Süddeutsche Zeitung

Internetausbau am Land:Zwei Klassen beim Datentransfer

In Schäftlarn sorgt die Verlegung neuer Internetkabel für Verwirrung. Teile der Gemeinde erhält Glasfaser bis ans Haus, andere nur bis zu den Verteilerkästen. Ausgerechnet die Mönche im Kloster haben die schnellste Verbindung.

Von Marie Heßlinger

Warum kriegen manche Schäftlarner Glasfaserkabel bis vor ihre Haustüre - und andere nicht? Gibt es gar eine "Internet-Zweiklassengesellschaft"? Diese Frage hat offensichtlich manche Bewohner Schäftlarns beschäftigt, seitdem die Deutsche Telekom die Straßen ihrer Gemeinde Stück für Stück aufreißt. "Nach welchen Kriterien die das tun, ist mir ein Rätsel", sagt zum Beispiel SZ-Leserbriefschreiber Ulrich Stuke aus Ebenhausen. Tatsächlich wirkt das Vorgehen der Telekom auf den ersten Blick willkürlich, es folgt jedoch gewissen Prinzipien.

Der Hintergrund: Vor einigen Jahren hat sich Schäftlarn bei dem Programm "schnelles Internet für Bayern" um Fördergelder beworben. Das Ziel: Mithilfe des bayrischen Breitbandförderprogramms sollen alle Schäftlarner eine mindestens 30 Megabit pro Sekunde schnelle Internetverbindung bekommen. Im Oktober 2017 sagte der Freistaat 145 000 Euro für den Breitbandausbau zu, weitere 100 000 Euro kamen aus der Gemeindekasse. Die Telekom machte das billigste Angebot, das Vorhaben umzusetzen.

Für die Telekom hätte es sich wirtschaftlich nicht gelohnt, in alle Gebiete Schäftlarns zu investieren. An diesen Stellen greifen die Fördergelder. Etwa die Hälfte des Gemeindegebietes wird somit durch Förder- und Gemeindegelder finanziert (siehe Grafik), die andere Hälfte aus wirtschaftlichem Eigenantrieb der Telekom.

Die Telekom wendet in Schäftlarns verschiedenen Ortsteilen zwei verschiedene Verlegungstechniken an. Die erste Technik nennt sich "Fibre to the Curb" (FTTC), Faser bis zum Randstein, oder "Vectoring". Hierbei werden Glasfaserkabel bis zu den Verteilerkästen am Straßenrand gezogen. Von dort leiten die bisherigen Kupferkabel das Signal in die einzelnen Häuser. Die Verteilerkästen sind Knotenpunkte, sie wandeln das Licht der Glasfasertechnik in elektronische Signale um. Der Vorteil: Die Telekom kann bestehende Kabelstrukturen zum Teil nutzen. Das Vorgehen ist deutlich günstiger und einfacher umsetzbar als Technik Nummer 2. "Wir können viel mehr Leute in kürzerer Zeit für weniger Kosten anschließen", sagt Telekom-Mitarbeiter Markus Jodl. Die Datenübertragungsrate liegt bei dieser Technik laut Jodl bei bis zu 250 Megabit pro Sekunde. 30 Megabit sind das von der Gemeinde ausgeschriebene Minimum. Wer dennoch Technik Nummer 2 möchte, kann diese auf eigene Kosten an die Verteilerkästen anschließen lassen.

Ickinger Eigeninitiative

Während die Gemeinde Schäftlarn die Telekom mit dem Ausbau des Breitbandnetzes beauftragt hat, nahm die benachbarte Kommune Icking den Ausbau selbst in die Hand und legt auf eigene Kosten Glasfaserkabel bis vor die Haustüre jedes Bürgers, der dies wünscht. Rund 45 Kilometer Kabel werden dazu insgesamt verlegt, damit auch jeder Ortsteil angeschlossen wird. Das Netz verpachtet Icking dann an Vodafone. Die Bürger schließen Verträge mit dem Unternehmen ab. Es dauert etwa 25 Jahre, bis die Kosten des Netzausbaus - mehr als sechs Millionen Euro nach derzeitigem Stand - durch den Pachtzins abgedeckt sind. Etwa 70 Prozent der Ickinger haben sich für die Glasfaservariante bis vor die Haustüre entschieden. Die Bauarbeiten laufen seit November 2016, ein Großteil davon ist bereits abgeschlossen. Ickinger Bürger können dann mit bis zu 500 Mbit pro Sekunde im Internet surfen, mit Ausbaureserve für die Zukunft. mhes

Die zweite Technik nennt sich "Fibre to the Home" (FTTH). Hierbei werden die Glasfaserkabel nicht nur bis zu den Verteilerkästen, sondern bis in die einzelnen Haushalten verlegt. Eine Datenübertragung von bis zu 1 000 Megabit pro Sekunde ist damit möglich. Jodl sagt jedoch: "Am Ende des Tages nehmen die Leute doch die billigeren Tarife mit 50 Megabit." Er fügt hinzu: "Es ist ja auch die Frage: Wozu brauchen Sie das? Mit 250 Megabit pro Sekunde im Download fehlt Ihnen gar nichts."

Dennoch haben manche Teile der Gemeinde Glasfaserverbindungen bis ins Haus. Zum Beispiel Gebiete, die außerhalb liegen, wie das Kloster. Hier kann die Telekom keine Knotenpunkte nutzen. "Das führt zu der paradoxen Situation, dass das Internet außerhalb der Stadt schneller ist als im Kern", sagt Jodl.

Auch in Zell sollen, laut Bürgermeister Matthias Ruhdorfer, alle Häuser einen Glasfaseranschluss bekommen, da durch Zell ohnehin Glasfaserleitungen nach Icking führen. Icking hat, anders als Schäftlarn, eigene Gelder in die Hand genommen, um allen Bürgern einen Glasfaseranschluss bis ins Haus zu gewährleisten. "Wir haben das auch durchgerechnet, aber wir müssten dafür Geld von über 30 Jahren vorstrecken", sagt Ruhdorfer. Zu spät für einen Glasfaseranschluss ist es jedoch nicht. Das Unternehmen Deutsche Glasfaser plant eine neue Glasfaserkampagne in Schäftlarn. Bald soll es dazu eine erneute Bürgerbefragung geben. Am Dienstag, 14. Januar 2020, präsentiert die Deutsche Glasfaser von 19 Uhr an bei einem Informationsabend in der Grundschule in Ebenhausen ihre Pläne.

Die Telekom hatte ihrerseits vor, bis zum 20. Dezember mit ihrem Breitbandprojekt in Schäftlarn fertig zu werden. Dieses Ziel kann sie nicht einhalten. Ein paar Schäftlarner werden sich aber pünktlich zu Weihnachten über schnelleres Internet freuen können.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2019
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