Süddeutsche Zeitung

Geretsried:Kriegerstrümpfe für die Front

Die Ickinger Historikerin Sybille Krafft zerstört beim Auftakt des Kulturfestivals "Pipapo" in Gelting ein paar Illusionen über vermeintlich friedliebende Frauen

Von Petra Schneider, Geretsried

Frauen und Kinder sind in Kriegen die Leidtragenden. Sie müssen das ausbaden, was Männer angezettelt haben. Das war und ist so, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. "Frauen hatten nicht die Macht mitzuentscheiden, aber die zunehmende Militarisierung in der Vorkriegszeit des Ersten Weltkriegs haben die Frauen mitgetragen", sagte Sybille Krafft am Dienstag in der Geltinger Kulturkneipe "Hinterhalt".

Dass die gut besuchte Auftaktveranstaltung des fünften Pipapo-Festivals des Kulturvereins Isar-Loisach (KIL), das heuer unter dem Motto "Mörderisches Bayern steht", nicht Kabarett oder Konzert war, sondern ein kulturhistorischer Vortrag, ist ungewöhnlich. Aber Kultur ist ein weites Feld, und gelungener könnte der Auftakt nicht sein: Denn der Filmvortrag der Ickinger Historikerin über Frauen in den beiden Weltkriegen, ihr Leiden und ihre Mitverantwortung, war höchst informativ und lebendig.

Dazu trug auch der Sirenenchor bei: Die Sängerinnen spannten den Bogen von zeitgenössischen Soldaten- und Marschliedern, über Marlene Dietrich bis hin zu einem bösen Protestlied von Georg Ringsgwandl und einem Landler von den Well-Brüdern, bei dem Evi Strehl, Chefin im Ressort Heimat des Bayerischen Rundfunks, die Zither spielte. Abgerundet wurde der Abend von einem syrisch-irakisch-bayerisch-egerländischen Buffet zugunsten des Vereins Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald.

Der Vortrag von Krafft war als filmischer Rundgang durch die Ausstellung "Zwischen den Fronten" gestaltet, den die Historikerin und Filmemacherin vor 20 Jahren in der Münchner Rathausgalerie mit konzipiert hatte. Krafft, Vorsitzende des Historischen Vereins Wolfratshausen und des Badehaus-Vereins, zeigte eindrucksvoll die Brüche zwischen Propaganda und harter Realität an der "Heimatfront". Der filmische Rundgang begann mit einem Bild: dem einer heroisch stilisierten, waffenstarrenden Germania. Gerade bei den bürgerlichen, gebildeten Frauen habe die Propaganda Wirkung gezeigt, sagte Krafft. Sie gebaren Söhne, "um sie auf dem Feld der Ehre zu verlieren." Sie erzogen sie nach dem Ideal "freudiger Opfermut" und schmückten das Wohnzimmer mit patriotischem Kitsch: Etwa mit einer Landkarte, auf der mit Fähnchen der Frontverlauf abgesteckt werden konnte. Man traf sich zum geselligen "Kriegerstrümpfe-Stricken" und parlierte dabei Französisch - paradoxerweise in der Sprache des Feindes.

Im Verlauf des Ersten Weltkriegs übernahmen Frauen zunehmend "männliche" Aufgaben in Wirtschaft und Landwirtschaft: Sie bestellten die Felder, wurden Schlosserinnen, Trambahnfahrerinnen, Postbotinnen. "In der Not durften Frauen das plötzlich", sagte Krafft. Auch die erste staatliche Kinderbetreuung sei im Ersten Weltkrieg eingerichtet worden. Nach Kriegsende wurden die Frauen wieder zurück an Heim und Herd geschickt. "Von emanzipatorischem Kriegsgewinn konnte keine Rede ein", sagte Krafft.

Aktiver Widerstand von Frauen sei in beiden Weltkriegen selten gewesen. Dennoch gebe es Beispiele mutiger Frauen, die heute weitgehend vergessen seien. Wie Marie Zehetmaier, die 1917 wegen Kriegsvergehens vor Gericht gestellt wurde, weil sie pazifistische Kettenbriefe geschrieben hatte. Die Mathematiklehrerin wurde schließlich in die Irrenanstalt nach Eglfing eingewiesen. Auch die Nazis hatten offenbar Angst vor der Bad Aiblingerin. Sie steckten die tief gläubige Katholikin wegen "unheilbaren Pazifismus" 1939 nach Gabersee. Im Jahr 1980 ist sie gestorben. In den Schuldienst war sie nie wieder übernommen worden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich das Frauenbild in Deutschland. 1952 wurde in München ein Wettbewerb ausgelobt: "Die ideale Frau der Nachkriegszeit". Die Teilnehmerinnen mussten sich in "einigen Intelligenzfragen gewandt zeigen", charmant sein, eine kalte Platte garnieren und ein Baby wickeln können. Warum ihre Männer, Söhne, Brüder sterben mussten? "Die Antwort darauf lässt viele Frauen bis heute verzweifeln", schloss Krafft.

Einen beinah heiteren Abschluss fand der bemerkenswerte Abend trotz vieler bedrückender Fakten: Ein Marschlied von Erich Kästner, das Iris Nabholz wunderbar rotzig-trotzig sang, begleitet von dem erst 17-jährigen Elias Vollmer am Klavier: "Ich trag Schuhe ohne Sohlen, durch die Hose pfeift der Wind, 1000 Jahre sind vergangen samt der Schnurrbart-Majestät."

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SZ vom 25.11.2016
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