Gewalt gegen Unparteiische:Dem Fußball gehen die Schiedsrichter aus

Immer weniger junge Leute wollen die Aufgaben des Schiris auf dem Feld übernehmen. Sie fürchten Beschimpfungen und Gewalttätigkeiten. Der Bayerische Fußballverband setzt auf Konfliktmanager.

Sebastian Blum

Muenchen: Bezirkssportanlage Lerchenau / Reportage AGGRESSION AUF DEM Fussballplatz

Nicht wenige Schiedrichter gehen mit einem mulmigen Gefühl auf den Platz. Wegen zunehmender Gewalt ist die Aufgabe bei Jugendlichen denkbar unbeliebt.

(Foto: Johannes Simon)

Rote Karte: Vor sieben Jahre pfeift Willi Dörder die A-Klassen-Partie des SV Bad Tölz II gegen Olympic Geretsried in Bad Tölz. Es spielt der Letzte gegen den Vorletzten. Dörder hat bereits einen Geretsrieder vom Platz gestellt. Als er den Gästen noch einen Elfmeter verweigert, dreht ein Spieler durch. Mit den Worten "Ich bring dich um" würgt er den Unparteiischen, bis dieser Einblutungen in den Augen bekommt. Die Folgen: Der Spieler wird zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilt, der Bayerische Fußballverband (BFV) schließt ihn dauerhaft aus dem Verband aus. Olympic Geretsried muss 1000 Euro Strafe zahlen. Dörder pfeift wieder Spiele in der Kreisklasse.

Von Juli 2010 bis Januar 2012 verzeichneten die bayerischen Amateurligen laut BFV-Statistik 304 Tätlichkeiten gegen Schiedsrichter. In 170 Fällen musste der Unparteiische die Partie aufgrund von Attacken gegen Spieler oder den Schiedsrichter abbrechen. Dabei ist die Situation im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zurzeit eher ruhig, wie der Obmann der Schiedsrichtergruppe (SRG) Bad Tölz, Kurt Beck, berichtet. Vollständige Entwarnung will er nicht geben: "Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zwei vor zwölf", sagt er - nicht zuletzt wegen der Ereignisse in Dachau. Vorigen Montag treten der Obmann der Schiedsrichtergruppe Dachau und sein Stellvertreter zurück. Denn beide sind von der Gewalt gegen ihre Kollegen überfordert und befürchten, deren Sicherheit nicht mehr gewährleisten zu können.

Es seien Vorfälle wie dieser, die es immer schwieriger machten Nachwuchs für die Gruppe zu gewinnen, sagt der Obmann der SRG Bad Tölz. Viele Junge würden sagen: "Schiri: Das mach' ich nicht." Und das, obwohl erfahrene Kollegen der Gruppe die Neulinge bei mindestens vier bis fünf Spielen betreuen und mit ihnen in der Halbzeit etwaige Fehlentscheidung besprechen. Von den Anfängern hören laut Beck etwa 40 Prozent wieder auf - mit beunruhigenden Folgen: In der C-Klasse würden nur noch 30 bis 40 Prozent der Spiele von den Schiedsrichtern der SRG Bad Tölz gepfiffen, in der B- Klasse seien es etwa 60 Prozent. In den anderen Spielen pfeift ein von einem Verein gestellter Schiedsrichter. Beck fürchtet dadurch weitere Konflikte.

Er hält härtere Strafen für notwendig, etwa lebenslange Sperren und Geldstrafen im fünfstelligen Bereich. Auch der BFV solle massiv einschreiten. Sein Stellvertreter Hans Gartner berichtet: "Wenn du eine Rote Karte gibst, bricht die Welt zusammen". Die Kommunikation mit den Vereinen funktioniere schlecht, immer sei der Schiedsrichter schuld. Die Vorstände, Abteilungs- und Jugendleiter und auch die Trainer sollten beruhigend auf Spieler und Vereinsmitglieder einwirken.

Norman Klein, Trainer der ersten Mannschaft des SV Bad Tölz 1925, und sein Kapitän Florian Schmitz sind sich einig: Gewalt hat im Sport nichts verloren. "Ich bewundere Schiris, die haben keinen leichten Job", sagt Schmitz. Aber es gebe darunter manch einen, der sich das Leben selbst unnötig schwer mache. Ein paar Unparteiische leiteten die Spiele auf provokante Art und Weise. "Ich bin ja ein älteres Semester", sagt Schmitz, der seit 17 Jahren in der Bezirksliga Oberbayern Süd spielt. "Dass mich Linienrichter, die zehn Jahre jünger sind als ich, mit Freunderl anreden, will ich nicht hören." Schließlich sei alles eine Frage des gegenseitigen Respekts.

Übergriffe auf Schiedsrichter haben Klein und Schmitz selbst jedoch nicht erlebt. "Vielleicht hängt das vom Niveau der Spielklasse ab", mutmaßt Klein. In der Bezirksliga, wo drei Unparteiische das Spiel leiten, gebe es vielleicht mehr Hemmungen. Zudem ermahne er seine Spieler, die Entscheidungen der Schiedsrichter nicht zu kommentieren. Wer sich nicht daran halte, mache manchmal ein paar Extra-Runden im Training. Die Mannschaft hat zudem einen Strafkatalog ausgearbeitet: Gelb wegen Meckerns kostet zehn Euro, für Rot sind 50 Euro fällig.

Indes ist auch der Verband nicht untätig: Seit Oktober 2010 sind in Bayern 22 Konfliktmanager im Einsatz, die zwischen Vereinen, Unparteiischen und Spielern vermitteln. Einer von ihnen ist Gzim Shala, der für die Region Oberbayern zuständig ist. Über die Rücktritte der Dachauer Schiedsrichter ist er bestürzt. "Man darf niemals vor der Gewalt kapitulieren", sagt er. Ein Konfliktmanager hätte die Situation vielleicht retten können. In seiner bisher dreimonatigen Tätigkeit habe er sich immer bemüht, sich mit den Parteien an einen "Runden Tisch" zu setzen. Als ehemaliger Schiedsrichter, Spieler und Trainer könne er die unterschiedlichen Sichtweisen verstehen. So habe er auch Mitleid mit Mannschaften, die wegen Aktionen einzelner in Sippenhaft genommen würden, nicht jedoch mit den Tätern: "Gewalttätige sollen Karate, Kung-Fu oder Boxen machen, aber nicht Fußball spielen."

Der Sport droht in der ganzen Debatte unterzugehen. Denn alle - ob Schiedsrichter, Spieler, Trainer, Konfliktmanager oder Vorstände - sind sich trotz unterschiedlicher Meinungen in einem einig: Fußball ist ein toller Sport. Mancher der Befragten spricht wie Manfred Fleischer, Abteilungsleiter des BCF Wolfratshausen, von "der schönsten Nebensache der Welt." Fleischer hat auf die Frage, wer denn bei dem Ganzen die Verantwortung trage, vielleicht die beste Antwort: "Man sucht immer jemanden, der handeln soll. Doch ein gutes Beispiel muss man selber geben."

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