Geretsried:Lehrplan mit Streicheleinheiten

Die Pädagogin Astrid Tabellion und ihr Schulhund Nepomuk begleiten eine Praxisklasse. "Wenn er nicht da ist, fehlt ein Teil."

Felicitas Amler

Nepomuk hat jetzt bald Ferien. Immer wenn die Schulen zu sind, hat auch der große schwarze Mischlingsrüde Pause. Dann kann er seinen Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: rennen, fressen, schlafen. Wenn sich die Türen der Mittelschule Geretsried wieder öffnen, ist Nepomuk gefordert: Neun Jungs und zwei Mädchen sind das Team, mit und in dem er arbeitet. Nepomuk ist Schulhund. Seine Besitzerin, die Pädagogin Astrid Tabellion, 32, hat sich selbst und den heute sieben Jahre alten Mischling aus Golden Retriever und Deutschem Schäferhund sorgfältig dafür ausgebildet. Sein Einsatzgebiet ist ein Klassenzimmer im Erdgeschoss des Schulhauses an der Johann-Sebastian-Bach-Straße 4: die Praxisklasse.

Klassenrat: Alle Schüler sitzen im Kreis, dazwischen Klassenlehrer Rüdiger Rieß, 37, und Astrid Tabellion. Nepomuk ist hellwach - jeden Moment kann sich ihm eine Hand mit einem Leckerli entgegenstrecken. Im Klassenrat am Freitag blicken die 14- und 15-Jährigen regelmäßig auf die Woche zurück. Sie müssen sagen, was ihnen gut gefallen hat, was nicht und was sie sich für die kommende Woche wünschen. "Ganz cool" fand Jens die Woche so alles in allem. Allerdings: "Wir waren ziemlich laut." Das muss auch Maxi einräumen. Und dass er "gestern so ausgeflippt" sei, das war "scheiße", sagt er.

Währenddessen sitzt Nepomuk zu Maxis Füßen und wartet. Denn jedes Mal wenn einer der Jugendlichen fertig ist mit seinem Beitrag zum Klassenrat, dann darf er aus einer Dose eine Süßigkeit für sich selbst nehmen und aus einer anderen dem Hund ein Leckerli geben. "Der sabbert ja wie ein Wasserfall", stellt Maxi fest. Das hat schnell ein Ende, als Nepomuk das Leckerli bekommt, das natürlich schwupps weg ist.

Zuwendung, Konzentration, Fürsorge, Verantwortung, Motivation, Stressprävention: Die Liste all dessen, was ein Schulhund in einer Klasse - zumal einer mit schwierigen Kindern oder Jugendlichen - leisten kann, ist lang und eindrucksvoll. Der Hund fordert die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler, aber er gibt auch Geborgenheit. Ihn zu streicheln entspannt, ihn zu beobachten macht Freude. Jutta ist sich dessen ganz bewusst: "Wenn man traurig ist und ihn streichelt, dann ist man wieder ein bisschen glücklicher", antwortet die 15-Jährige auf die Frage nach Nepomuks Bedeutung für sie.

Und dann fallen ihr auch Anekdoten ein wie die von der Schnitzelsemmel, die Maxi auf den Tisch gelegt hatte. So schnell konnte gar niemand gucken, wie Nepomuk die stibitzt hatte. "Man schmunzelt über Sachen, die er macht", sagt Jutta. Astrid Tabellion betont, dass sie in solchen Fällen natürlich für den Schaden einsteht: Maxi bekam gleich eine neue Semmel. Der 14-Jährige hat offenkundig auch Freude an Nepomuk, verliert aber nicht viele Worte darüber: "Ich streichel ihn halt." Und das ist bestimmt nicht das Unwichtigste.

Nepomuk sei zwar ziemlich groß - er bringt stolze 48 Kilo auf die Waage -, aber keineswegs so beängstigend wie andere Hunde dieses Kalibers, findet Maria. "Der ist ein Kuschelhund." Das muss er wohl auch sein, denn mit einem anderen Gemüt hätte er es in einer Klasse, die eher ausgelassen als diszipliniert ist, schwerer.

Der schwarze Mischling bereitet nicht nur den Jugendlichen an der Mittelschule Vergnügen. Auch Lehrerinnen und Lehrer sind begeistert. Rüdiger Rieß etwa sagt, er habe von Haus aus "mit Hunden nichts zu tun" gehabt. Sie hätten in seinem Leben einfach keine Rolle gespielt. Bis er vor zwei Jahren Astrid Tabellion und Nepomuk kennenlernte. "Er tut mir gut. Ich streichle ihn oder unterhalte mich mit ihm. Und wenn er nicht da ist, fehlt ein Teil."

Tabellion weiß das alles in Theorie und Praxis. In einem Informationsblatt zum Thema "Schulhund" fasst sie die Hauptziele der Begleitung von Unterricht, Einzelgesprächen und Projekten durch einen Schulhund zusammen: von der "guten Atmosphäre" über die "Förderung von Kommunikationskompetenzen" bis zur Verbesserung der "Selbst- und Fremdwahrnehmung".

Ganz schlicht bringt es ein Zitat auf den Punkt, das Tabellion ihren Informationen wie ein Motto vorangestellt hat (Autor unbekannt): "Was uns so fest mit Hunden verbindet, ist nicht ihre Treue, ihr Charme oder was es sonst noch sein mag, sondern die Tatsache, dass sie nichts an uns auszusetzen haben." Und gerade das ist in einer Praxisklasse von großer Bedeutung. Denn hier werden Kinder unterrichtet, die ohne eine spezielle Förderung kaum Perspektive im Berufsleben hätten. Da geht es, wie die Pädagogin sagt, zuallererst darum, "zu zeigen, dass sie was wert sind".

Und dieses Gefühl gibt Nepomuk ihnen hundertprozentig. Mal treuherzig schauend, mal verschmust - und mal eben sabbernd.

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