Zeitgeschichte in Wolfratshausen:Waldram als „begehbares Museum“

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Das Jahresprogramm des Vereins "Erinnerungsort Badehaus" stellte Vorsitzende Sybille Kraft vor. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Verein „Erinnerungsort Badehaus“ stellt sein Jahresprogramm vor, das ganz im Zeichen des Kriegsendes vor 80 Jahren steht. Ehemalige Bewohner des jüdische DP-Lagers Föhrenwald kommen zu einem Festakt am 18. Oktober.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

„Das wird ein besonderes Gedenkjahr“, erklärte Sibylle Krafft. Vor 80 Jahren, im Oktober 1945, wurde das jüdische DP-Lager Föhrenwald für die Überlebenden des Holocaust gegründet, die dort eine neue Zuflucht fanden. Ein Festwochenende mit einem großen Wiedersehen der ehemaligen Bewohner und ihrer Familien ist der Höhepunkt im Veranstaltungsjahr des Vereins „Erinnerungsort Badehaus“. Bis zu 60 Zeitzeugen aus aller Welt wollen kommen. Neben dem offiziellen Festakt gibt es am 18. Oktober auch eine öffentliche Veranstaltung. „Waldram wird für einen Tag zu einem begehbaren Museum“, kündigte die Vorsitzende des Vereins an. Die Besucher sollen mit Hilfe „lebender Wegweiser“ das einstige Lager erkunden, mit Kurzbiografien und Audioguides mehr über das Schicksal der einst hier lebenden Menschen erfahren. 

Der Verein hat mittlerweile knapp 700 Mitglieder, voriges Jahr kamen 80 hinzu

Über die Rekordzahl von 80 neuen Mitgliedern im vergangenen Jahr und damit so viel Vereinseintritten wie noch nie freute sich Krafft beim traditionellen Neujahrsempfang im Erinnerungsort Badehaus am Samstag. Knapp 700 Mitglieder hat der Verein mittlerweile, und das Museum erwartet seit seiner Eröffnung demnächst den 23000 Besucher. In die lange Liste der Auszeichnungen reihen sich zwei weitere mit dem „Elnet-Award“ und dem Bürgerpreis des bayerischen Landtags ein. Die Verdienste um die Erinnerungskultur würdigte auch Günther Eibl: „Das Badehaus zeigt mit seinem hochwertigen Veranstaltungsprogramm, wie man Vergangenes nicht nur bewahrt, sondern in die Gegenwart integriert“, sagte der Zweite Bürgermeister von Wolfratshausen.

Das Team um Sibylle Krafft erläuterte das neue Veranstaltungsprogramm, das den thematischen Schwerpunkt „80 Jahre Kriegsende“ hat. Dazu sind Zeitzeugengespräche, Buchvorstellungen, Konzerte, Vorträge, Filmvorführungen und zwei Sonderausstellungen geplant. Zunächst gibt es einen Film mit Podiumsdiskussion über die amerikanische Erinnerungskultur zum Holocaust-Gedenken („Echoes of Remembrance, 8. Februar). 1945 mussten Millionen von Deutschen ihre Heimat verlassen. Es waren vor allem Frauen, die sich mit ihren Kindern auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machten. „Ungehört“ heißt die neue Sonderausstellung (Eröffnung, 8. März), die sich insbesondere den Schicksalen der Frauen in den Jahren der Flucht, Vertreibung und Integration widmet, auch den Waldramer Heimatvertriebenen ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

Auf dem berüchtigten "Todesmarsch" zogen KZ-Häftlinge vor 80 Jahren durch Wolfratshausen und die umliegenden Ortschaften. (Foto: Hartmut Pöstges)

Vor 80 Jahren zog der berüchtigte „Todesmarsch“ durch Wolfratshausen und die umliegenden Ortschaften. Über den Leidensweg der ehemaligen Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau, die nach ihrer Befreiung im Lager Föhrenwald ihre ersten Tage in Freiheit verbrachten, hat der Geretsrieder Andreas Wagner vor 30 Jahren die erste Gesamtdarstellung geschrieben. Zum 80. Jahrestag stellt er seine jüngsten Forschungsergebnisse dazu vor, außerdem werden neue historische Funde präsentiert („Todesmarsch“, 27. April).

Der Jazzgitarrist Coco Schumann, der 2018 in Berlin gestorben ist, wurde 1945 im Lazarett Föhrenwald gesund gepflegt. (Foto: Imago/Scherf)

Im Mai steht eine Exkursion zum Obersalzberg und der völlig neu konzipierten Dauerausstellung über das ehemalige NS-Machtzentrum auf dem Programm (27. Mai). Die „Spurensuche im Berchtesgadener Land“ schließt auch eine Führung in der Hohenstaufen-Kaserne Bad Reichenhall mit ein, die als „Tikwah-Camp“ nach dem Krieg ein Lager für jüdische Displaced Persons wurde. Danziger Freiheit, Independence Place, Kolpingplatz – der Ideologie der Straßenbenennungen im Föhrenwald-Waldram widmet sich der Vortrag der Wolfratshauser Sprachwissenschaftlerin Ulrike Krischke („Die Macht der Worte“, 1. Juni). Es folgt ein Konzertabend mit den Geretsrieder Musikern Benni Schäfer, Titus Vollmer und Matthias Gmelin, die damit an Coco Schumann erinnern wollen, einen der erfolgreichsten Jazzgitarristen Deutschlands. Der jüdische Musiker wurde am 1. Mai 1945 im Lager Buchberg befreit und im Lazarett Föhrenwald gesund gepflegt („Coco Schumann – der Ghetto-Swinger“, 13. Juli).

Von einem historischen Ortsrundgang bis zur multimedialen Dokumentation

Am „Tag des offenen Denkmals“ im September nimmt auch der Erinnerungsort Badehaus mit einem historischen Ortsrundgang teil („Lager-Schtetl, Siedlung“, 14. September). Im September eröffnet auch die neue Sonderausstellung. Die multimediale Dokumentation thematisiert das wichtige Thema Sport in Föhrenwald – von der Zeit der jüdischen DP-Bewohnern bis zu den katholischen Heimatvertriebenen („Fußball, Turnen, Boxen“, ab 21. September). Im November geht es um eine musikalische Annäherung an den Widerstandskämpfer und Hitler-Attentäter Georg Elser („Der Zitherspieler“, 16. November). Das Veranstaltungsjahr endet mit einer Lesung. In ihrem neuen Buch erzählt Sandra Pioro von ihrer Spurensuche nach ihrem Vater, eines Auschwitz-Überlebenden und ehemaligen Föhrenwald-Bewohners („Nie mehr still“, 14. Dezember). Außerdem nimmt das Badehaus künftig die Bunkertouren durch Geretsried regelmäßig ins Programm, nachdem die Führung im vergangenen November fast überrannt worden war.

Weitere Informationen unter www.erinnerungsort-badehaus.de

 

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