Geretsrieder Starkbierfest:Ein Prosit der neuen, alten Bierseligkeit

Geretsrieder Starkbierfest: Bruder Barnabas alias Ludwig Schmid ist wieder da, von den Massen stürmisch begrüßt.

Bruder Barnabas alias Ludwig Schmid ist wieder da, von den Massen stürmisch begrüßt.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der hochprozentige Gerstensaft fließt wieder - zumindest in Geretsried, wo die "Bunkerblasmusik" und Bruder Barnabas erstmals nach zwei Jahren zum Starkbierfest einladen. Der dialektischen Abwatscherei bleibt Bürgermeister Müller allerdings fern.

Von Claudia Koestler

Wäre nur Platz für ein einziges Wort, so müsste es wohl "bizarr" sein: Menschen ohne Masken, Ellbogen an Ellbogen nebeneinander an langen Tischreihen, immer wieder die Krüge hebend und lautstark ein Prosit skandierend, zwischendurch schunkelnd und einander mit leicht glasigem Blick die Stichwörter "Geretsried" und "Attacke" zuprostend. War das was? Eine Pandemie gar? Potenziell tödliche Viren noch immer außer Kontrolle? Nichts von alledem ist an diesen Abenden präsent. Die Geretsrieder Bunkerblasmusik hatte 2020 mit dem Starkbierfest eine der letzten Veranstaltungen der Region vor dem ersten Lockdown veranstaltet. Nun hat sie die neue Normalität mit ihrem Starkbierfest 2022 am Freitag und Samstag in den fast vollbesetzten Geretsrieder Ratsstuben eröffnet. Und knüpfte quasi nahtlos da an, wo die Welt 2020 aufgehört hatte. Gut, dass mehr Platz als nur ein Wort bleibt, um differenzierter zu rekapitulieren, was diese Abende letztlich ausmachte.

Geretsrieder Starkbierfest: Die "Bunkerblasmusik" spielt unter der Leitung von Roland Hammerschmied auf.

Die "Bunkerblasmusik" spielt unter der Leitung von Roland Hammerschmied auf.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Stimmung war geradezu sehnsüchtig aufgekratzt in Teilen des Publikums, die dem Gefühl einer Normalität frönten. Unter der blasmusikalischen Begleitung und gelegentlichen Prosit-Aufrufen stieg der Pegel kontinuierlich, bis Ludwig Schmid kurz vor neun Uhr als Bruder Barnabas die Bühne enterte. Da war die wahrscheinlich prominenteste Vakanz bereits den meisten im Publikum aufgefallen: Geretsrieds Bürgermeister Michael Müller (CSU) blieb der Veranstaltung an beiden Abenden fern. "Scho klar, dass heute nicht alle da sind, die da sein könnten. Aber ich versteh, dass manch einer einfach a bissl Angst hat. Auch vorm Virus", spöttelte Schmid. "Und nachdem ma eigentlich nicht über Leute redet, die nicht anwesend sind, will ich ihn auch gar nicht weiter loben", fügte er an. Aber vielleicht werde das ja mit Müller beim Starkbierfest im kommenden Jahr wieder was. "Die Landtagswahlen sind erst im Herbst 2023, dann ist er im Frühjahr ziemlich sicher noch Bürgermeister." Sonst hatte Schmid nicht viel über den Rathauschef zu sagen: "In seinem Leben gibt's einen Hund. Luigi. Und privat hat er auch einen Hund, der Luigi heißt", erklärte er in Anspielung auf seine Bühnenfigur Luigi Barnabas.

Geretsrieder Starkbierfest: Dichte Reihen, viel Applaus und keine Masken.

Dichte Reihen, viel Applaus und keine Masken.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Den Fokus legte Schmid stattdessen in seiner Rede darauf, eine Art Dreiklang zwischen Eishockey, Blasmusik und Lokalpolitik zu erzeugen und Ähnlichkeiten herauszuarbeiten. "Da heißt es Mannschaft, hier Kapelle und dort Stadtrat. Und alle machen, was sie wollen, und nicht immer das, was sich der Chef vorgestellt hat." Spielten Musiker schlecht, würden die Instrumente getauscht, beim Eishockey der Trainer. "Und in der Politik...?" fragte er und ließ die Antwort offen, bis die Kunstpause in Gelächter des Publikums überging. Vor allem nutzte er die Vergleiche zum Eishockey, um eine dortige Gepflogenheit im Saal zu etablieren: Falle in dem Sport ein Tor, rufe der Stadionsprecher: "Neuer Spielstand: Geretsried eins, Gegner null." Und so ließ Schmid das Publikum immer wieder einen solchen Spielstand im Städte- und Gemeindevergleich oder in politischen Zuspitzungen ausrufen. Mit dem ersten, konkreten Beispiel des Abends: "Unser Starkbierfest ist vielleicht nicht ganz so groß wie sonst. Und der Ablauf ein bisschen angepasst. Aber hey, wir haben immerhin ein Starkbierfest. Neuer Spielstand: Geretsried eins, Wolfratshausen...?" - "Nuuull!", rief das Publikum schadenfroh, in Anspielung darauf, dass die Nachbarstadt ihre Veranstaltung erneut coronabedingt abgesagt hatte. Und noch ein Fanrelikt: Schmid ließ Simon Hammerschmied zur Attacke blasen, während das Publikum "Attacke" skandierte. In Zeiten von Krieg und vorheriger Spendensammlung für Flüchtlinge aus der Ukraine vielleicht nicht der passendste Ruf. Doch das Publikum stieg dennoch ein, als Schmid damit zum Hauptthema des Abends schwenkte: Neustart.

Die Baufortschritte auf dem Lorenz-Areal seien momentan zwar noch überschaubar. "Aber ich glaub, dass sie trotzdem noch schneller sein werden als das Wolfratshauser Isar-Kaufhaus." Er wollte jedoch nicht nur über Wolfratshausen herziehen - "schließlich gehören die bald zu uns". Es gebe auch Gemeinsamkeiten, etwa die Auseinandersetzungen über Baumaßnahmen: "Bei uns wird halt drüber diskutiert, ob man 770 Wohnungen baut, in Wolfratshausen wird darüber diskutiert, ob man drei Häuser abreißt." Es hake aber nicht bei den Nachbarn alleine. Mit dem Verkehr in Geretsried etwa verhalte es sich "a bissl wie beim DDR-Grenzverkehr. Keiner raus - in Klammern Tyczka. Keiner rein - in Klammern Rathaus. Und fahren kannst auch fast nirgends, in Klammern Graslitzer Straße". Immerhin, der Karl-Lederer-Platz ist jetzt fertig. "Zumindest schaut er ziemlich oft ganz schön fertig aus." Und ja, geschimpft werde viel in der Bevölkerung. Auch über die Tiefgarage. Mancher frage sich, warum die eine so starke Decke gebraucht hat, die gar mit Panzern befahrbar ist, wo man doch den Verkehr aussperren will. "Aber vielleicht will der Krämmel als Honorarkonsul eines post-sowjetischen Staates auch nur vorbereitet sein", mutmaßte Schmid.

Nach knapp einer Stunde Fastenpredigt kündigte er an: "Jetzt dreh ma noch amal richtig auf!" Doch statt mit Spott endete der Abend in einem Feuerwerk der Affirmation, mit La-Ola-Wellen und "Ge-rets-ried"-Rufen. Den Nerv des Publikums traf er damit zielsicher, die das Hier und Jetzt feierten: Ein Prosit der neuen, alten Bierseligkeit.

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