Alternative im ÖPNV:In Gondeln nach Geretsried

Alternative im ÖPNV: Exkursion mit Gondel: Robert Mayr, Magdalena Haase, Ingenieur Thomas Prey, Georg Ambacher und Heinz Wensauer (von links) im Firmensitz der Ottobahn GmbH.

Exkursion mit Gondel: Robert Mayr, Magdalena Haase, Ingenieur Thomas Prey, Georg Ambacher und Heinz Wensauer (von links) im Firmensitz der Ottobahn GmbH.

(Foto: Florian Peljak)

Heinz Wensauer, erklärter Gegner der S7-Verlängerung, schweben nun Kabinen an meterhohen Schienen als Ersatz für den S-Bahn-Ausbau vor. Mit betroffenen Bauern besucht er die Ottobahn, die das möglich machen könnte.

Von Konstantin Kaip

Heinz Wensauer lässt nichts unversucht, um den geplanten Ausbau der S-Bahn-Strecke von Wolfratshausen nach Geretsried zu verhindern. Das zeigen sein Film von der "Kuckucksbahn", der auf Youtube zu sehen ist, und die Plakate gegen den Flächenfraß, die er auf der Böhmwiese aufgestellt hat. Nun kommt er mit einer neuen Idee daher, die im Grunde recht alt ist: Statt der S-Bahn sollen Gondeln zwischen den beiden Städten verkehren. Es handelt sich allerdings diesmal nicht um eine Seilbahn, die der ehemalige Stadtrat Hans Reiser ja schon vor 20 Jahren als Alternative ins Spiel gebracht hatte, sondern um die Ottobahn.

So heißt eine derzeit viel beachtete Technologie, die das gleichnamige Münchner Start-up noch in diesem Jahr auf einer Teststrecke in Taufkirchen erproben will: In einer Art Schwebebahn sollen hängende Kabinen auf sieben Meter hohen Schienen fahren, für die es nur alle 20 bis 40 Meter Betonpfeiler bräuchte. Haltestellen soll es bei der Ottobahn keine geben. Die computergesteuerten Gondeln, per App geordert, sollen überall dort anhalten und hinauf- oder hinuntergelassen werden, wo die Fahrgäste ein- oder aussteigen wollen. "Die Bahn kommt zu den Leuten", sagt Wensauer begeistert. "Und man zerschneidet kein Land."

An einem Junitag ist der unermüdliche 80-Jährige daher mit der S-Bahn nach München gefahren, um den Firmensitz der Ottobahn GmbH in Obersendling zu besuchen. Im Schlepptau hat er drei Geretsrieder Landwirte, deren Grundstücke von der geplanten S-Bahn-Trasse zerschnitten werden sollen: Georg Ambacher, Robert Mayr und die Jungbäuerin Magdalena Haase, die den Hof ihrer Eltern übernehmen will. "Das Gleis", sagt sie, "soll direkt durch unser Stadel führen." Wensauer hatte auch Vertreter des Landratsamts und des Bundes Naturschutz eingeladen, die aber sind nicht gekommen. Politiker habe er absichtlich nicht gefragt, sagt er. Diese könnten die alternative Idee aber später gerne aufgreifen. "Wir wollten zeigen, dass wir nicht nur Gegner sind, sondern auch was vorschlagen können."

In den gut klimatisierten Räumen des Start-ups empfängt sie der Maschinenbau-Ingenieur Thomas Prey, der für die Infrastruktur der geplanten Teststrecke zuständig ist. Er erzählt, dass die Ottobahn GmbH, die nach eigener Aussage "den Verkehr, wie wir ihn heute kennen, revolutionieren" will, schon viele Anfragen von Kommunen aus dem In- und Ausland habe. Und dass der 900-Meter-Rundkurs an der A8, mit dem man die Technologie testen und ihre Zulassung erreichen will, noch dieses Jahr errichtet werden und 2023 in Betrieb gehen soll. Die Vierer-Kabine, die dort ihre Runden drehen soll, kann er den Gästen leider nicht zeigen. Sie war gerade beim Greentech-Festival in Berlin und ist noch nicht wieder aufgebaut. Dafür dürfen Wensauer und die Geretsrieder eine Runde fahren: im Prototyp einer Einzelkabine, die auf Stahlschienen und-rädern einmal durch das Großraumbüro fährt, mit bequemem Polstersessel und Großbildschirm fürs "Infotainment". All das soll es auch in den Viererkabinen geben, erklärt Prey. "Wir nennen es das verlängerte Wohnzimmer." Mit den komfortablen Gondeln wolle man "die Vorteile des Individualverkehrs mit denen des öffentlichen Nahverkehrs verbinden".

Alternative im ÖPNV: Heinz Wensauer im Prototyp der Kabine.

Heinz Wensauer im Prototyp der Kabine.

(Foto: Florian Peljak)

Die Ottobahn soll zudem günstig sein. Etwa fünf Millionen Euro koste der Kilometer Strecke, sagt Prey: halb so viel wie eine Straßenbahn (zehn Millionen) und ein Bruchteil der Kosten für S-Bahn (30 bis 50 Millionen) oder U-Bahn (50 bis 100 Millionen). Dass die Rechnung aber nicht ganz so einfach ist, erfahren die Besucher wenig später. Prey erklärt ihnen, dass die Gondeln auf einem Schienenstrang nicht aneinander vorbeifahren können. Wenn eine hält, muss die Kabine dahinter also abgebremst werden. Hier komme die Software ins Spiel, sagt Prey. "Wir wissen immer, wo und wann die Leute ein- und aussteigen." Die Elektronik leite die Gondeln so, dass es möglichst wenig Stau gebe, schicke sie auch mal in anderer Reihenfolge los oder lasse sie Schleifen fahren, um die Bahn im Fluss zu halten. Das geht aber nur, wenn es genügend Abzweigungen gibt, was wiederum mehr Schienenkilometer bedeutet. "Die Stärke des Systems liegt weniger im Linien- als im Netzwerkgedanken", sagt Prey. Sprich: Die Ottobahn ist umso effizienter, je mehr Abzweigungen sie hat. "Und wenn nun alle zum selben Ziel wollen, sagen wir, die Bayern-Fans zur Allianz-Arena?", fragt Mayr. "Dann müssten wir eine Art Bahnhof bauen, auf einer erhöhten Plattform", sagt Prey. "Aber das ist nicht unser Hauptaugenmerk." Vielmehr gehe es um die "Erhöhung der Effizienz im urbanen Nahverkehr".

Alternative im ÖPNV: So soll die Ottobahn einmal aussehen.

So soll die Ottobahn einmal aussehen.

(Foto: Ottobahn GmbH)

Magdalena Haase hätte gerne den Fahrpreis erfahren. Dafür sei es aber noch viel zu früh, sagt Prey. Stattdessen werfen Wensauer und die Grundbesitzer einen Blick in eine schöne neue Mobilitätswelt: Auf einem Bildschirm läuft eine Simulation, in der sich Wolkenkratzer in den Gondeln spiegeln, auf der Oberseite der Schienenstränge gibt es neben Solarzellen auch Radwege und Grünflächen. Per App soll man sich später auch Amazon-Pakete oder einen Becher seines Lieblingskaffees direkt in die Gondel bestellen können, erklärt Prey die Vision. Aber das werde noch eine ganze Weile dauern.

"Dann schickt's euch mit eurer Teststrecke", sagt Mayr, der von der "charmanten Idee" genauso überzeugt ist wie die anderen Teilnehmer. Wenn die erste Gondel in Taufkirchen fährt, werde man auf jeden Fall vorbeikommen - mit Politikern, sagt Wensauer. Die Alternative beschäftige ihn sehr und lasse ihm auch nachts keine Ruhe. "Ich träum' schon von der Ottobahn."

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