Geretsrieder Schrebergärten:88 Paradieschen

Die örtlichen Parzellen sind begehrt, obwohl sie sich auf einer früheren Müllhalde befinden. Den Pächtern bieten sie kostbaren Raum zur Gestaltung und Entfaltung

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Erstaunlich, was alles in Doris Semmlers Garten Platz hat. Auf dem lang gestreckten Grund reihen sich drei Teiche aneinander: In dem ersten schwimmen Goldfische, Frösche sonnen sich auf einem Stein; in dem zweiten wuselt es nur so vor Kaulquappen; und der dritte ist ein gefragter Badeplatz für Rotkehlchen und Amseln, die dort bevorzugt abends vorbeischauen. Semmler hat ihre Gartenarbeit unterbrochen, um durch ihr Paradies zu führen. An der Wand des Schuppens: ein Insektenhotel; Wildbienen haben bereits einige Schlupflöcher verschlossen. Auch ein "Echsenehepaar" sei bei ihr zu Hause, sagt Semmler und zeigt auf das braune Weibchen: "Sie ist gerade ein bisschen rund, weil sie Junge trägt." Der Gatte? "Unterwegs."

Semmler hat großes Glück. Nicht nur, weil sie offensichtlich mit einem leuchtend grünen Daumen gesegnet ist und es geschafft hat, ihren nur knapp 300 Quadratmeter großen Garten mit drei Teichen, 200 Rosenstöcken, einem Gewächshaus mit Kohl und Salat und etlichen blühenden Tulpen zu schmücken. Sondern auch, weil sie die Parzelle in der Kleingartenanlage im südlichen Geretsried überhaupt besitzt. 88 Gärten hat die Anlage, alle besetzt - auf der Warteliste stehen 43 Namen. Wer einen Garten will, muss mit bis zu 15 Jahren Wartezeit rechnen. Er muss außerdem Geretsrieder sein und darf keinen eigenen Grund besitzen; wer also bereits einen Garten zu seiner Verfügung hat, kann keinen zweiten beantragen. Schrebergärten sind soziale Einrichtungen, für Stadtbewohner, die keinen Garten haben können, aber dennoch ein Stück Natur bewirtschaften und genießen wollen.

Im Zentrum der Anlage stehen zwei Holzhäuser mit Satteldach, das eine ist ein Lagerhaus, das andere das Vereinsheim. In einem grünen Schriftzug im Holz über den Tischen ist das Datum der Vereinsgründung festgehalten: 1977 - eine Zeit, in der die Kleingartenanlage auf der Mülldeponie noch ein ehrgeiziges Ziel war, und ihre Umsetzung kaum vorstellbar. Georg Sonnauer war von Anfang an dabei und erinnert sich noch gut: "Da war damals nichts hier." Die Stadt stellte zwar Wasserleitungen und Anfangsmaterial zur Verfügung, wie Humus und die Außenzäune. Roden und planieren mussten die Geretsrieder Kleingärtner aber selbst. Ein Kraftakt, der sich gelohnt hat: Von der alten Mülldeponie ist in der idyllischen Anlage nichts mehr zu spüren. Fünf Jahre nach der Vereinsgründung konnten Sonnauer und seine Mitstreiter ihre Parzellen beziehen. Sieben von ihnen pflegen ihre Gärten noch heute.

Gärten und Äcker

Geretsried: Die Anlage des Isartaler Kleingartenvereins verfügt über 88 Parzellen, die etwa 300 Quadratmeter groß sind. Alle sind belegt, die Wartezeiten betragen bis zu 15 Jahre - auf der Warteliste stehen derzeit 43 Namen. Ansprechpartner ist Peter Knoppeck, Telefon 08171/61669

Penzberg: Die Schrebergartenanlage in Penzberg Stegfilz (Stegfilzstraße 10) verfügt über 72 Parzellen, die derzeit alle belegt sind. Auf der Warteliste stehen hier im Schnitt fünf bis zehn Leute, die etwa ein bis zwei Jahre warten müssen. Die Nachfrage sei deswegen nicht so groß, weil in Penzberg viele Leute selbst einen Garten besäßen, sagt Max Kapfer, Vorsitzender des Kleingartenverein Penzberg-Stegfilz. Die Jahrespacht beträgt zwischen 120 bis 170 Euro. Kapfer ist unter Telefon 08856/2935 zu erreichen.

Reichersbeuern: Die Reichersbeurer Kleingartenanlage liegt nahe der Bundesstraße 472 südlich des Orts. Sie verfügt über 47 Parzellen. Hier gibt es ebenfalls eine Warteliste.

Icking: Wer nur Gemüse, Obst und Kräuter anbauen möchte, kann sich einen Bifang auf dem Sonnenacker der Solidargemeinschaft Oberland im Ickinger Ortsteil Dorfen pachten. Bei Adriane Schua, Telefon 08024/47 35 12, E-Mail adriane.schua@miesbacherland.info, kann man sich anmelden. Infos gibt es auch im Internet unter www.toelzerland.com.

Wolfratshausen: Einen Sonnenacker gibt es seit heuer auch in Weidach. Zehn Parzellen sind bereits belegt, im kommenden Jahr sollen 30 bis 40 Parzellen angeboten werden, Infos bei Hans Schmidt, Telefon 08171/29751.

Viel Zeit ist seither vergangen: Genug etwa, um einen Kirschbaum wachsen zu lassen, der in einem Garten nahe dem Vereinsheim in voller Blüte steht. Der belastete Boden wurde 60 Zentimeter hoch mit Kies abgedichtet, darauf kam eine 30 Zentimeter dicke Humusschicht - dick genug, um Rüben zu ziehen, für Kartoffeln indes reicht die Tiefe nicht aus. Das Vereinsheim und das Lagerhaus baute der Zimmermann und zweite Vorsitzende Hans Nowotny zusammen mit Hobby-Gärtner Hans Heiland. Über die Entstehungsgeschichte wurde ein Kurzfilm gedreht, den der Verein demnächst dem Geretsrieder Stadtmuseum überlassen will.

Eine Kleingartenanlage auf einer Mülldeponie: So mancher Nutzer mag bei diesem Gedanken skeptisch werden. Der Vorstand nimmt auf diese Bedenken Rücksicht. Wer also kein Risiko eingehen will, der wird nicht dazu verpflichtet, in seinem Garten Gemüse anzubauen. So nämlich steht es im Bundeskleingartengesetz festgeschrieben: Mindestens ein Drittel der Fläche soll demnach als Nutzgarten herhalten. Die Analysen, die die Regierung von Oberbayern alle paar Jahre anordnet, stützen die Bedenken übrigens nicht. Dennoch: Allein die Erkenntnis, dass sich knapp einen Meter unter dem Salat eine dicke Schickt Müll befindet, muss erst einmal verdaut werden.

Gifte sind in der Kleingartenanlage auch oberirdisch nicht erwünscht, nicht zuletzt, um die Bienen zu schützen. Zwei Völker leben in einem Bienenkasten hinter dem Vereinsheim: Jetzt, im Frühling, herrscht dort wieder reger Betrieb, es schwirrt und brummt, wohin das Auge blickt. Den Bienen zuliebe sollen die Kleingärtner auf Pestizide und Kunstdünger verzichten. Wer meint, unbedingt spritzen zu müssen, der soll auf Naturprodukte zurückgreifen.

260 Mitglieder hat der Verein, darunter die 88 Gärtner, die bereits Parzellen besitzen. Dass die Warteliste 43 Namen lang ist, sei keineswegs normal, heißt es. Trotzdem reagierten Familien nicht überrascht, wenn sie von der langen Wartezeit hörten, sagt Nowotny: "Die Familien wissen, dass sie lange warten müssen - sie nehmen es in Kauf." Oft kommt es nicht vor, dass jemand einen Garten aufgibt. Vor vier Jahren seien es einmal elf Gärtner gewesen, 2014 nur einer. Verständlich: "So ein Garten ist viel Arbeit", hört man von den Hobby-Gärtnern immer wieder. Außerdem sind die Gärten nicht nur ein Stück Natur, sondern auch Begegnungsstätten.

Liane und Otmar Schmidts besitzen eine Parzelle gleich am Vereinsheim. Sie haben ihr Häuschen mit einem überdachten Vorbau versehen, dessen Hülle transparent ist, so dass der im Gebälk wachsende Wein genügend Licht hat, um zu gedeihen. Der erste Fruchtansatz ist schon zu sehen - winzig zwar, doch groß genug, um in Gästen die Vorfreude auf den Wein zu wecken, den Schmidts daraus keltern. Unter dem Weinstock trifft sich die Landmannsgruppe der Siebenbürger Sachsen zu Besprechungen, ein langer Tisch und ein großer runder stehen dazu bereit. "Hier ist viel los", sagt Liane Schmidts.

Daheim in Siebenbürgen war ihr Vater Gärtner: "Wir produzierten Blumen für das ganze Land." Ein Leben ohne Garten? Unvorstellbar. Hergeben werden Schmidts ihr eigenes buntes Stück Natur allzu bald sicher nicht. An der Wand ihres Häuschens hängt eine Urkunde, verliehen 2012 für 25-jährige Mitgliedschaft.

Die Ablöse für die rund 300 bis 350 Quadratmeter großen Parzellen liegt bei bis zu 5000 Euro. Die Pacht beträgt etwa 200 Euro im Jahr. Zweimal schon hat der Verein versucht, die Anlage zu erweitern. Der erste Antrag ging vor etwa fünf Jahren, der zweite vor einem Jahr an die Stadt. Hätten sie das Areal unter der Hochspannungsleitung in Richtung Tattenkofener Straße erschließen dürfen, hätte das 18 weitere Gärten gegeben - doch die Anträge seien abgelehnt worden, sagt der Vereinsvorsitzende Peter Knoppeck: wegen einiger Magergräser, die Naturschützer dort gefunden hätten. Die Gärtner ärgert das bis heute. Immer wieder kämen gerade junge Familien mit Kindern zu ihnen, die in Mehrfamilienhäusern wohnten, und fragten nach einem Kleingarten, sagt Heiland. "Denen würden wir gerne helfen."

Aber vor allem überzeugt das Argument der Naturschützer die Kleingärtner nicht. Die Rosen-Gärtnerin Doris Semmler schüttelt den Kopf über die Ablehnung der Anträge. Abends könne sie beobachten, wie die Frösche in Scharen aus den Teichen kämen und in den Wald wanderten - da müsse man richtig aufpassen, wohin man trete, erzählt sie. "Das ist Natur", lautet Nowotnys Antwort auf die Bedenken der Naturschützer. Aufgegeben hat der Verein noch nicht: Dieses Jahr wolle man es mit einem Antrag noch einmal versuchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: