ideen um Stimmen. Was sich seitdem getan hat? Fritz Schnaller (SPD), Zweiter Bürgermeister, legt den Staubsauger zu Boden, stützt die Hände auf den hölzernen Tresen, in seiner Antiquitätenstube am Obermarkt 26. Schnaller hat das Glück, vielleicht aber auch das Pech, sich gleich in zweifacher Funktion mit dem Wandel der Marktstraße auseinandersetzen zu müssen. Als Politiker. Und als Geschäftsmann. Vor acht oder zehn Jahren habe der Stadtrat ja bereits beschlossen, dass man den Markt zur ebenen Flaniermeile ohne Gehsteige ausbauen wolle, sagt er. Ein Blick aus dem Fenster: Ja, die Gehsteigen sind auch zehn Jahre danach noch da. Schnaller wiegelt ab, das brauche Zeit, die Stadt könne den Umbau der Markstraße schließlich nicht im Alleingang beschließen, weil die zur Bundesstraße B11 gehöre. Dazu brauche es eine Genehmigung, von ganz oben, aus Berlin. Beantragt habe man diese Genehmigung noch nicht, immer wieder gibt es Gespräche. Schnaller aber bleibt trotzdem dabei: Entweder gestalte man das Stadtzentrum jetzt entsprechend um. Oder die Straße werde veröden.

Stundenlohn eines Geschäftsinhabers? 90 Cent

Die Bürgersteige bedeckt an diesem Nachmittag allein eine dünne Schicht aus Schnee und Wasser, Passanten sind nur wenige zu sehen. Im Café nebenan sitzt kein einziger Gast, die Auslage ist noch gut bestückt. Man könnte sie auch jetzt schon sehen, wenn man wollte, die Einöde.

Doch Ines Boodevaar, Geschäftsführerin von gleich drei Bekleidungsläden in der Marktstraße, würde sagen: Ist Ansichtssache. Sie steht in ihrem Geschäft am Untermarkt 6, Ende der 90er-Jahre hat sie die Verkaufsfläche hier noch einmal um fast ein Drittel erweitert. Daran hat sich nichts geändert und daran will sie auch nichts ändern. Genau wie an der Zahl ihrer Mitarbeiter, 32 sind für sie tätig. Viele davon beraten die Kunden noch persönlich. "Die leeren, dunklen Schaufenster scheinen manchmal alles zu überblenden", sagt die 50-Jährige. Dabei gebe es doch noch viele Kaufleute in Wolfratshausen, die ihr Geschäft permanent weiterentwickelten, die ihre Stammkunden hielten, die für den Markt kämpften. Wie sie.

Für einen Kampf jedoch braucht es wohl nicht nur Wille, es braucht immer auch Geld. Reiner Hergrüter, bis Ende Januar noch Geschäftsführer des Musikladens am Untermarkt, hat sich einmal seinen Stundenlohn des vergangenen Jahres ausgerechnet. Er lag bei 90 Cent. Brutto.

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