Süddeutsche Zeitung

Gewalt an Frauen:Unterdrückt, gestalkt, misshandelt

Lesezeit: 3 min

Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, die Dunkelziffer an Betroffenen ist hoch. In Wolfratshausen finden sie Hilfe und Zuflucht beim Verein "Frauen helfen Frauen". Doch die Arbeit des Vereins wird immer schwieriger, wie auch die Finanzierung.

Von Laura Geigenberger, Wolfratshausen

Der Raum im Dachgeschoss ist gemütlich: helle Böden, große Fenster mit Blick auf die Stadtpfarrkirche, in der Ecke ein Bett, auf dem ein Plüschtier liegt. Fast wie das Zimmer eines Jugendlichen - stünden da nicht diese Bücher in den Regalen. "Vom Trauma befreien", heißt eines von ihnen. Weitere tragen Titel wie "Väter als Täter" oder "Gewalt hat viele Gesichter".

"Gewalt gegen Frauen muss nicht immer 'nur' ein körperlicher Übergriff sein", sagt Nicoline Pfeiffer. Die 58-Jährige gründete 1986 den Wolfratshauser Verein "Frauen helfen Frauen" mit und arbeitet seither als hauptamtliche Vollzeitkraft in dessen Frauenhaus sowie in der Beratungsstelle. In ihr wohnliches Sprechzimmer in der Bahnhofsstraße 13 kommen Frauen, die nicht mehr wissen, wohin. Weil sie - von Lebensgefährten, Freunden oder Familienmitgliedern - unterdrückt, gestalkt, physisch und seelisch misshandelt wurden. Weil sie sich sexuellen Nötigungen ausgesetzt sahen. Viele von ihnen sind Mütter, die meisten traumatisiert.

"Häusliche Gewalt ist noch immer ein massives Problem in unserer Gesellschaft", sagt Pfeiffer. "Jede vierte Frau hat mindestens einmal in ihrem Leben körperlichen oder sexuellen Missbrauch erfahren." Ihre Angaben spiegeln sich in der Statistik zur Partnerschaftsgewalt wider, welche Familienministerin Franziska Giffey kürzlich vorstellte: Demnach waren Frauen in 68 544 Fällen Opfer einfacher und 11 788-mal Opfer gefährlicher Körperverletzung durch ihre früheren oder aktuellen Partner. Zudem wurden 147 Delikte bekannt, in denen Männer ihre (Ex-)Frauen töteten. Es sei jedoch davon auszugehen, dass nur ein Teil der betroffenen Frauen Hilfe suchten, die Dunkelziffer liege vermutlich viel höher, so Giffey.

Durch solchen Zahlen bestätigt sich auch immer wieder die Notwendigkeit von Einrichtungen wie "Frauen helfen Frauen". Der Verein bietet allen Hilfesuchenden ab 18 Jahren Unterstützungssysteme: "Es gibt das Frauenhaus, die Beratungsstelle und einen Rund-um-die-Uhr-Notruf. Außerdem noch eine proaktive Beratung in Kooperation mit der Polizei", zählt Pfeiffer auf. Damit seien sie voll ausgelastet. Im Frauenhaus, einer geschützten Unterkunft, finden sich insgesamt sechs Familien- und ein "Notzimmer", in denen Einzelpersonen Zuflucht suchen sowie Mütter sich und ihre Kinder in Sicherheit bringen können. In der Regel seien dort nur selten Plätze frei. Und die Beratungsstelle, so Pfeiffer, laufe ohnehin ständig "auf Hochtouren". Bei gerade einmal sieben festen Mitarbeitern - vier davon Sozialpädagoginnen, Verwaltung und Hausmeister mit eingeschlossen - muss sich der Verein zusätzlich auf ehrenamtliche Helfer stützen, um die Dienste überhaupt aufrecht erhalten zu können.

Die zu stemmenden Aufgaben sind für das Frauenhaus zudem enorm. Es gilt, viele Formalitäten zu erledigen, beispielsweise Schutzanträge vor Gericht zu stellen, Frauen bei der Existenzsicherung zu unterstützen, ihnen gegebenenfalls das Umgangsrecht für ihre Kinder zu gewährleisten. Gefährdungslagen müssen geklärt, Ausmaße von Traumata erfasst werden. Erst danach kann die "Stabilisierung" der Opfer im Vordergrund stehen. "Das heißt, wir helfen beim Verständnis vom eigenen Trauma und versprechen, für Sicherheit zu sorgen. Gleichzeitig möchten wir auch das Selbstvertrauen der Frauen wieder aufbauen", erklärt Pfeiffer. Dazu gehöre, dass sie Zukunftsperspektiven entwickelten und ihren Alltag selbst organisierten. Allgemein sei die finanzielle Situation des Vereins stets angespannt. "Die Zusammenarbeit mit dem Landkreis funktioniert zwar inzwischen gut", sagt die 58-Jährige, "aber die von der Regierung festgelegten Beträge reichen hinten und vorne nicht." Sie seien immer auf Spendengelder angewiesen, andernfalls sei "das Haus nicht länger zu halten." Dieses Problem ist nicht nur in Wolfratshausen bekannt. Bereits zu Beginn des Jahres forderte die SPD eine Erhöhung der Mittel für Frauenhäuser und Beratungsstellen, da nach Angaben der Partei jede zweite Frau, die Zuflucht in einem Frauenhaus sucht, aus Geld- und Personalmangel abgewiesen werden müsse.

Für Pfeiffer ist Geld aber nur der zweite Schritt, denn "eigentlich ist es das Ziel von Frauenhäusern, sich selbst überflüssig zu machen". Der Blick in die Gesellschaft zeige aber, dass sie davon noch weit entfernt seien. Im Moment würde Gewalt an Frauen eher tabuisiert. Gleichzeitig jedoch - Pfeiffer sagt "absurderweise" - stünden weibliche Opfer unter einem enormen sozialen Druck. "Die misshandelte Frau sieht sich immer Schuldzuweisungen ausgesetzt", erklärt sie. "Zum Beispiel wird sie beschuldigt, ihren Kindern kein sicheres Umfeld bieten zu können. Oder es herrscht die Vorstellung, dass sie sich dem Mann anzupassen hat. Parallel sagen die Leute zu ihr: 'Warum trennst du dich nicht?' Und wenn sie es dann tut, muss sie mit den Konsequenzen leben. Den Täter hingegen stellt kaum jemand infrage." Somit sei ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft notwendig, so Pfeiffer. Die Bestimmung des 25. November zum alljährlichen "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" sei ein Anfang: Dadurch stände das Thema zumindest temporär im öffentlichen Fokus. In ihrem Haus ist anlässlich des Gedenktages allerdings nichts geplant. Denn für Pfeiffer, das Team und die betreuten Frauen werde der Tag "wohl - auch am Sonntag - im hektischen Alltag untergehen".

Wer dem Verein "Frauen helfen Frauen" spenden möchte, kann dies unter der folgenden Bankverbindung tun: FRAUEN helfen FRAUEN e.V., Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen, IBAN: DE53 7005 4306 0570 0400 14, BIC: BYLADEM1WOR. Mitglieder und Helfer sind ebenfalls willkommen. Informationen unter www.fhf-wolfratshausen.de/home.html und per E-Mail an info@fhf-wolfratshausen.de. Hilfe und Beratung in der Bahnhofsstraße 13, Wolfratshausen, Telefonnummer 08171/18680, montags bis freitags 10 bis 17 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2018
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