Süddeutsche Zeitung

Geretsrieder Kulturherbst:Multikulti

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Kabarettoist und Orienthelfer Christian Springer grenzt sich von Ausgrenzern ab

Von Arnold Zimprich, Geretsried

Christian Springer ist eine Größe im Kabarett - und im bayerischen TV schwer zu ignorieren. Wer in jungen Jahren Eier auf Franz Josef Strauß wirft, ist in Bayern eine Berühmtheit. Und auch bei Springers Auftritt im Zelt des Geretsrieder Kulturherbsts am Donnerstag wird die CSU ihr Fett weg bekommen. Doch zunächst einmal läuft - oder besser: springt - Springer auf die Bühne. Betreten wäre ein zu schwaches Verb für diese Dampflokomotive von einem Kabarettisten.

Springer nimmt das Thema Sondierungsrunden aufs Korn. "Gibt's denn so was beim Zahnarzt? Oder beim Fußball? Wir machen es ganz schnell hats gheißn, ich bin eingeschlafen bei den Elefantenrunden!" Und überhaupt, für Springer ist es schon zu viel, zu lange oder besser gesagt, viel zu oft fünf vor zwölf. "Ich weiß nicht, wie lange die Uhr noch stehen bleiben soll." Ein Getriebener ist Springer, da ist Drang dahinter und eine Notwendigkeit. Der Eierwerfer in ihm will leben. "Zehn Prozent AfD, das sind zehn Prozent zu viel" sagt der 56-jährige unter Applaus.

Er wollte "das Wörtchen Corona eigentlich gar nicht in den Mund nehmen", tut es dann aber doch. "San mir gscheider worn durch Corona?", fragt er. Und antwortet selbst: "Gwies ned." Immerhin, das Wasser in den Kanälen Venedigs ist durch den eingeschränkten Tourismus so klar, "dass man das Mikroplastik jetzt mit bloßem Auge erkennt". Schöne neue Welt.

Bei den Fahrradwitzen erkennt man, dass Springer offensichtlich nicht allzu viel Radl fährt, er hat Wichtigeres zu tun, nämlich für seinen Verein Orienthelfer in kriegsgebeutelte Gebiete zu reisen, "wie übrigens morgen auch, morgen Nachmittag bin ich wieder in Beirut". Doch vorher unternimmt er noch einen insektenkundlichen Diskurs und sorgt sich um die Exemplare in seinem Badezimmer, macht sich Gedanken über die Zeitplanung von Würmern ("Der Laschet ist ein später Wurm, deshalb ist er Kanzlerkandidat geworden") und amüsiert sich über Söders Raumfahrtprogramm Bavaria 1, das "gerade bei Freilassing" angekommen ist.

Der studierte Arabist referiert abschließend über die deutsche Nationalhymne, die so gerne von Menschen gekapert werde, die viel Wert legten auf ihre Herkunft und Abgrenzung gegenüber anderen Menschengruppen. So basiere etwa die Melodie der deutschen Hymne auf einem uralten kroatischen Volkslied, so Springer. Dieses Lied wurde vom österreichischen Komponisten Joseph Haydn zur Kaiserhymne weiterentwickelt, der Dichter Hoffmann von Fallersleben und habe seinen Text sogar "für vier Louis d'or" an die Engländer verkauft, um über die Runden zu kommen.

Mit den deutschen und bayerischen Symbolen ist es in Springers Augen so eine Sache, viel urbayerisch Anmutendes wie BMW, Audi, Bier oder Stoibers Mama seien mitnichten bayerisch, hinter vielem steckten "die Preissn", die als Feindbild übrigens auch nicht mehr taugten. "Wir gehören zamm, die Menschen gehören zamm!" sind Springers abschließende Worte. Der Auftritt hat nicht nur dem Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller (immerhin ein Mann der hier gescholtenen CSU) gefallen - begeistertes Klatschen hallt in die Geretsrieder Nacht.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2021
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