Nach Mitgliederschwund:Gotteshaus soll um Café erweitert werden

Architekturserie 2017

Die Petruskirche in Geretsried ist durchaus sehenswert. Ein mögliches Nebengebäude sollte deshalb eine architektonisch mindestes ebenso hohe Qualität aufweisen, findet man in der Kirchengemeinde. Dort könnten dann ein Café, ein Veranstaltungsraum oder auch eine Kinderkrippe unterkommen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Weil die Besucher ausbleiben, soll die evangelische Petruskirche in Geretsried so umgestaltet werden, dass sie nicht nur für Kirchgängern attraktiv ist. Der Versöhnungskirche indes droht die Schließung

Von Marie Heßlinger

Die Mitgliederzahl der evangelischen Kirchengemeinde in Geretsried ist in den vergangenen Jahren so stark gesunken, dass die Versöhnungskirche im Süden der Stadt in ein paar Jahren aufgelöst werden soll. Stattdessen will sich die Gemeinde auf die weiter nördlich gelegene Petruskirche konzentrieren und diese neu gestalten. In einer Videokonferenz haben Pfarrer und Kirchenälteste ihrer Gemeinde nun die Ideen vorgestellt. Passend zur Neugestaltung der Geretsrieder Innenstadt soll die Petruskirche ein "Tor zur Mitte" werden.

4500 Mitglieder zählt die evangelische Kirchengemeinde in Geretsried. Davon besuchten vor der Pandemie an einem gewöhnlichen Sonntag im Schnitt 50 den Gottesdienst in der Petruskirche und 20 den in der Versöhnungskirche, so die Schätzungen der beiden Pfarrer. Zwar sinken die Zahlen seit Jahren, doch mit Corona sind sie noch einmal eingebrochen: Nur maximal 24 Besucher dürfen die Petruskirche noch betreten, bei der Versöhnungskirche sind es 17. Und die Befürchtung besteht, dass die Zahl der Kirchenbesucher - haben sich diese erst einmal ans sonntägliche Ausschlafen gewöhnt - nach der Pandemie nicht wieder steigen wird. Aus diesem Grund haben sich die Verantwortlichen der Kirchengemeinde im Dezember und Januar gemeinsam überlegt, wie sie dem entgegen wirken können.

Ein "architektonisch ansprechendes Gebäude" solle neben der Petruskirche entstehen, eines, das eine "offene Einladung an die kommunale Gesellschaft" darstelle, sagte Bettina Wittmeyer, die stellvertretende Vertrauensfrau, bei der Online-Konferenz. Das Gebäude solle mehr Raum bieten, etwa einen Veranstaltungssaal für rund 200 Menschen, der nicht nur von der Kirche allein genutzt werden könne. Ein öffentlich zugängliches Café solle zudem entstehen, am besten mit Inklusionsansatz, und auch der Kindergarten ließe sich um eine Krippe erweitern. Denkbar sei auch eine Kooperation mit der Stadt Geretsried, sodass die Kirche das Umbauprojekt nicht alleine schultern müsse.

"Ein Bauprojekt zusammen - seid ihr verrückt?", das ist laut Theo Heckel eine häufige Reaktion auf diese Idee. Der Pfarrer der Petruskirche aber sieht sie als Chance. "Vielleicht sind die Synergieeffekte so groß, dass es vielleicht sinnvoll ist, dass wir zusammen planen." Die Stadt wünsche sich ein schönes Zentrum, die Kirche wolle ein offener Begegnungsort sein. Noch aber sei alles offen. Denkbar sei auch, dass die Idee in gegenseitigem Einvernehmen wieder verworfen werde.

Ob die Gebäude rund um die Petruskirche neu gebaut oder nur renoviert werden sollen, ist ebenfalls offen. Der Sanierungsbedarf des bestehenden Gemeindezentrums sei jedoch so hoch, dass ein Neubau sich auf lange Sicht gegebenenfalls lohnen könnte, sagte Pfarrer Heckel. In jedem Fall werde das neue Gemeindezentrum aber mehrere Millionen Euro kosten.

Nach Mitgliederschwund: Der evangelische Pfarrer Theo Heckel vor seiner Petruskirche.

Der evangelische Pfarrer Theo Heckel vor seiner Petruskirche.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Finanzieren könnte die Kirchengemeinde das Projekt unter anderem durch einen Verkauf des Grundstücks rund um die Versöhnungskirche. "Selbst, wenn man drei Viertel des Grundstücks abgeben würde, hätte die Kirche immer noch viel Grund, auf dem sie stehen würde", sagte die stellvertretende Vertrauensfrau Wittmeyer. Was mit der Versöhnungskirche selbst passieren soll, ist ebenfalls noch offen. Eine kleine Einnahmequelle könnte sich überdies aus der Parkplatzsituation vor der Petruskirche ergeben: Dort ist der Vorplatz vorübergehend einem Parkplatz gewichen. Die Kirche wollte damit jenen Geschäften zur Hilfe kommen, die aktuell von der Baustelle in der Egerlandstraße betroffen sind. Die Rückbaukosten dafür würde die Stadt tragen. "Es kann sein, dass wir, wenn der Rückbau ansteht, lieber das Geld hätten für etwas ganz anderes, zum Beispiel eine Neugestaltung des Eingangs", sagte Pfarrer Heckel.

Nach Mitgliederschwund: Die Versöhnungskirche im Geretsrieder Stadtteil Stein soll womöglich aufgegeben werden.

Die Versöhnungskirche im Geretsrieder Stadtteil Stein soll womöglich aufgegeben werden.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Vorschläge des Vorstands trafen auf Zustimmung. Insbesondere die Idee, ein inklusives Café zu eröffnen, fand viel Anklang bei den Teilnehmenden der Online-Konferenz. "Uns hat die Versöhnungskirche nie gefallen, wir sind immer in die Petruskirche gefahren", sagte zum Beispiel Kirchgängerin Frauke Baumgarten über den Plan, die Versöhnungskirche zu schließen. Das Gebäude habe wenig sakralen Charakter, stimmte ihr Ehemann zu. Andere jedoch hätten die Versöhnungskirche gerne besucht, weil sie sich in unmittelbarer Nähe zu ihren Wohnungen befand, gab Pfarrer Georg Bücheler zu bedenken. Für sie soll nach Schließung der Kirche ein Begegnungsort für Senioren im Stadtteil Stein entstehen.

Im neuen Gemeindezentrum der Petruskirche, so schlugen andere Kirchenmitglieder vor, könnte ein Meditationsraum entstehen und ein Raum für Taufen im kleinen Kreis. Auch über Kunstausstellungen würden sich manche Gemeindemitglieder freuen - und darüber, wenn das Grün rund um die Kirche erhalten bliebe. Martin Ziegler, ehemaliger Vertrauensmann der Gemeinde, gab zu Bedenken, dass es ein Konzept geben müsse, weitere Verluste von Kirchenmitglieder während der Baustellenzeit zu vermeiden. Ein anderes Mitglied schlug für diese Zeit eine Kooperation mit der katholischen Kirche vor.

Warum die Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen Jahren so stark gestiegen ist, darauf hatte Pfarrer Heckel nur vage Antworten. Nur etwa ein Prozent derjenigen, die aus der Kirche austreten, würden auf Bitten der Kirche einen Grund für den Austritt nennen. Manche hätten ihren Austritt mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche begründet, andere mit Äußerungen von Papst Benedikt XVI., für wieder andere sei der Sonntagmorgen die einzige Möglichkeit, mit der Familie zu frühstücken.

Dass das Interesse an der Kirche prinzipiell da sei, zeigten die Auswertungen des Internetauftritts der Kirche. Im Schnitt rund 400 Mal seien die einzelnen Predigten auf den Homepages der beiden Kirchen während der Pandemie geklickt worden, sagte Heckel. Und Vertrauensfrau Wittmeyer gab zu bedenken, dass viele Menschen jenseits einer Kirchenmitgliedschaft an Diskussionsrunden, Konzerten und Ausstellungen der evangelischen Kirche teilnahmen. Das neue Geretsrieder Zentrum dürfte diesen Effekt verstärken.

Bis das Projekt tatsächlich beginnen wird, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern. Zunächst sollen die Bauarbeiten in der Egerlandstraße zu einem Ende kommen, Pfarrer Heckel rechnet mit drei Jahren. Die Versöhnungskirche soll geöffnet bleiben, bis Pfarrer Bücheler in Ruhestand geht. Bücheler ist 60 Jahre alt, Heckel 58. Geht Heckel in Ruhestand, könnte sich ein weiteres Problem ergeben: Nicht nur die Zahl der Kirchbesucher geht zurück, sondern auch die Zahl der Pfarrer.

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