Geretsried:Leerstand, wo das Leben tobt

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Wenig Kunden, kaum Umsatz: Die "Spielzeug Insel" muss nach wenigen Jahren schließen. Nebenan stehen schon andere Läden leer. (Foto: Manfred Neubauer)

Die "Spielzeug Insel" muss zusperren, obwohl sie in unmittelbarer Nähe des Karl-Lederer-Platzes liegt. Mittlerweile fallen nicht nur in Wolfratshausen Ladenzeilen auf, die verwaist sind.

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Die Anzeige steht bereits im Internet: 2000 Euro kalt, fast 200 Quadratmeter Verkaufsfläche auf zwei Etagen, bezugsfertig ab April. Die Objektbeschreibung liest sich attraktiv, so wie sich Objektbeschreibungen eben lesen müssen: Von einer "stark belebten Einkaufsstraße mit allen Geschäften, Banken und Kaufhäusern sowie der Post" ist da die Rede, von "höchster Fußgängerfrequenz" und einem "umfassenden Branchenmix", in Klammern: "Hotspotlage". Von all dem hat der Spielzeug-Verkäufer Harald Auracher zuletzt wenig mitbekommen. Er sucht sich gerade einen neuen Job. Seinen Laden muss er nach wenigen Jahren schließen - wenig Kunden, kaum Umsatz, er kann seine "Spielzeug Insel" nicht halten.

Dabei ist die Objektbeschreibung seines Ladens, wie sie im Internet zu lesen ist, gar nicht falsch. Sie ist allenfalls ein bisschen übertrieben. Denn wer aus Aurachers Geschäft in der Egerlandstraße 50 heraustritt und nur knapp 100 Meter weitergeht, der steht tatsächlich dort, wo die Anzeige seine potenziellen Kunden hinversetzt: am Hotspot Geretsrieds, umgeben von Fußgängern und Geschäften unterschiedlichster Branchen. Ein Supermarkt, ein Kaufhaus, eine Apotheke, ein Sportgeschäft, ein Juwelier, ein Reisebüro, eine Bäckerei - und um die Ecke auf dem Karl-Lederer-Platz, in Nachbarschaft zum Rathaus: ein großer C&A und ein Subway.

Im Vergleich zu der Gegend rund um Aurachers Laden tobt dort, nur 100 Meter weiter, das Leben. Etwa da, wo der Fasanenweg in die Egerlandstraße einmündet, auf Höhe des Sportgeschäfts, verläuft die unsichtbare Grenze. Was nördlich dieser Grenze liegt, überlebt, und zwar gut. Die Gegend südlich der Grenze entwickelt sich dagegen zunehmend zum blinden Fleck des Zentrums.

Vor einigen Monaten sah es in der Ecke noch anders aus: Zur Linken der "Spielzeug Insel" gab es die stadtbekannte Pizzeria Trattoria, zur Rechten das Spezialitäten-Geschäft "Vom Fass" und daneben wiederum eine Niederlassung der Deutschen Bank. Die schloss als erstes. Dann machte die "Fass"-Filiale dicht. Und einige Geretsrieder erinnern sich wohl noch gut an den Tag im vergangenen Jahr, als die Fenster der Trattoria auf einmal leer in die Straße starrten - ein ungewohnter und verbunden mit den übrigen Leerständen auch ein recht trister Anblick. An dem hat sich auch nichts dadurch geändert, dass in die ehemalige "Fass"-Filiale inzwischen eine Änderungsschneiderei eingezogen ist. Der neue, dritte Leerstand wird nun im April Aurachers Spielzeuggeschäft.

Wieder ein Laden weniger, der von einem selbständigen Inhaber geführt wird. Deren Zahl nimmt ständig ab, sagt der städtische Wirtschaftsreferent und Einzelhändler Volker Reeh. Auch in Wolfratshausen mehrt sich der Leerstand massiv, seit das Isar-Kaufhaus zugesperrt hat.

Damit Kunden in eine Gegend kommen, braucht es einen Frequenzbringer. Ist ein Geschäft selbst kein Kundenmagnet, ist es auf einen solchen angewiesen: Der Magnet sichert ihm Laufkundschaft, ohne die nur wenige Betriebe leben können. Frequenzbringer aber sind meist Ketten wie C&A, Subway oder Rossmann, sagt Uwe Schenk, der bei der Baufirma Krämmel für die Bestandsliegenschaften zuständig ist. Und die haben so ihre Ansprüche. Groß muss die Ladenfläche sein und hoch, unter einer Deckenhöhe von 3,50 Metern geht nichts mehr. Schenk kann das gerade in der Sudetenstraße in Geretsried beobachten, wo der Umzug des Rossmanns einen hartnäckigen Leerstand hinterlassen hat.

Ruhig ist es in dieser Ecke der Sudetenstraße geworden. Nicht akustisch, denn der Verkehr hat spürbar zugenommen, seit im Juli 2014 der Neubau der Baugenossenschaft auf der gegenüberliegenden Straßenseite fertiggestellt wurde. Aber wer vor dem ehemaligen Rossmann heute einen Parkplatz sucht, der findet meist auch einen. Nur ein paar Meter weiter klafft ein weiterer Leerstand: die Räume des ehemaligen Jeansladens "Vollstoff". Und ein paar Meter in die andere Richtung informiert an den Eingangstüren eines sanierungsbedürftigen Altbaus das Modegeschäft NKD über seine Schließung.

Drei Leerstände in einer Reihe - dabei muss man nur über die Straße und wenige Schritte in Richtung Stern-Kreuzung gehen, um auf das U-förmig angeordnete Neubaugelände mit all seinen einladend präsentierten Ketten zu gelangen. Da ist es wie auf dem Karl-Lederer-Platz, da tobt das Leben. "Selbst 20 Meter sind manchmal zu viel", sagt Wirtschaftsreferent Reeh. "Eine Perle bricht heraus und schon ist die Situation eine andere."

Zwei Jahrzehnte lang hatte die Drogeriekette an der Sudetenstraße 20 ihren Laden. Der Einzelhandel entwickelte sich in der Zwischenzeit weiter fort, noch weiter weg vom kleinen Laden, hin zur Opulenz. Zuletzt galt der alte Rossmann mit 320 Quadratmetern als Kleinstfiliale. Als 2014 der Neubau der Baugenossenschaft fertig wurde, verschwendete Rossmann keine Zeit und zog mit Sack und Pack ins neue Domizil um. Der Drogeriemarkt wurde zum Mittelpunkt eines neuen, florierenden Nebenzentrums. Knallrot leuchtet sein Schriftzug über den großen Parkplatz hinweg, tagsüber ist dort immer etwas los.

Am früheren Standort der Rossmann-Filiale hat sich bislang noch kein neues Geschäft angesiedelt. Obwohl es Interessenten durchaus gäbe, sagt Krämmel-Mitarbeiter Schenk: Wäre in den Räumen etwa Gastronomie erlaubt, dann wären sie keinen Monat lang leer gestanden. Acht von zehn Interessenten seien Gastronomen. Wollte man Werbeagenturen oder Arztpraxen reinlassen, müsste die Firma Krämmel den Laden teilen, neue Sanitäranlagen bauen und einen zweiten Eingang legen. Alles Dinge, die das einstimmige Ja der Eigentümerversammlung erforderten. Die Einzelhändler unter den Interessenten fanden den Laden zu klein - mindestens 450 Quadratmeter Verkaufsfläche sollten es schon sein -, oder es fehlte ihnen an Parkplätzen direkt vor dem Laden.

Dabei ist das Gebäude gar nicht alt. Nicht so alt wie das Nachbargebäude jedenfalls, das der Eigentümer nach Angaben der Immobilienfirma Gröbmair abreißen und neu bauen will - und zwar so bald wie möglich. Es ist das Gebäude, in dem bis vor kurzem noch NKD eine Filiale hatte.

Genau auf diese Eigeninitiative von Eigentümern hofft die Stadt - sie hat auch gar keine andere Wahl, wenn sie will, dass sich in den Zentren etwas entwickelt. Am Karl-Lederer-Platz läuft es nicht anders. Bürgermeister Michael Müller will die T-Zone Egerlandstraße/Karl-Lederer-Platz modernisieren und muss dazu auf die Eigentümer hoffen. Einer dieser Eigentümer ist Reinhold Krämmel, der im April mit den Vorbereitungen für den lange erwarteten Abbruch zweier Altbauten beginnt, die durch einen attraktiveren, moderneren Neubau ersetzt werden soll. Einen Neubau mit hohen Decken und großen Verkaufsflächen also - der, so viel ist abzusehen, seinen Preis haben wird.

Dass kleine Betriebe in den modernisierten Zentren neben den Ketten kaum noch eine Chance hätten, will Schenk aber nicht behaupten. "Es ist schwieriger geworden", sagt er. Soll heißen: nicht unmöglich.

© SZ vom 16.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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