Die Sonne steht tiefer in dieser Jahreszeit und taucht die Umgebung in weiches Licht. Die Berge am Horizont sind im Oktober-Dunst nur schemenhaft zu erkennen. Bäume und Sträucher setzen einen hübschen Kontrast und erstrahlen im bunten Herbstlaub. Noch mag niemand an den Winter so recht denken. Caroline Ludes sitzt auf der Terrasse und blickt über ihr grünes Reich. Im Beet neben ihr summt und raschelt es. „Ich bin ein Insektenfan“, sagt die 58-Jährige. Welch Glück für Erdbienen, Libellen und viele andere, die in ihrem Garten in Greiling ein Paradies vorfinden. Diese Oase am Hang ist kürzlich mit der Zertifizierung „Bayern blüht – Naturgarten“ ausgezeichnet worden.
Biodiversität ist ein recht neuer Begriff für etwas, das lange weitverbreitet war: die Vielfalt aller Organismen, Ökosysteme und Lebensräume – egal, ob zu Wasser oder zu Land. Doch mit der Artenvielfalt in Deutschland ist es schlecht bestellt. Der „Faktencheck Artenvielfalt“, der im Herbst dieses Jahres erschien und vom Bundesministerium Bildung und Forschung gefördert wurde, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: 60 Prozent der 93 untersuchten Lebensraumtypen sind in einem unzureichenden oder schlechten Zustand. Arg steht es um ehemals artenreiche Äcker und Grünland, Moore, Moorwälder, Sümpfe und Quellen. Flora und Fauna schwinden. Ein Verlust, der in letzter Konsequenz alles Leben beeinträchtigt.
Da ist es umso wichtiger, wenn in Privatgärten Rückzugsräume für Amphibien und Co. entstehen. Wenn englischer Rasen nicht mehr das Nonplusultra ist und Wildblumen und Gräser hüfthoch dem Sommer über stehen bleiben dürfen. „Ich schneide nichts ab“, sagt Caroline Ludes. Das zahlt sich aus. Denn es kreucht und fleucht nur so auf den insgesamt 1780 Quadratmetern. Frösche, Kröten, Blindschleichen, Igel, Vögel und unzählige Insekten fühlen sich dort wohl, weil sie Nahrung und Versteck finden.
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Vor fünf Jahren haben Caroline Ludes und ihr Ehemann Frank das elterliche Haus und Grundstück übernommen. Damals gab es nur eine Rasenfläche mit einigen Thujen und weiteren Gehölzen. Als Erstes ließen sie einen Teich anlegen. „Der Garten war eine schräge Wiese mit null Struktur“, erzählt die 58-Jährige – so gar nicht nach dem Geschmack von Caroline Ludes, die von einem Naturgarten träumte. Ihr Wunsch war und ist es, das Grundstück in „Gartenzimmer“ zu unterteilen. „Für mich gibt es noch viel zu viel Rasen.“ Stets im Fokus: neue Lebensräume zu schaffen.
Nach und nach entstand so ein naturnaher Garten, der nicht nur etwas fürs Auge bietet. Es gibt Beerensträucher und Obstbäume; ein Weinstock der Sorte „Himrod“ erklimmt das Gartenhäuschen („Die Trauben sind zuckersüß“), im Hochbeet hat sich der Borretsch ausgesamt. Den Sommer über konnte Caroline Ludes Salat und Gemüse ernten. Ins Schwärmen gerät sie beim Säulenapfel „Cox Columnar“, der in diesem Jahr für seine Größe mit einer überbordenden Anzahl an Äpfeln die Familie erfreute.
Den gesamten Garten zieren Deko-Elemente. Caroline Ludes bevorzugt Keramik, da sie selbst töpfert, und hübschen Schnickschnack aus rostigem Metall. „Ich verwerte die Materialien, die im Garten anfallen, und bastle damit“, sagt die Greilingerin. Mehrere Insektenhotels hat sie angefertigt, manche getöpfert. Aus Zweigen flicht sie Kränze. Einer bildet den Rahmen für die Naturgarten-Plakette, die ihr und zehn weiteren Naturgärtnerinnen und -gärtnern im Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen verliehen wurde. „Vielleicht ist das noch nicht der richtige Platz für sie“, sagt Caroline Ludes im Vorbeigehen, während sie auf den Gartenteich zeigt.
Seerosen, Froschlöffel, Gauklerblumen und der kleine Rohrkolben haben dort ihr Reich – wie auch Frösche, die gern gesehene Gäste sind. Ums Eck der Wohnhauses – im Schatten – haben es sich Kröten im Efeu bequem gemacht. Immer wieder entdeckt Caroline Ludes neue tierische Besucher. Vor allem Insekten findet sie faszinierend: „Was sich in deren Köpfchen an Leistung abspult, ist unglaublich.“ Und weil sie momentan nur Wildbienen, die sich in Röhren heimisch fühlen, artgerechte Bleiben anbieten kann, möchte sie noch ein Sandarium anlegen, also einen künstlich angelegten Nistbereich für erdbewohnende Insekten. Zwei Zinkwannen stehen dafür bereit.
In Zinkwannen hat Caroline Ludes auch Wildblumen angepflanzt. „Die kommen jedes Jahr wieder.“ Zu dieser Jahreszeit ist die Blütenpracht allerdings vorbei. Vereinzelt strahlt der Storchschnabel „Rozanne“ noch in kräftigem Blau. Malven, Skabiosen, Margeriten, Lavendel, Phlox und Akelei, argentinisches Eisenkraut und Kerzenknöterich, Glockenblumen und echtes Labkraut, Feuerdorn und Korbflügelstrauch – die Vielfalt macht es. Gesunde Pflanzen locken Insekten und andere Tiere an. Eine bunte Mischung aus Flora und Fauna stabilisiert das Gleichgewicht im Garten.
Es sei ein nasser Tag gewesen, als die Zertifizierer kamen, erzählt sie. „Es hat aus Eimern geschüttet.“ Caroline Ludes hatte sich für die Auszeichnung 2023 beworben, nachdem sie darüber gelesen hatte. Damals hat es nicht geklappt, aber in diesem Jahr erhielt sie einen Anruf, dass man sich ihren Garten ansehen möchte. Das schlechte Wetter scheint keinen Einfluss auf die prüfenden Augen gehabt zu haben. Wer für die Urkunde samt Plakette infrage kommt, muss einige Kriterien erfüllen.
Wildkraut ist willkommen
Die Gartenzertifizierung ist eine Initiative der Gartenakademie an der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau gemeinsam mit dem Bayerischen Landesverband für Gartenbau und Landespflege, dem Landesverband Bayerischer Kleingärtner, dem Verband der Kreisfachberater für Gartenkultur und der Landespflege in Bayern. Kernkriterien müssen erfüllt sein wie der Verzicht auf chemisch-synthetische Dünger oder torfhaltige Substrate. Des Weiteren gibt es sogenannte Kann-Kriterien wie einfach blühende Stauden und Blumen, variantenreiche Strauchhecken und Gehölze, extensive Grünflächen oder das Zulassen von Wildkraut. Es sollte aber auch einen Nutzgarten geben, ebenso einen Kompost und eine Regenwasser-Nutzung.
Was das Düngen angeht, hat Caroline Ludes einige kleine und große Helfer. Zum Einsatz kommen Pferdemist und die Hinterlassenschaften von Frau Holle, Schneewittchen, Rapunzel und Dornröschen – vier Hennen, die das Grundstück mit viel Gackern unsicher machen. Ihnen könne sie stundenlang zusehen, sagt die 58-Jährige. „Hühner sind toll.“ Weil das quirlige Federvieh aber auch zerstörerische Kräfte entfalten kann, darf es nicht permanent den gesamten Garten erkunden. Das stört die vier nicht sonderlich, wie die bunten Eier beweisen, die Caroline Ludes in liebevoll gestalteten Eierschachteln gern verschenkt.
Naturgarten bedeutet nicht, der Wildnis freien Lauf zu lassen, sondern meint das bewusste Gestalten im Einklang mit der Natur. Das anfallende Laub verwendet Caroline Laudes als Mulch. Der gesamte untere Bereich des weitläufigen Hanggrundstücks ist dem Sommer über ein Wildblumenmeer. Dort wird erst spät im Herbst gemäht. Die Stauden dürfen vertrocknet in den Beeten stehen bleiben. „Im Frühjahr muss ich sie abschneiden, damit die Frühlingsblumen durchkommen können.“ Die Stängel häuft die 58-Jährige unter den Heckensträuchern auf, damit darin überwinternde Insekten geschützt bleiben.
„Der Garten gibt mir unglaublich viel“, sagt sie. Er bedeutet zugleich jedoch auch Arbeit – und dass man „nicht so leicht in den Urlaub fährt“. Das mache ihr indes nichts aus: „Der Garten ist mein Urlaubsplatz. Allerdings zum Sklaven machen lasse ich mich nicht.“ Im Grünen zu sitzen habe etwas Meditatives.
„Die Taubenschwänzchen flippen regelrecht aus.“
Die Naturgärtnerin hält nichts davon, allzu dogmatisch zu sein. Nicht nur Einheimisches wächst bei ihr. In großen Töpfen kultiviert sie Agapanthus. Die Schmucklilie aus Südafrika wird nämlich gern angeflogen: „Die Taubenschwänzchen flippen regelrecht aus.“
„Es ist an der Zeit, vor der Auskältung unserer deutschen Gärten … zu warnen“, schimpfte der berühmte Staudenzüchter Karl Foerster schon 1925 über die leblose Uniformität in Gärten. Wie sehr er sich doch bei Caroline Ludes wohlfühlen würde. Sie teilt auch Foersters Ansicht, dass ein Garten nie fertig sei. Das nächste Projekt steht an. Ein Gewächshaus, das auch ein Wintergarten werden soll, ist in Planung. Und natürlich wird es von neuen Beeten gesäumt, wo Bienen, Schmetterlinge und Co. summen und naschen dürfen.