Gesprächsrunde "5vor12":Harte Realität auf goldenem Boden

Debatte um Umbenennung beruflicher Abschlüsse

Auf der Suche nach Nachwuchskräften tun sich Handwerksbetriebe schwer. Viele Jugendliche liebäugeln eher mit Jobs in der Industrie oder auch bei der Polizei. Davon berichtete auch Zimmerer Georg Melf beim "5vor12"-Treffen der Freien Wähler Gemeinschaft in Bad Tölz.

(Foto: Felix Kästle/dpa)

In Bad Tölz diskutieren die Freien Wähler über die Herausforderungen, vor denen das Handwerk steht. Die Auftragsbücher im Oberland sind voll, doch es fehlt an Fachkräften und am Nachwuchs. Teilnehmer fordern deshalb eine neue gesellschaftliche Anerkennung der Berufe

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Wenn Georg Melf auf Ausbildungsmessen oder ähnliche Veranstaltungen geht, um Nachwuchs zu suchen, hat er ein Problem: Viele junge Leute bevorzugen einen Job in der Industrie oder auch bei der Polizei, ein Handwerksberuf wie Zimmerer rangiert hingegen nicht so hoch in ihrer Gunst. Um die Herausforderungen, vor denen das Handwerk in Bad Tölz steht, drehte sich die zweite "5vor12"-Mittagsrunde, die von der Freien Wähler Gemeinschaft (FWG) im Wahlkampf veranstaltet wird. "Anerkennung und Akzeptanz ist das, was das Handwerk am meisten braucht", sagte Bürgermeisterkandidat Michael Lindmair im Gasthof Binderbräu.

Die Auftragsbücher vieler Fachbetriebe, die zum Beispiel auf dem Bau arbeiten, sind derzeit voll. Allerdings mangelt es ihnen an Fachkräften. Für Kreishandwerksmeister Martin Heimgreiter ist es in diesem Zusammenhang wichtig, dass die Bundesregierung voriges Jahr für zwölf Handwerksberufe wieder die Meisterpflicht eingeführt hat. "Weil ein Meister wieder ausbilden darf, gibt es wieder Lehrlinge, und wir haben wieder Fachkräfte", sagte er. Die Runde begrüßte außerdem das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das den Zugang von Handwerkern aus Nicht-EU-Ländern erleichtern soll. Bäckermeister Leo Büttner aus Bad Tölz beschäftigt momentan einen Bäcker aus Ungarn, er hat zwei Angestellte aus Syrien und einen aus Afghanistan. Der größte Problem, sagte er, "ist die Sprache". Dabei kann die Stadt aus Lindmairs Sicht helfen. "Die Kommune kann Räume und PCs zur Verfügung stellen und weitere Aufgabenfelder für die engagierten Helferkreis finden", sagte der Bürgermeisterkandidat. Außerdem sei eine enge Zusammenarbeit mit den Verbänden nötig, "um zu schauen, wie man schnell Deutsch lernen kann" - vor allem Fachausdrücke.

Mitunter ärgert sich Zimmerer Melf über das Schulsystem. Manche Pädagogen seien der Ansicht, die Mädchen und Jungen müssten schon in der dritten oder vierten Klasse wissen, was sie einmal werden wollen, sagte er. Nach der Grundschule würden die Kinder zumeist "in die Linie Gymnasium gedrückt", teilweise von ihren Eltern. Dabei sollte man auch Spätzündern eine Chance geben, so Melf. "Wichtig ist, dass man Interesse am Beruf, an der Arbeit hat." Das sei im Handwerk viel leichter zu haben als in manchen Akademikerberufen. Thomas Schneider von der Bauunternehmung Schneider plädierte für ein Modell wie in Österreich, wo man eine Lehre beginnen und zugleich vier Jahre lang für die Matura, also das Abitur lernen könne. "Aber viele machen das dann gar nicht und sagen: Hoppla, das Handwerk ist ja gar nicht so schlecht, das ich da mache."

Der Wunsch nach neuen Gewerbeflächen in Bad Tölz wurde kaum laut. Die meisten Firmenchefs, die an der FWG-Einladung gefolgt sind, haben sich im Gewerbegebiet Farchet angesiedelt. Das könnte man noch ausdehnen, was künftig allerdings auf Kosten der Natur ginge, so Lindmair: "Man kann überlegen, die linke Straßenseite zu entwickeln." Dort stehen bislang vor allem Bäume. Lindmairs Blick richtet sich aber zuvörderst auf das weitgehend brachliegende Moralt-Gelände an der Lenggrieser Straße, das dem Unternehmen Certina Holding AG gehört. "Das wäre eine Riesenfläche", sagte auch Zimmerer Melf und forderte die Stadt auf, an den Eigentümer heranzugehen. Das habe man schon getan, erwiderte Lindmair: "Da versucht man natürlich alles, das muss man auf alle Fälle auch weiter machen."

Zu lange Wartezeiten, zu teuer, unzuverlässig - das Image, das Handwerkern landläufig anhaftet, ist nicht immer vorteilhaft. Wenn die Kosten bei öffentlichen Bauprojekten explodieren, liegt dies für Heimgreiter nicht zuletzt daran, dass die Ausschreibungen oft zu spät erfolgen. Gingen sie rechtzeitig raus, "dann kann man auch vernünftig kalkulieren", sagte der Kreishandwerksmeister. Eine anderen Aspekt führte Thomas Schneider an: "Von Planerseite werden häufig Kosten, die vor zehn Jahren gültig waren, herangezogen." Und dann müssten sich die Handwerker rechtfertigen, warum alles so teuer sei.

Für Schreiner Ulrich Fottner (Möbel Fottner) ist das Entscheidende, "dass die Leute wieder eine andere Einstellung zum Handwerk bekommen". Dem pflichtete Sandra Büttner von der Bäckerei Büttner bei. Das Bild des Bäckerberufs hat nach ihrem Dafürhalten gelitten, weil Lebensmitteln in der Wegwerfgesellschaft generell wenig Wert beigemessen wird. Dabei sei Bäcker "ein Wahnsinnsberuf", sagte Thomas Schneider. Stelle er doch das Brot her, das jeder brauche. Und auch seine eigene Branche lobte er. "Wenn ich durch die Tölzer Marktstraße gehe kann ich sagen, wir haben da mitgebaut und habe da mitgebaut - wir füllen keine Ordner, die nach zehn Jahren geschreddert werden".

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