Gipfelstürmer:Aufstieg der Massen

Gipfelstürmer: Wanderer haben das Gipfelkreuz am Brauneck erreicht. Heute zieht es viele Familien mit Kindern und junge Leute in die Alpenwelt. Doch wo mehr Menschen sind, gibt es auch mehr Müll. Der Bund Naturschutz bittet darum, Verpackungen wieder mit ins Tal zu nehmen.

Wanderer haben das Gipfelkreuz am Brauneck erreicht. Heute zieht es viele Familien mit Kindern und junge Leute in die Alpenwelt. Doch wo mehr Menschen sind, gibt es auch mehr Müll. Der Bund Naturschutz bittet darum, Verpackungen wieder mit ins Tal zu nehmen.

(Foto: imago stock&people)

Immer mehr Menschen zieht es in die Berge, wie die Übernachtungszahlen der Hütten zeigen. Mit dem Boom steigen auch die Ansprüche der Gäste - Naturschützer beklagen das fehlende Umweltbewusstein.

Von Benjamin Engel

Die Bundhosen-Generation im rot-weißen Karohemd hat am Berg ausgedient. Inzwischen streben Wanderer in bunter Funktionskleidung den Gipfeln entgegen - und es werden immer mehr. Vor allem Familien mit Kindern und junge Leute haben die Alpenwelt für Sport und Erholung wiederentdeckt. Das zeigen die gestiegenen Übernachtungszahlen auf den Alpenvereinshütten in der Region. Was die Hüttenwirte freut, sieht Friedl Krönauer, Kreisvorsitzender im Bund Naturschutz kritisch. Wie er erklärt, freue er sich über jeden, der die Natur für sich entdecke. "Das Umweltbewusstsein ist bei der Mehrzahl aber nicht vorhanden", schildert er.

Das fällt ihm besonders auf, wenn unerfahrene Mountainbiker mit gezogener Handbremse auf Steigen um die Kurve fahren. Tiefe Spuren graben sich dadurch in die Wege. Der Boden erodiert leichter, etwa wenn es regnet. Was kaputt gehe, sei vielen gar nicht bewusst, sagt Krönauer. Unter dem stärkeren Aufkommen von E-Bikes in den Alpen werde die Natur weiter leiden. Damit erweitere sich der Radius für Unternehmungen. Selbst Menschen mit überschaubarer Muskelkraft kämen so auf den Berg. Wer dann noch spätabends unterwegs sei, störe Wildtiere.

Genauso beobachtet Krönauer mehr Abfall am Wegrand. "Das ist generell schlimmer geworden", berichtet er. Wo mehr Leute seien, falle mehr Müll an. Doch was ihm selbstverständlich sei, nämlich alle Verpackungen vom Berg auch wieder ins Tal zu mitzunehmen, sei bei der jungen Wanderergeneration nicht so ausgeprägt. Manche brächen auch erst nachmittags und damit viel zu spät für eine Tour auf.

Den Spaßverderber geben, will Krönauer aber nicht. "Es ist ja schön, wenn die Leute in die Berge gehen, dem ein oder anderen öffnet es die Augen", sagt er. Wer sich in der sensiblen Landschaft bewege, müsse sich das Ausgesetztsein in der Natur bewusst machen. Dadurch lasse sich das Verständnis für die Natur schärfen.

Bis Mitte September sind die Samstag auf der Tutzinger Hütte nahezu ausgebucht

Mindestens 2,5 Stunden braucht der Wanderer bis zum Standort der Tölzer Hütte auf 1835 Metern Höhe am Schafreuter. Mountainbiker kommen wegen der steilen, schmalen Wege kaum hinauf. Seit Michael Bubeck mit Margot Lickert die Hütte der Tölzer Alpenvereinssektion bewirtschaftet, ist die Zahl der Übernachtungsgäste kontinuierlich gestiegen - in zehn Jahren von 2000 auf 3000. Bereits jetzt ist die Hütte an den Samstagen bis Ende Juli praktisch ausgebucht. "Die Leute fangen schon an, für August und September zu reservieren", berichtet Bubeck. Unter den Gästen bemerkt er auffällig mehr Familien als früher. Die Altersstruktur habe sich verjüngt. Gerade 20- bis 30-Jährige seien häufiger am Berg. Unter der Woche kämen weniger Leute. "Die Gäste bleiben typischerweise eine Nacht."

Für die Lenggrieser Hütte am Seekarkreuz ist Florian Durach seit knapp zwei Jahren verantwortlich. Im Vergleich zum Vorjahr zählt er deutliche Übernachtungssteigerungen - 112 mehr allein im Februar. 3000 Übernachtungen waren es 2017, heuer schon mehr als 1000. Auch hier das gleiche Bild wie am Schafreuter - auffallend viele junge Leute im Alter von 18 bis 30 Jahren. "In meiner Jugendzeit war das uncool, auf den Berg zu gehen", schildert der 42-Jährige. Das Bergwandern sei eben wieder im Kommen. Mehr Leute machten Urlaub im eigenen Land. Zugute komme aber auch, dass die Hütte einfach zu besteigen sei. Vom Lenggrieser Bahnhof seien die Wanderer in drei Stunden oben.

Mit dem Boom steigen die Ansprüche der Gäste. Das Brauneckgipfelhaus - die Hütte betreibt die Sektion Alpiner Ski-Club München des DAV - hat sogar eine eigene mobile Sauna auf 1540 Metern Höhe. Die Idee hatte Hüttenwirtin Petra Wiesner. "Ich wollte schon immer eine", erzählt sie. Über einen Freund aus Finnland sei sie daran gekommen. Die mit Holz eingeheizte Sauna samt Abkühlbottich gebe es seit eineinhalb Jahren. Sie werde regelmäßig gebucht. Es sei einfach toll, beim Saunagang ins Gebirge zu schauen.

Zum Übernachten kann das Gipfelhaus am Lenggrieser Hausberg Brauneck kein Bad im Zimmer bieten - obwohl das mancher, der anfrage, gerne hätte, wie Wiesner schildert. Diese kämen dann aber gar nicht erst hinauf. Nur am Gang gebe es Sanitärräume, im ersten Stock des Hauses sogar mit Dusche. Die Erwartungen vieler Gäste hätten zugenommen. Deswegen seien die Zweibett-Zimmer auch als erste weg. Das Schneewittchen-Lager hätten sie - zum Hüttenwirteteam zählen noch Rudolf Steiger-Wiesner und Christine Steiger - mit Zwischenwänden, Vorhängen, neuen Matratzen und Lattenrosten schöner gestaltet. Das wüssten die Gäste zu schätzen. Seit 2010 seien die Übernachtungen um ein Drittel gestiegen. Nur im vergangenen Jahr seien die Besucherzahlen eingebrochen. "Da gab es aber auch so viel Sturm, dass die Bergbahn nicht fahren konnte", sagt Wiesner.

Was in den jüngsten Jahren immer beliebter wird, sind Weitwanderwege. Wer die ganze Strecke von München nach Venedig schaffen will, muss an der Tutzinger Hütte unterhalb der Felsabstürze im Norden der Benediktenwand vorbei. Wie der zweite Vorsitzende der Tutzinger Alpenvereinssektion, Leonhard Geißler, berichtet, gab es vor etwa zehn Jahren erst um die 5000 Übernachtungen, inzwischen sind es rund 8500. Eine gewaltige Steigerung. Allerdings wurde die Hausstattalm direkt neben der Tutzinger Hütte 2009 neu errichtet. Seitdem kann die Sektion dort mehr Platz und Komfort bieten. Zum Waschen müssen die Almgäste dank neu integrierter Sanitärräume nicht mehr die paar Meter zur Tutzinger Hütte hinüberwechseln. Statt Lager dominieren heute Vier-Bett-Zimmer. "Der Trend geht allgemein dahin", sagt Geißler.

Bis Mitte September sind die Samstage auf der Tutzinger Hütte nahezu ausgebucht. Seit Mitte April hat Christine Seemüller vom neuen Pächter-Trio rund 1700 Übernachtungsgäste gezählt. Etwa 3200 Reservierungen hat sie schon gebucht. Für einige Tage hat das Pächterteam mehr Anfragen, als es Schlafplätze bereitstellen kann. Für diese Fälle existiert sogar eine Warteliste. Wie Seemüller schildert, steige die Erwartungshaltung der Wanderer. Einige gingen davon aus, dass sie allein in einem Zimmer unterkommen könnten, was aber nicht machbar sei. Kürzlich habe eine größere Gruppe nur nach Doppelzimmern gefragt. "Wir haben aber nur eins davon", sagt sie. Manche reagierten auch ungeduldig, wenn es bestimmte Gerichte nicht mehr gibt oder nicht schnell gut serviert wird.

Vor zu viel Infrastruktur am Berg warnt der Tölzer BN-Kreisvorsitzende Friedl Krönauer. Aus seiner Sicht ist der Alpenverein jedoch Nachhaltigkeit und Umweltschutz verpflichtet. Er glaube nicht, dass Übernachtungskapazitäten am Berg ausgebaut würden. Wenn allerdings Ladestationen für E-Bikes auf Hütten eingerichtet würden, sehe er das sehr kritisch. Aber selbst in Nepal gebe es auf vielen Expeditionshütten schon Wlan. Das sei eben der digitale Wandel. "Wer klassisch in den Bergen unterwegs war, wollte Zivilisationsferne und Abgeschiedenheit genießen", sagt Krönauer. "Wie in der guten alten Zeit ist es nicht mehr."

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