Süddeutsche Zeitung

"Fischer am See":Wo Kirk Douglas und Mario Lanza logierten

Am Walchensee traf sich die Prominenz der Wirtschaftswunderjahre: Künstler, Politiker und die gesamte Fußballnationalmannschaft. Seit Jahren ist das Hotel verwaist.

Von Sabine Näher

Die Lage am Ufer des Walchensees ist traumhaft, der Anblick des Hotels "Fischer am See" ist es nicht: Das riesige, am Ortseingang gelegene Gebäude wirkt abweisend; die Eingänge sind verschlossen, die Vorhänge zugezogen. Und doch ahnt man den Glanz und die Pracht vergangener Zeiten, als der "Fischer am See" weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannt war, als sich Prominente aus dem In- und Ausland dort vergnügten. Geschichten davon wissen noch einige Leute im Dorf zu erzählen. Einer von ihnen ist Dieter Strauß, der im "Fischer am See" groß geworden ist.

Sein Großvater, Richard Schilde, hatte in Urfeld 1921 ein kleines Fischerhaus aus dem 16. Jahrhundert gekauft. Das Haus lag verkehrsgünstig an der Kesselbergstraße, die Ende des 15. Jahrhunderts angelegt worden war. "Hier ließen schon die Postkutschen ihre Pferde rasten", sagt Strauß. Dass auch Goethe auf dem Weg nach Italien 1786 im Hause einkehrte, sei zwar nicht belegt, aber naheliegend. "Später kamen dann die ersten Autofahrer. Es gab Brotzeiten, Kaffee und Kuchen oder einen frischen Fisch aus dem Walchensee."

Richard Schilde, ein Kommerzienrat, der in München ein Hotel betrieb, hatte 1921 jedenfalls das richtige Gespür. In Zeiten zunehmender Mobilität zog es immer mehr Gäste an den Walchensee - und alle kamen unweigerlich an dem kleinen Gasthaus vorbei. So blieb es nicht lange klein, wurde mehrfach um- und ausgebaut. Der heute noch erhaltene Anbau mit dem riesigen Wandgemälde des Fischers, der an die Ursprünge des Hauses erinnert, wurde 1951 eingeweiht.

Wieder erkannte Schilde die Zeichen der Zeit: Die Boom-Jahre des Wirtschaftswunders brachten massenhaft Gäste nach Urfeld. "Wir hatten einen riesigen Biergarten direkt am See", erinnert sich Strauß. "Die Küche lag damals im ersten Stock: Die Bedienungen hatten entsprechend lange Wege zurückzulegen." Da sie mit voll beladenen Tabletts die Straße überqueren mussten, ist anzunehmen, dass sich damals noch keine Blechlawinen über die Uferstraße quälten, wie das heute an schönen Tagen der Fall ist.

Damals kamen die Gäste, um zu bleiben. 120 Betten hatte der "Fischer am See" Mitte der Fünfziger Jahre. "1956 konnte unser Haus die meisten Ausländerübernachtungen in ganz Deutschland aufweisen. Hauptsächlich waren es Franzosen. Und die kamen wegen unserer guten Küche", erzählt Strauß. Kein Wunder: Der damalige Küchenchef habe zuvor im Berliner "Adlon", in "Auerbachs Keller" in Leipzig und im "Eisenhut" in Rothenburg gearbeitet.

Strauß ist der Sohn von Irmgard Schilde, der Tochter Richard Schildes, und Johann Strauß. Er wurde im November 1942 geboren und wuchs quasi im Hotel auf. Seine Eltern führten das Haus seit 1938 - und damit durch die Kriegswirren. Als keine Urlauber mehr kamen, trat die Kinderlandverschickung auf den Plan: Münchner Kinder wurden in Urfeld einquartiert. So hatte der kleine Dieter immer ein ganzes Haus voller Spielkameraden. Nach Kriegsende war das Hotel äußerst beliebt bei den amerikanischen Offizieren. "Deshalb ging es uns immer gut. Auch in den Hungerjahren litten wir keinen Mangel."

Da auch die Mutter im Hotel mitarbeitete, wurden Dieter und seine drei Schwestern Margit, Renate und Sibylle von Kinderschwestern versorgt. Die Familie wohnte zwar privat im heutigen Hotel "Karwendelblick", dennoch verbrachten die Geschwister viel Zeit im Betrieb der Eltern. Gegessen wurde ohnehin im Hotel. Und auch der Kontakt zu den Gästen war den Kindern erlaubt. Rückblickend gibt es da auch eine makabre Erinnerung: "Unter der amerikanischen Besatzung war ein Mr. Woods, ein sehr kinderlieber Mann, der uns Orangen und Schokolade schenkte. Viele Jahre später habe ich sein Bild in einer Illustrierten gefunden: Er war der Henker von Nürnberg und ist bei einem 'Arbeitsunfall' am elektrischen Stuhl ums Leben gekommen."

Als die amerikanischen Soldaten aus Urfeld abgezogen waren, kamen Anfang der Fünfziger Jahre Urlauber aus vielen Nationen: Neben Franzosen insbesondere Engländer und Amerikaner, aber natürlich auch Gäste aus ganz Deutschland. Wieder profitierten die Hotelierskinder: "Wir hatten viele reiche Gäste; manche brachten uns Geschenke mit." Was die Kinder damals weniger interessierte: Viele Besucher waren ausgesprochen prominent. "Der italienische Star-Tenor Mario Lanza war wiederholt zur Abmagerungskur im Ort. Und wenn er die Brennnessel-Suppe, die man ihm in seinem Kurhotel servierte, nicht mehr sehen konnte, kehrte er heimlich bei uns ein und ließ es sich gut gehen."

Der Besuch der gesamten Fußballnationalmannschaft 1954 nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft war dagegen auch für die Kinder ein besonderes Erlebnis: "Ich bekam Autogramme von allen!", freut sich Strauß noch heute. Politiker wie Karl Theodor Baron zu Guttenberg, Vater des Dirigenten Enoch und Großvater des über die Plagiatsaffäre gestolperten Karl Theodor, waren ebenfalls gerne mit der Familie zu Gast. "Mit Enoch bin ich über den See gefahren und habe mit ihm im Wald gespielt." Auch an den Atomphysiker Werner Heisenberg, der 1932 den Nobelpreis erhalten hatte, erinnert sich Strauß: "Er hatte das Haus des Malers Lovis Corinth gekauft und kam gerne zum Essen zu uns."

Corinth, dem in Urfeld ein kleines Museum gewidmet ist, hat das Hotel bei seinen zahlreichen Aufenthalten am Walchensee übrigens wiederholt gemalt. Zwei besonders schöne Bilder sind in der Tourist-Information in Walchensee zu bewundern. Ein ganz anderes Original befindet sich im Familienbesitz: Irmgard Strauss bekam als Kind eine handgefertigte Puppenküche vom Maler geschenkt.

Aber auch Film-Prominenz war vertreten. "1958 wurde ein amerikanischer Film am Walchensee gedreht: 'Die Wikinger'. Kirk Douglas spielte die Hauptrolle und logierte mit dem ganzen Team fast ein ganzes Jahr im Hotel. Viele Dorfbewohner durften als Komparsen mitspielen." Dass ein halbes Jahrhundert später erneut ein Wikinger-Film das Dorfleben durcheinanderwirbeln sollte, diesmal mit Michael "Bully" Herbig als Star, konnte damals keiner ahnen.

Irmgard Strauß hatte das Haus 1956 von ihrem Vater geerbt, nach ihr sollte ihr Sohn den Betrieb eines Tages übernehmen. Also lernte er den Beruf von der Pike auf: Zunächst als Volontär in der Küche des "Bayrischen Hof" in München 1959/60, dann ging er 1961 ins "Hotel de la Paix" nach Lausanne in den Service und schließlich 1962 nach Johannesburg, wo er an der Hotelrezeption arbeitete. Als er zurückkehrte an den Walchensee, deutete sich schon an, dass die goldenen Jahre vorüber waren. Die Lage direkt an der Straße erwies sich bei rasch zunehmendem Verkehr als ungünstig. Es kamen weniger Gäste. Die Auslastung des großen Hauses ließ zunehmend zu wünschen übrig.

Also wurde der Familienbetrieb 1968 verkauft, zunächst an einen Bankier aus München, der den alten Teil des Anwesens abreißen und größer und moderner wieder aufbauen ließ. Eine fatale Fehlentscheidung. Seine Bank ging in Konkurs. Das Haus wurde mehrfach weiter verkauft, doch gelang es keinem Betreiber, an die Glanzzeiten anzuknüpfen.

Dieter Strauß stieg als Einrichtungsberater in das Geschäft einer seiner Schwestern und des Schwagers in München ein. Er trauert der entgangenen Hotelierskarriere nicht nach: "Man hätte wieder verkleinern können, aber das Haus hätte nach wie vor direkt an der Straße gelegen. Da hat man heutzutage keine Chance. Zeitig zu verkaufen war die richtige Entscheidung. " Er ist zufrieden mit der Wende, die sein Leben genommen hat und bewahrt die vielen schönen Erinnerungen in einem Fotoalbum auf - und in seinem Herzen.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2016
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