Geretsried:Warum der Karl-Lederer-Platz kein Platz ist

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Gestaltungsbeirat Alexander Wetzig erklärt, warum der Karl-Lederer-Platz zu einem dicht bebauten Zentrum entwickelt werden soll. Der frühere Ulmer Baubürgermeister rät außerdem zu mehr Kultur und Begegnungsmöglichkeiten in der Mitte.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Der "Turm" viel zu hoch, der Platz viel zu klein: So lautet die Kritik an den Plänen der Stadt Geretsried, den Karl-Lederer-Platz durch Neubebauung in ein urbanes Zentrum umzugestalten. Städteplaner Alexander Wetzig ist ganz anderer Meinung: Gerade der Geretsrieder Stadtplatz - der eigentlich gar kein Platz sei - brauche entschieden dichtere Bebauung. Wetzig, früherer Baubürgermeister in Ulm, bildet zusammen mit dem Architekturhistoriker Winfried Nerdinger den von der Stadt berufenen Gestaltungsbeirat für die Geretsrieder Mitte. Die SZ sprach mit ihm über Stadtplanung und Gestaltung.

Herr Wetzig, welches Hochhaus ist für Sie das schönste der Welt?

Alexander Wetzig: Das Chrysler Building in New York.

Und warum?

Weil es ein gestaltetes Hochhaus ist, nicht einfach ein hohes Gebäude. Es ist in eine Form gebracht, hat einen besonderen Abschluss. Gestaltung ist ja Formgebung.

Warum gehören hohe Gebäude in eine Innenstadt?

Weil der Platz in einer Stadt beschränkt ist, in einer Innenstadt besonders. Dort konzentrieren sich wichtige Funktionen, und es braucht Dichte, damit die sich entfalten können. Eine Innenstadt, die nur locker bebaut ist, ist eigentlich keine, nicht mal eine Stadt. Nur wenn sie eine entsprechende Dichte aufweist, hat sie die Mischung von Funktionen, die Lebendigkeit, die Vielfalt von Angeboten. Das macht die alten europäischen Städte aus, dass im Zentrum alles zusammenkommt.

Geretsried ist nicht gerade nach einem städtebaulichen Konzept gewachsen. Kann man nachträglich ein Zentrum künstlich schaffen?

Ein Zentrum kann man immer schaffen. Nicht von heute auf morgen, es entwickelt sich. Aber man muss entscheiden, dass man es entwickeln will.

Was sind die wichtigsten Elemente?

An erster Stelle die Nutzungen: Handel, Dienstleistung, vom Friseur über alles andere, was man nicht planen kann, was entsteht, weil eine Lebendigkeit da ist.

Sie kannten Geretsried von früher. Wie haben Sie es jetzt wahrgenommen?

Ich kenne Geretsried aus den späten Siebzigerjahren. Damals war ich in der Obersten Baubehörde und habe ein Projekt in Geretsried-Nord begleitet, eine individuell gestaltete, geförderte Reihenhaussiedlung. Als ich jetzt, im Jahr 2016, wiederkam, dachte ich mir, ich bin in einer Zeitreise: Die Zeit ist hier stehen geblieben. Besonders der Karl-Lederer-Platz, der ist gesäumt von den schlichten Bauten der Fünfzigerjahre, die den heutigen Anforderungen an Nutzungen in keiner Weise entsprechen. Ich habe den Stadtrat vielleicht ein bisschen geschockt, als ich sagte: Ich war in der Stadt und habe sie nicht gefunden.

Und wie sehen Sie den Karl-Lederer-Platz ? Die Anwohner haben ja Angst, dass er jetzt, da er bebaut wird, zu klein werden könnte.

Der Karl-Lederer-Platz ist eigentlich kein Platz, das ist eine große Fläche. Ein Platzgefühl stellt sich da nicht wirklich ein.

Wie entsteht denn ein Platzgefühl?

Das lebt von den Platzwänden. Plätze brauchen Fassung. Ein Raum entsteht, wenn das Verhältnis von Breiten und Höhen stimmt. Wenn der Platz zu groß ist und die Häuser zu niedrig sind, dann wird es zu einem Aufmarschplatz. Wenn man sich wie in einem großen öffentlichen Zimmer bewegt, dann hat man ein Platzgefühl. Und wenn der Platz gestaltet ist, fühlt man sich wohler.

Dann müssen wir Sie nach dem Lieblingshochhaus auch nach Ihrem Lieblingsplatz fragen.

Oh, da gibt es so viele. Italienische, aber auch deutsche. Als Ulmer sage ich: der Ulmer-Münster-Platz. Er ist geprägt von einem Nebeneinander von Moderne und Tradition - hier das Münster und daneben krachmoderne Architektur.

Die Anwohner haben auch Angst davor, dass die Bebauung am Karl-Lederer-Platz zu hoch wird. Sie kritisieren die ganze Planung heftig.

"Leitlinie der Entwicklung der Innenstadt war für mich immer die europäische Stadt und ihre Stadtkultur", hat Alexander Wetzig vor zwei Jahren in einem Interview gesagt. (Foto: oh)

Das wundert mich gar nicht. Wenn so lange nichts passiert ist, dann ist jede Veränderung erschreckend. Dafür habe ich viel Verständnis. Aber man muss doch fragen: Worum geht es? Welche Ziele haben wir? Man muss versuchen, eigene Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Es geht hier um ein städtebauliches Konzept für ein Zentrum, das Geretsried bisher gar nicht hat.

Ihr Kollege im Gestaltungsbeirat, Winfried Nerdinger, empfahl den Geretsrieder Politikern gleich zu Beginn der Planung, für eine neue Mitte "das Herz der Stadt" zu entdecken und zu betonen. Daran scheint es noch zu fehlen. Sehen Sie das auch so?

Was Herr Nerdinger gemeint hat, das teile ich. Und das habe ich auch der Stadtverwaltung, dem Stadtrat und dem Bürgermeister gesagt: Eine Stadtmitte lebt nicht nur von Handel und Wandel und Dienstleistung. Sie lebt von etwas Öffentlichem - so nenne ich das, was Nerdinger "Herz" nennt, etwas, wo man sagt: Das sind wir. Man muss das Öffentliche, das Gemeinschaftliche etablieren. Das sind Kultur, Soziales, Bildung.

Aber eben dies geschieht bisher nicht.

Es gibt Ansätze - mit dem kleinen Museum, vielleicht mit der Bibliothek. Da ist ja noch nichts zu Ende. Es wird jetzt der erste große Schritt gemacht. Aber klar ist: Mit dem Handel allein können Sie keine Innenstadt beleben. Es braucht identitätsstiftende Nutzungen.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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