Glückwünsche und Liebeserklärungen:"Ein wahres Wunder"

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Alinde Rothenfußer hat als Galeristin und Künstlerin den Horizont im Münchner Süden erweitert. Was Freunde und Weggefährten zu ihrem 80. Geburtstag zu erzählen haben

Von Stephanie Schwaderer

"Hühner sind so wunderbar, so intelligent und einfühlsam": Alinde, hier mit Henne Emma und Werken von Helmut Rieger, feiert ihren 80. Geburtstag. Die Ickinger Galeristin, Malerin und Lebenskünstlerin hat einen ganz eigenen Blick auf die Welt. Und lässt andere gerne daran teilhaben. (Foto: Hartmut Pöstges)

Runde Geburtstage bieten gemeinhin Anlass, Rückschau zu halten. Alinde Rothenfußer ist das lebendige Gegenteil von Gemeinhin. Ihre Jubiläumsausstellung im Hollerhaus hat sie "Ausblick" genannt. An diesem Mittwoch, 27. Mai, feiert die Ickinger Malerin und Galeristin, die nur bei ihrem Vornamen genannt werden möchte, ihren 80. Geburtstag. Alinde wurde 1940 als Tochter einer Malerin und eines Schauspielers in München geboren. Schon als Fünfzehnjährige half sie im Münchner Kunstverein mit, den ihr Vater nach dem Krieg wieder aufgebaut hatte. Nach einem Studium der Malerei übernahm sie fünf Jahre lang die künstlerische Leitung des Vereins, bevor sie sich 1970 zur Krankenschwester ausbilden ließ. In Mallersdorf lernte sie ihren Mann, den Arzt Walter Rothenfußer, kennen. Mit ihm hat sie seither nicht nur bemerkenswerte Kunstprojekte verwirklicht, sondern auch sieben Kinder großgezogen.

1993 gründete Alinde das Kunsthaus Orplid mit Standorten in Icking und Solln. Vor drei Jahren setzte ein Gerichtsurteil ihrem ambitionierten Projekt "Isarland" ein Ende. Die Rothenfußers hatten das einstige Gestüt in Percha für 3,2 Millionen Euro gekauft, um neben einem Pferdehof ein Zentrum für zeitgenössische Kunst zu schaffen. Seit Jahren trotzt Alinde erfolgreich dem Krebs. Die SZ Wolfratshausen hat Freunde und Wegbegleiter eingeladen, von ihr zu erzählen.

Die Galeristin

Lisa Schneider-Stöckl (Foto: Hartmut Pöstges)

Lia Schneider-Stöck l, Betreiberin des Hollerhauses in Irschenhausen: "Das Erste, was mir zu Alinde einfällt, ist ihr herzliches Lachen. Ich weiß gar nicht, wann ich es zum ersten Mal gehört habe, es muss in den Neunzigerjahren gewesen sein. Der erste Eindruck hat sich seither immer wieder bestätigt. Wenn Alinde einen Raum betritt, füllt sich dieser mit Fröhlichkeit und Heiterkeit. Neun Ausstellungen haben wir schon zusammen im Hollerhaus gemacht, die aktuelle ist die zehnte. Jede trug Alindes unvergleichliche Handschrift und war doch auf ihre Weise einzigartig. Ihre traumhaft schönen Engel-Ausstellungen. Die Alrographien - eine eigene Kunstrichtung zu erfinden und dazu noch diese Wortkreation ( Al für Alinde und Ro für Rothenfußer, d. Red.): genial! Vor zwei Jahren hatten wir Hinterglasbilder und zuletzt den malerischen Dialog zwischen ihr und der kleinen Stefania. Alinde ist eine vielseitige Künstlerin und eine großartige Persönlichkeit - immer hilfsbereit unterstützt und fördert sie, wo es geht. Auch, wenn ein Vorhaben nicht verwirklicht werden kann, wie die Kulturlandschaft Isarland, lässt sie sich nicht unterkriegen und schaut voller Ideen nach vorn. Das ist das Einzigartige an ihr."

Der Direktor

Wolfgang Jean Stock (Foto: Dagmar Zacher/oh)

Wolfgang Jean Stock, Direktor des Kunstvereins München (1978-1985) und Leiter der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst (2006-2014): "Seit langem verfolge ich Alindes Tätigkeit mit großem Interesse und Zuspruch. Ihre Aktivitäten sind in und um München einzigartig. Seit Mitte der Neunzigerjahre hatte ich mehrfach das Vergnügen, bei ihren Vernissagen zu sprechen. Ihr Haus in Icking betreibt sie als eine private Kunsthalle mit sehr viel Energie und finanziellem Einsatz. Das Orplid ist keine Boutiquen-Galerie, sondern ein Forum für die intensive Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst. In ihren Ausstellungen versammelt Alinde immer wieder erstklassige Künstler. Sie ist von einer unglaublichen Quirligkeit, voller Neugier und ernsthaftem Interesse an der Kunst. Mit welcher Tapferkeit sie zudem ihre Krankheit meistert - all das verdient Respekt. Sie ist ein ganz ungewöhnlicher Mensch."

Die Seelenverwandte

Ruth Kohler (Foto: Hartmut Pöstges)

Ruth Kohler, Malerin: "Alinde und ich sind uns in mancher Hinsicht sehr ähnlich. Wir könnten Schwestern sein. Was ich am tollsten an ihr finde: Mit ihr kann man Pläne schmieden. Sie hat Fantasie. Und Humor. Wir können uns hochschaukeln, dass es eine Wonne ist. All unsere Gespräche drehen sich um die Kunst. Auch als sie im Krankenhaus war, haben wir nie über die Krankheit gesprochen, sondern immer nur über Kunst. Sie sagt, die Kunst habe sie am Leben gehalten. Alinde bewegt sich durchs Leben wie durch einen Traum. Dieser Traum ist wunderbar. Und wenn sich ein Traum verwirklichen lässt, zögert sie keine Sekunde. Manchmal träumen wir zusammen. Das können wir gut. Das Isarland wäre die Erfüllung gewesen. Wir hatten tausend Ideen, was man dort alles hätte machen können.

Unsere erste Begegnung habe ich noch gut vor Augen. Sie klingelte an meiner Tür mit völlig verdreckten Händen, hinter ihr ein Pferde-Anhänger. Sie sagte: Ich bin die Alinde und will Bilder haben; ich suche ein paar aus und nehme sie auch gleich mit! So hat sie nämlich damals in der Ulrichstraße in Icking angefangen, mit heimischen Künstlern. Ich fragte sie, warum sie so schmutzige Hände hat, und sie sagte: Ich hab gerade hundert Stiefmütterchen eingepflanzt. Das war unser erstes Gespräch. So ist Alinde.

Sie hat eine ungeheure Spontaneität. Als ich mit meiner Sommerakademie heimatlos wurde, hat sie kurzerhand ihr Haus ausgeräumt, einen Boden reingelegt und fertig. Ihr Mann, der Walter, ist wirklich ein Schatz. Er ist klaglos in ein Stübchen in den Keller gezogen. Manchmal hat er sich in der Küche still einen Kaffee gemacht. Kein Wort, wenn wir gesaut haben - und man saut immer bei der Arbeit. Die beiden wollten auch keine Miete. Sie sind großzügig. Einmal habe ich zu Walter gesagt: Du bist für mich wie ein wohltemperiertes Klavier. Da hat er nur gelacht. Alinde ist begeisterungsfähig bis zum Gehtnichtmehr. Diese Fantasie, dieser Drang, immer etwas zu gestalten, nur keine weißen Wände - ich denke, das mag der Walter auch.

Wir haben auch unsere Meinungsverschiedenheiten. Sie sagt, zum Beispiel, Kunst sei Religion. Ich sage, Kunst ist Knochenarbeit. Da können wir uns wunderbar streiten. Manchmal sind unsere Gespräche aber auch ganz nüchtern und sachlich. Alinde ruft jeden Morgen bei mir an. Manchmal telefonieren wir eine Stunde, manchmal will sie nur wissen, ob ich noch lebe und nicht die Treppe runtergefallen bin. Da fassen wir uns dann ganz kurz: Dir geht es gut? Na dann, servus!"

Die Nachbarin

Inge Doldinger (Foto: Stephanie Schwaderer/oh)

Inge Doldinger, Malerin: "Die Rothenfußers und wir wohnten einige Jahre Tür an Tür in der Ulrichstraße in Icking. Als Alinde hörte, dass ich male, hat sie mich sofort zu einer Gemeinschaftsausstellung in ihre Galerie eingeladen und als nächstes dann zu einer Einzelausstellung mit Gemälden. Alinde ist sehr couragiert. Als das Gespräch darauf kam, dass wir mit Lothar-Günther Buchheim befreundet sind - mein Mann hat ja die Filmmusik für ,Das Boot' komponiert - hat sie gesagt: Da fahren wir jetzt hin! Also sind wir ins Auto gestiegen und haben Buchheim am Starnberger See überfallen. Tatsächlich ist er dann auch zu meiner Vernissage gekommen. Und mein Mann hat Saxofon gespielt. Damit hat er Alinde und mir auch bei anderen Ausstellungen immer wieder eine Freude gemacht. Oft hat er zusammen mit dem Bassisten Wolfgang Schmid etwas improvisiert. Die Buchheim-Aktion war jedenfalls typisch für Alinde. Sie ist sehr spontan und überraschend - und sie macht ihre Träume wahr. Das finde ich großartig. Leider gab es in der Ulrichstraße einen bösen Nachbarn, der nicht hinnehmen wollte, dass Alinde alle paar Monate zu Ausstellungen eingeladen hat. Das ganze Dorf stand hinter ihr, aber der Mann hat nicht locker gelassen. Entschlossen, wie sie ist, hat sie Ende der Neunzigerjahre das Haus verkauft und ein anderes gekauft. Von ihrem herrlichen Garten, den sie an der Ulrichstraße angelegt hat, profitieren wir noch immer. Wenn wir bei uns in die erste Etage steigen, schauen wir hinein. Ein Traum."

Der Kurator

Elmar Zorn (Foto: Harry Wolfsbauer)

Elmar Zorn, Kunstberater, Ausstellungskurator und Publizist: "Alinde tut dem Münchner Süden richtig gut. Als ich auf sie aufmerksam wurde, wusste ich sofort, mit welchem Kaliber ich es zu tun hatte. Künstler zu entdecken gehörte viele Jahre zu meinem Beruf als Leiter der Kunstabteilung im Münchner Kulturreferat. Alinde hat im Münchner Süden entscheidende Kunsthallen geschaffen: in Solln, in Icking, und - leider nur für kurze Zeit - in Percha. Das Orplid war mir sofort sympathisch, und die dort ausstellenden Künstler waren es auch. Zu sehen, mit welcher Empathie Alinde Kollegen fördert - ein wahres Wunder! Auch medizinisch gesehen ist sie ein Wunder, immer wieder hat sie schwere Krebserkrankungen überwunden.

Die meisten Künstler, die ich weltweit kennengelernt habe, sind Selbstdarsteller. Alinde ist eine Ausnahme. Bei ihr gehen Kunst und Menschlichkeit Hand in Hand. Sie verfügt über ein breites künstlerisches Spektrum, lässt ihrer Kreativität freien Lauf, aber niemals geht es ihr dabei um sich. Der Name Orplid bezieht sich auf ein Gedicht von Eduard Mörike: ,Du bist Orplid, mein Land! Das ferne leuchtet.' Mit dem Orplid hat Alinde poetische Räume zum Leben erweckt. Genau das ist es auch, was wir nun in der Corona-Krise brauchen. Wir müssen den öffentlichen Raum reanimieren. Deshalb habe ich Alinde für eine Corona-Ausstellung in der Pasinger Fabrik vorgeschlagen, die Mitte Oktober unter dem Titel ,Social Distancing - Empty Spaces' anläuft. Sie wird mit einer Auswahl aus ihrem Alrographie benannten Übermalungs-Konvolut gleichformatiger Foto-Zeichnungen vertreten sein. Und das kann sie: Poetische Räume erfinden und beleben, mit Kobolden und Engeln."

Die Cellistin

Anja Lechner (Foto: Manfred_Neubauer)

Anja Lechner, Musikerin: "Ich kenne wenige Menschen, die eine solche positive Energie ausstrahlen wie Alinde. Vor mehr als 16 Jahren hat sie mich das erste Mal angerufen und gefragt, ob ich bei einer Vernissage spielen möchte. Ich kannte sie nicht, aber schon am Telefon habe ich gespürt, was für eine Kraft und Begeisterung in ihr stecken. Bei der Musikauswahl hat sie mir seit jeher freie Hand gelassen, das ist natürlich der Traum eines jeden Musikers. Sie ist für so vieles offen und besonders für die Musik, die live in ihren Räumen erklingt. Der Austausch der Musik mit den Kunstwerken ist dabei etwas ganz besonderes. Von all meinen Konzerten waren ihr, glaube ich, die besonders wichtig, die ich zusammen mit dem argentinischen Bandoneonmeister Dino Saluzzi gespielt habe. Zwischen den beiden entstand sofort eine geistige Verbindung, seine Musik ist ganz universell.

Alinde sprüht vor Ideen. Zudem hat sie die Gabe, Menschen zusammenzubringen. Sie versammelt Künstler und Publikum um sich, und man hat den Eindruck, dass all diese Menschen ihre Freunde sind. Das hat sicher auch etwas mit ihrer großzügigen Art zu tun. Ich bewundere Alinde, denn sie kann in jeder schwierigen Situation auch das Gute sehen, sich daran freuen und neue Energie daraus schöpfen. Wenn ich ihr etwas zum Geburtstag spielen dürfte, dann eine Suite von Bach. Bach liebt sie besonders."

Der Ehemann

Walter Rothenfußer (Foto: Helga Janke)

Walter Rothenfußer, Augenarzt, seit 40 Jahren mit Alinde verheiratet: "Alinde kann nicht nur Kunst inszenieren, sie inszeniert ihr ganzes Leben. Schon unsere Hochzeit war ein Bühnenstück. Mit der Kutsche sind wir vom Georgskircherl in Bogenhausen durch den Englischen Garten gefahren, bei strahlendem Sonnenschein. Am Chinesischen Turm haben wir viele Gäste empfangen und getanzt, lustige Reden wurden gehalten, Lebensstücke inszeniert. Das war ein Fest! Meine Frau ist eine Königin, durch und durch dionysisch, eine Ästhetin mit einem unerschöpflichen Ideenreichtum. König Ludwig ist ein Dreck dagegen. Ich bin derjenige, der versucht, einen kleinen Teil ihrer Ideen in die Realität umzusetzen, der überlegt, wie könnte etwas funktionieren.

Wenn ich zu Hause etwas hinstelle, nimmt sie es und stellt es woanders hin. Manchmal rückt sie es nur ein paar Zentimeter weiter. Und dann steht es, erstaunlicher Weise stimmt es immer. Ich bin das Gegenteil eines Ästheten. Meine Arbeitsunterlagen liegen kreuz und quer herum, überall stapeln sich die Papiere. In sich jedoch ist alles geordnet und klar strukturiert. So leben wir in einer guten Symbiose - ein eingeschworenes Team. Auch was Ideen betrifft. Meine Frau hat eine Vision und sagt: Jetzt trau dich! Und ich beginne zu rechnen und zu planen. Deshalb habe ich zum Beispiel in Solln eine Praxis, die zugleich eine Galerie ist. So etwas gibt es in ganz München kein zweites Mal. Das ist meine Frau!

Vor zehn Jahren haben ihr die Ärzte noch sechs Monate gegeben. Sie hat die Krankheit mit einer ungeheuerlichen Lebensenergie bewältigt. Wenn ich zurückschaue, hat sich alles, in das wir Zeit und Herzblut gesteckt haben, rentiert, alles außer Isarland. Dass wir das Gut verloren haben, beruht auf einem Unrechtsurteil des Oberlandesgerichts. Der Bauernverband hatte aufgrund des Reichssiedlungsgesetztes aus dem Jahr 1919 ein Vorkaufsrecht für einen angeblichen Bauern geltend gemacht, der eine Pferdepension betreibt. Pferdepension ist aber keine Landwirtschaft nach dem Reichssiedlungsgesetz. Über diesen Fall könnte man einen Film drehen. Ich habe darüber nachgedacht, das Urteil anzufechten, mich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden. Aber irgendwann fragt man sich, worauf man seine Kraft und Energie konzentrieren möchte. Alinde und ich haben da schon ein neues Projekt."

© SZ vom 27.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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