Süddeutsche Zeitung

Geschichte in Wolfratshausen:Im Wald der Erinnerungen

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Das Badehaus öffnet mit neu dokumentierten Lebensgeschichten

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Das Dachgeschoss des Erinnerungsorts Badehaus in Waldram, ehemals Föhrenwald, ist den Schicksalen, den Lebensgeschichten, den Menschen gewidmet, die einst dort gelebt haben. Unter symbolischen "Bäumen der Erinnerung" stehen an den Wänden Namen über Namen. Bei der Eröffnung des Hauses vor zweieinhalb Jahren waren es 120. Zur Wiedereröffnung an diesem Freitag nach Corona-Zwangspause sind es 52 mehr. Und es sollen noch viele dazukommen, sagten der stellvertretende Vorsitzende Jonathan Coenen und der Bundesfreiwillige (Bufdi) André Mitschke am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.

Die Badehaus-Verantwortlichen sind froh, endlich wieder Gäste im Haus begrüßen zu dürfen. Denn in den vergangenen Monaten beschränkte sich der Kontakt auf virtuelle Begegnungen. Coenen sagte, der Badehaus-Verein habe die Zeit der Schließung nicht nur dazu genutzt, Räume frisch zu streichen und einiges umzustellen. Vor allem seien die Online-Angebote ausgebaut worden. Schon das - noch in Präsenz begangene - Gedenken an 75 Jahre Föhrenwald sei aufgezeichnet und über Online-Kanäle verbreitet worden. Die nächsten Termine waren für Publikum nur noch digital zugänglich: die Vorstellung des ersten Badehaus-Buchs "Lebensbilder - Porträts aus dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald"; die Aktion mit den "Mahnblumen" des Künstlers Walter Kuhn zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus; Vortrag und Zeitzeugengespräch "Von der Baracke zum eigenen Heim" und die Kooperationsveranstaltung mit dem Kulturverein Isar-Loisach (KIL) zum Internationalen Frauentag.

Mit der Resonanz ist Coenen sehr zufrieden. Es seien immer Hunderte Klicks verzeichnet worden. Und obwohl "die Unmittelbarkeit fehlt, die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen", so gebe es doch auch Vorteile. Denn es könnten so auch Badehaus-Interessenten in Israel und den USA das Geschehen mitverfolgen. Außerdem sei bei Präsenzveranstaltungen unterm Dach nur Platz für 100 Personen - das Online-Streaming aber ist unbegrenzt. "Man schöpft ein neues Potenzial aus."

Das Badehaus sieht die Würdigung der Zeitzeugen aus den verschiedenen Phasen Föhrenwalds und Waldrams - Rüstungsarbeiter unter den Nazis, NS-Überlebende und schließlich Heimatvertriebene - als zentrale Aufgabe an. Die Lebensgeschichten werden dokumentiert. Unter den neuen Namen sind etwa jene der aus Polen stammenden Brüder Fiszel und Schymon Ajnwojner. Ihre Geschichte hat Bufdi André Mitschke aufgeschrieben. Seine Erzählung beginnt mit den Worten: "Schymon und Fiszel haben eine Oma." Die scheinbare Selbstverständlichkeit, so löst Mitschke auf, ist für jüdische Menschen nach der Nazi-Zeit eine Besonderheit. Denn die Alten hatten wenig Chancen, die Schoah zu überleben.

www.erinnerungsort-badehaus.de

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SZ vom 19.03.2021
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