Süddeutsche Zeitung

Haarige Herren:Ein Bart in der Menge

In Steingau bei Dietramszell gibt es einen Verein, dem Männer nur angehören können, wenn sie sich das Gesichtshaar wachsen lassen. Erlaubt sind alle Formen

Von Christa Gebhardt 

Stoagar", wie die Einheimischen ihren Ort Steingau im Dietramszeller Gemeindegebiet nennen, gab es schon im frühen Mittelalter. Bereits 817 wurde er urkundlich erwähnt. Allerdings ist im Urkundenbuch keine genaue Jahreszahl genannt. Dort steht lediglich, dass "im vierten Regierungsjahr Ludwigs des Frommen" zwei Brüder aus "Steincoi" ihren Landbesitz dem Freisinger Bischof vermachten. Weil auch ungefähr 1200 Jahre Steingau ein guter Grund zum Feiern ist, wurde das Jubiläumsfest geplant. Das war neben Ritteressen, Theateraufführungen, Jubiläumskonzert und Passionssingen die Geburtsstunde des Bartklubs, der anlässlich des großen Dorfereignisses wieder belebt wurde.

Zu Faschingsbeginn am 11. November 2016 fiel beim "Bartclub Steingau" der Startschuss fürs ungehemmte Bartwachstum. Das erste Klubtreffen im Gasthof Steinbacher sollte vierzehntägig bis zum Faschingsdienstag fortgesetzt werden. Mit Andreas Hölzl, dem Initiator des Bartklubs trafen sich die ersten Mitglieder, unter ihnen Martin Thalhammer und Sepp Schlickenrieder, deren Gesichter damals noch glatt waren wie Babypopos. Zwei Wochen später trugen sie schon Vollbart. Nach zwei Monaten setzte eine gewisse Bartgewöhnung ein, das anfängliche Jucken und Kratzen hörte auf, und die Bärte wurden schön kuschelig, was auch die Ehefrauen und die Töchter der Bartträger feststellen konnten.

Für die Klubmitglieder galt damals die Vorschrift, sich etwa vier Monate nicht zu rasieren. Und das wurde auch bei Strafandrohung (etwa Kesselfleischessen für das ganze Dorf) durchgehalten. So viele Bärte sprossen noch nie in ein paar Monaten. Und der Zulauf zum Verein wurde immer größer und bei jedem Treffen meldeten sich neue Interessenten.

Martin Thalhammer und Andreas Hölzl sind nicht die einzigen Bartmänner, die bis heute durchgehalten haben. Selbst während der heißen Sommerwochen in diesem Jahr haben sie ihre Bärte behalten. Eine große Rolle für die Wiederbelebung des "Wildwuchsvereins" hat schon die Jubiläumsfeier gespielt, aber auf jeden Fall auch die Gaudi. Garantiert unpolitisch sei ihr Bartverhalten, erklärt Andreas Hölzl, "es war und ist ein Anlass sich zu treffen, anstatt vor dem Fernseher zu versauern." Bärte sind jedenfalls seither in Steingau definitiv "in". Jetzt bleiben sie dran, erklären Martin Thalhammer und Andreas Hölzl. Man hat da wohl ein Zeichen gesetzt, denn Männer, die vorher nie einen Bart hatten, tragen jetzt einen.

Etwa 80 Mitglieder hat der Bartverein. Das ist jetzt so was wie ein Erkennungszeichen in Steingau und auch eine Haltung, der auch die Hitze nichts anhaben kann: "Bart hat man, oder man hat ihn nicht". Als vor mehr als 150 Jahren der erste Bartklub in Steingau gegründet wurde, hat man festgestellt, dass Männer mit Bart immer schon eine große Rolle gespielt haben. Für das Jahr 1899 ist die Existenz eines Bartklubs belegt. Von Generation zu Generation wurde die Barttradition seither weitergegeben. Die historische Fotografie der Gründungsväter hängt gleich am Eingang des Stammwirtshauses Steinbacher. Deren Bärte sind allerdings deutlich länger als die gepflegten Kurzbärte von Hölzl und Thalhammer.

Haariger Stammtisch

Wer sich Anregungen holen möchte, welche Frisuren im Gesicht gerade angesagt sind, dem sei ein Besuch im Wirtshaus Steinhauser in Steingau empfohlen. Dort treffen sich die Vereinsmitglieder des Bartklubs zu ihrem Stammtisch, meist sonntags nach der Kirche. Steingau ist ein Gemeindeteil von etwa 60 Dörfern, Weilern und Einöden, die zu Dietramszell gehören. Etliche Nachbarorte von Steingau wie Hechenberg, Ascholding oder Linden haben ihren Ursprung ebenfalls bereits im frühen Mittelalter. Und natürlich haben alle ihre Wirtshäuser, die Treffpunkte der Einheimischen. Der Huberwirt in Linden ist darüber hinaus gewachsen. Das große Wirtshaus ist eine Kombination aus Schmankerlküche, Bedarfsgaststätte, Cateringservice und Pension und ist in ganz Dietramszell bekannt. Aus dem "Oidn Stoi" wurde ein Festsaal mit viel Holz und landwirtschaftlichen Deko-Elementen. Hier finden Theateraufführungen, Konzerte, Hochzeiten und andere Feste mit bis zu 150 Personen statt. Familie Mayer öffnet nach Vereinbarung. Feiern darf man da bis in die frühen Morgenstunden. www.huber-schmankerl.de. cgt

"Vorschriften für Bartformen gibt es bei uns nicht." Während in anderen Bartvereinen, die es weltweit und nicht nur in Bayern gibt, Formregeln für exakt geschnittene Schnauzer, Backenbärte oder Kinnbärte fest gelegt werden, ist beim Steingauer Wildwuchsverein alles erlaubt. "Flaum gilt bei uns auch!" Da sind sie sich einig, schließlich seien da Bärte dabei, die ausschaun wie vom "Oachkatzl zammkratzt".

Die Männer im Klub sind von 17 bis 74 Jahre alt. Und bei den Jungen wächst der Haarpelz halt noch nicht so üppig. Selbst Hipsterbärte, Dreitagebärte wie sie die "Stoderer" gern tragen, würden die Steingauer durchgehen lassen. "Mitmachen kann bei uns jeder", wenn's sein muss auch ein Münchner. Aber nur, wenn das Komitee einstimmig den Daumen nach oben halten würde.

Martin Thalhammer glaubt, dass sein üppiger Bartwuchs weniger eine Sache des Alters als der Veranlagung ist: "Ich hab mich schon mit 13 rasieren müssen." Bei Andreas Hölzl setzte das Bartwachstum schon viel früher ein, "ich habe schon mit drei einen Bart gehabt!". Miteinander lachen, Gaudi halt, ist eigentlich der wichtigste Grund für die Bartträger von Steingau. Auch der Pächter des Wirtshauses Steinbacher, der Böckl Sepp, gehört mit seinem Langbart zum Klub. "Der schaut seither aus wie der Muezzin von Steingau", kommentieren die Männer vom Bartklub am Stammtisch.

Neben der Gaudi leben die Bartträger zuweilen auch gefährlich. "Der Thalhammer Hans", sagt der Martin, "der hat's durchzogn. Vollbart bis zum Brustbein! Dann san die Wespen rein! Und er hat's net rauskriagt" Total verstochen hatte er keine Wahl. Die Bartpracht musste im Eiltempo abrasiert werden.

Statt Feiern zu planen, haben sich die Bärtigen jetzt eine "griabige Zeit" verordnet. "Aber im kommenden Winter machen wir wieder was", stellt Kluborganisator Andreas Hölzl in Aussicht. Schließlich haben die Bärtigen das Sagen in Steingau: Pelz im Gesicht ist jetzt Normalität.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2018
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