Geretsried:Köpfchen und Kopftuch

Geretsried: "Religion spielt für einen großen Teil der Muslime eine große Rolle in ihrem Alltag", sagt Gönül Yerli.

"Religion spielt für einen großen Teil der Muslime eine große Rolle in ihrem Alltag", sagt Gönül Yerli.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Gönül Yerli referiert in Geretsried über Frauen im Islam

Von Felicitas Amler, Geretsried

Der kleine Saal ist voll, die Frage hochspannend - sie wird nur an diesem Abend nicht beantwortet werden: "Die Rolle der Frau im Islam - frauenfreundlich oder frauenfeindlich?", so hat Gönül Yerli ihren Vortrag beim "Treffpunkt Wendeltreppe" überschrieben. Die Vize-Direktorin des Islamischen Forums in Penzberg überlässt es am Ende des Abends in der evangelischen Petruskirche den rund 50 Zuhörern, sich ein Urteil über Frauen im Islam zu bilden. Es wird, wenn man ihr gut zugehört hat, nicht eindeutig ausfallen können.

Yerli verkörpert den Widerspruch in der eigenen Person: Sie ist eine gebildete, aufgeklärte Frau, die mit beiden Beinen im deutschen demokratischen Leben steht. Gleichzeitig trägt sie Kopftuch, akzeptiert demnach für sich eine Interpretation der Regel des Propheten Mohammed, wonach eine Frau "all ihre Schönheit" bedecken soll. Dass dies eine breit auslegbare Vorschrift ist, erklärt sie ihren Zuhörern. Die allerdings fragen nicht nach ihrem eigenen Verständnis davon - dem Bedecken der Haare. Yerli hat anatolische Wurzeln, lebt aber seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, hat hier studiert und innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft eine Position erlangt, die viele einer muslimischen Frau gar nicht zutrauen. Sie werde oft mit "Herr Yerli" angeschrieben, berichtet sie: "In einer Moschee vermutet man keine Frau."

Yerli erklärt, was der Koran, Hadithe, Sunna und Rechtsschulen sind, erwähnt die Sure An-Nisa (Die Frauen), die eine der längsten Suren des Koran sei. Sie sagt, es gebe 1,3 Milliarden Muslime weltweit, und das größte Problem sei eines, das Frauen noch stärker betreffe als Männer: ein Mangel an Bildung. 40 Prozent der Muslime seien Analphabeten - 25 Prozent in der Türkei, fast 70 in Afghanistan, 90 Prozent in Jemen. Yerli verdeutlicht, dass es ein erheblicher Unterschied sei, in welchem Land sich "die muslimische Frau" befinde. Deutschland, Türkei, Tunesien oder Saudi-Arabien: "Es gibt nicht 'die' muslimische Frau, genauso wie man nicht von 'der' christlichen Frau sprechen kann."

Überhaupt: Der Vergleich der Religionen. Damit hat Yerli - die islamische Religionspädagogik, katholische Theologie und Interreligiösen Dialog studiert hat - ihre Zuhörer eingangs gepackt. Sie hat mit dem Beamer Zitate an die Wand geworfen und das Publikum gefragt, wo die wohl stünden. Harter Tobak, wenn etwa der biblische Paulus dem Mann attestiert, er sei "Gottes Bild und Abglanz" und "nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen". Oder wenn es in der buddhistischen Theravada heißt: "Ist man den Frauen ergeben, der Grundlage allen Übels, vermehrt sich das Böse." Natürlich spart Yerli nach ein paar Überraschungscoups dieser Art auch den Koran nicht aus, der "Unzucht" zwischen Frau und Mann mit hundert Peitschenhieben zu bestrafen fordert.

Der Koran, so räumt sie ein, habe eine sehr männliche Sprache - um allerdings gleich hinzuzufügen: "Wenn Sie die Bibel lesen, haben Sie auch diesen Eindruck." Eine Reform des Islam muss nach ihrer Ansicht mit einer modernen Auslegung des Korans beginnen, den es ins 21. Jahrhundert zu holen gelte. Als Lichtblick sieht sie daher die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie: "Hier in Deutschland tut sich etwas." Yerli rät ihren Glaubensgenossen: "Geht in die Forschung, räumt auf mit den Hadithen, lasst die Frauen in die Moscheen!" Sie kann es verlangen - sie ist schon dort.

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