Wer an diesem Tag versucht, die Engel in der Karl-Lederer-Schule zu zählen, verliert leicht den Überblick. Es sind einfach zu viele. Und jeder ist so schön, dass man ihn länger betrachten möchte. Auf einem wachsen Blumen, auf dem nächsten saust ein Herz wie ein fliegender Teppich vorbei, darauf sind lachende Menschen zu sehen, die ihre Arme ausbreiten. „Lieb miteinander umgehen“, hat ein Kind dazu geschrieben. Was all diese Engel verbindet und formt, ist ihr Rahmen: Er besteht aus einem Ring, in den eine Mondsichel, ein Kreuz und ein Stern eingearbeitet sind– die Symbole der Weltreligionen Islam, Christentum und Judentum. Der „Engel der Kulturen“ ist ein internationales Kunst-Projekt, das Carmen Dietrich und Gregor Merten 2008 initiiert haben. Er steht für Toleranz, Dialog und Miteinander. In der Karl-Lederer-Grundschule breitet er an diesem Morgen laut vernehmbar seine Schwingen aus.
An die 500 Mädchen und Buben haben sich mit ihren Lehrerinnen in der Aula versammelt, sitzen gespannt auf dem Boden und stimmen dann freudig mit Claudia Sauer das erste Lied an: „Ich bin anders als du bist anders als er ist anders als sie“, singen sie und unterstreichen die Worte schwungvoll mit Händen und Armen. „Ihr seid anders als wir. Na und! Das macht das Leben bunt!“ Das kommt von Herzen. Am Ende applaudieren sie sich selbst, weil es so schön war.
Schulleiterin Elke Goymann erklärt den „Engel der Kulturen“ mit einfachen Worten. Manche Menschen glaubten an einen Gott, sagt sie, manche an viele Götter, wieder andere sähen Gott in der Natur. „Die Menschen glauben auf unterschiedliche Weise. Entscheidend ist: Alle wünschen sich das Gleiche.“ Was das ist, darüber haben sich die Kinder im vergangenen Jahr mit der evangelischen Religionspädagogin Claudia Sauer viele Gedanken gemacht. Sie hat das Projekt angestoßen und begleitet. Der getrennte Religions- und Ethikunterricht wurde dafür vorübergehend ausgesetzt. Stattdessen arbeiteten die Kinder im Klassenverband.
„Zuerst durfte jeder seinen eigenen Engel malen“, erläutert Sauer nach der Veranstaltung, als sie noch mit ein paar Kindern vor der Bühne sitzt. Danach habe jede Klasse über den jeweils besten Entwurf abgestimmt. „Ganz demokratisch“, ergänzt ein Viertklässler neben ihr, „mit Muggelsteinen!“ Die gewählten Entwürfe wurden dann auf großen Holzscheiben realisiert, die künftig in 21 Klassenzimmern und Fachräumen hängen werden.
Bei der Feierstunde in der Aula stellen die Kinder ihre Klassen-Engel vor und beschreiben mit wenigen Worten, was sie sich dabei gedacht haben – was die Hände bedeuten, die Pflanzen oder die Peace-Zeichen. Dann heften sie grüne Blätter mit Wünschen an einen symbolischen Baumstamm: „Helfen“ steht darauf oder „Hoffnung“, „Vielfalt“, „Liebe“, „Frieden“.
Einen besonderen Wert bekommt die Feier durch den Besuch dreier Ehrengäste: Der evangelische Pfarrer Georg Bücheler ist gekommen, die katholische Pastoralreferentin Julia Majores und der Penzberger Imam Benjamin Idriz. Dazu gibt es schriftliche Grußworte von jüdischen und griechisch-orthodoxen Glaubensvertretern. Das friedliche Miteinander sei „so zerbrechlich wie eine dünne Glasscheibe“, sagt Georg Bücheler in seiner Ansprache zu den Kindern. „Heute ist ein Festtag. Ihr seid Botschafter dieses Miteinanders. Und ich bin euch und dieser Schule dankbar, dass ihr diesen Schritt miteinander geht.“
Julia Majores spricht über Engel. Es gebe sie nicht nur in verschiedenen Religionen, wo sie als Botschafter Frieden, Mut und Licht in die Welt brächten. „Ihr Kinder seid für mich auch Engel“, sagt sie. „Von euch kann man lernen. Durch euch wird heute die Welt ein bisschen heller.“ Dieses Bild greift dann auch Benjamin Idriz auf. „Ihr Kinder habt ein wunderbar reines Herz“, sagt er. „Ihr seid wie Engel.“
Wie zuvor die Kinder wünschen sich nun auch die Erwachsenen noch etwas. Majores hofft, dass der „Samen des Friedens“ sich ausbreite wie ein großes Licht. Bücheler wünscht sich, dass das Licht von der Karl-Lederer-Schule in die ganze Stadt ausstrahle. Und Idriz, dass keine Schule in der Welt bombardiert würde, sondern jede ein solcher „Leuchtturm“ sein könne.
Zum Abschlusslied dürfen die Mädchen und Buben aufstehen und sich bewegen. „Frieden ist etwas Fröhliches“, ruft Sauer ihnen strahlend zu. Und dann zeigen 500 Engel in Hausschuhen mal, wie ein ordentliches Abschiedslied klingt: „Miteinander ist das Zauberwort“ singen sie – und dazu wird gemeinsam geklatscht und gestampft.