Süddeutsche Zeitung

Erdwärme in Geretsried:"Das ist keine Science Fiction"

Dank "Loop"-Technologie soll es diesmal klappen mit der Geothermie in Gelting. Es wäre, nach den gescheiterten Versuchen der Vergangenheit, ein Riesenschritt für die Energiewende im Landkreis.

Von Susanne Hauck, Geretsried

Schon oft lag Goldgräber-Stimmung in der Luft, wenn im Landkreis wieder mal ein Geothermieprojekt startete. Die gute Laune verkehrte sich allerdings Monate später regelmäßig in Katzenjammer, weil das heiße Wasser nicht so sprudelte wie erhofft. Und wieder waren Millionen von Euro versenkt ohne eine Quelle für erneuerbare Energie geschaffen zu haben, sei es beim Vorhaben in Attenhausen bei Icking oder in Geretsried-Gelting. Genau dort aber scheint der Erfolg nach zwei gescheiterten Versuchen nun doch zum Greifen nah. Die Investoren und Ingenieure des Betreibers Eavor jedenfalls sind sich ihrer Sache sicher: Die Anlage werde genug Energie liefern, um den Wärmebedarf von 200 000 Haushalten zu decken. Es wäre für den Landkreis ein riesiger Schritt auf dem Weg zur Energiewende.

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) hat nun mit anderen Kommunal-und Landespolitikern sowie Geretsrieder Parteimitgliedern die Baustelle besucht, um sich die Fortschritte der Anlage vorstellen zu lassen. "Wir wissen heute schon, wie viel Wärme sie einmal liefern wird", erklärte Eavor Deutschland-Geschäftsführer Daniel Mölk selbstbewusst. Denn aufgrund der Bohrungen in den Vorjahren lägen alle Daten über die geologischen Verhältnisse vor, mit denen sich die Fördermenge berechnen lasse. Alles also nur eine Frage der Planung. An die Zweifler in der Runde gerichtet bekräftigte er nochmals: "Das ist keine Science-Fiction."

Die Ingenieure des kanadischen Mutterunternehmens haben ein völlig neuartiges Bohrverfahren erfunden, das wie eine Art unterirdische Fußbodenheizung funktioniert. Dafür wird an zwei Stellen vertikal in die Tiefe gebohrt und anschließend horizontal ein riesiges Rohrsystem verlegt. Vier Kilometer runter und drei Kilometer rüber, salopp gesagt. Das kalte Wasser wird eingeleitet, vom heißen Gestein erwärmt und steigt wieder nach oben. Geretsried wäre weltweit die erste kommerzielle Anlage, die mit dieser neuarbitgen "Loop"-Technologie betrieben wird und nicht auf natürlich vorkommendes Thermalwasser angewiesen ist. Freilich ist alles Neuland. Bislang gibt es nur eine Testanlage in Kanada. Die allerdings laufe seit drei Jahren kontinuierlich und völlig problemlos, versicherte Mölk.

Nachdem alle bau- und bergrechtlichen Genehmigungen vorliegen, hat sich auf der Geltinger Baustelle abgelegen im Wald bei Gut Breitenbach der Bohrkopf mit 2000 PS bereits die ersten Meter in den Boden gefressen. 150 Meter am Tag soll er einmal schaffen. Im Sommer wird laut Mölk bereits das Kraftwerk geliefert, das mit Vorrang für Fernwärme nach den Bedürfnissen der Kommune ausgebaut wird. In den Städten Geretsried und Wolfratshausen werden zurzeit Wärmebedarfskarten erstellt, um den künftigen Verbrauch in einem gemeinsamen Netz hochzurechnen.

Ob dann in der Praxis wirklich alles so funktioniert wie in der Theorie, wird sich schon im Herbst 2024 herausstellen, wenn die Geretsrieder Geothermie, die auf eine Betriebsdauer von 100 Jahren angelegt ist, hoffentlich die erste Energie liefert. Bis 2026 soll sie voll ausgebaut sein und bis zu 200 000 Haushalte versorgen. Eine Menge, die weit über den Bedarf im Landkreis hinausgeht: "Wir bauen eine große Anlage, mehr als die Gemeinden nutzen können", erklärte Mölk. Der Überschuss soll deshalb zunächst in das Stromnetz eingespeist werden.

Denn die Crux ist, dass die Infrastruktur hinterherhinkt. Dass die Energie einmal zu den Verbrauchern in Geretsried oder Wolfratshausen kommt, setzt den Bau eines Fernwärmenetzes voraus, ein happiges Großprojekt, für das Geretsrieds Zweite Bürgermeisterin Sonja Frank (FW) bei Minister Glauber in Sachen Förderung nachhakte. Und dann muss es noch genug anschlusswillige Verbraucher geben, die sich zugunsten der Erdwärme von ihrer Öl- oder Gasheizung verabschieden, darauf wies Landrat Josef Niedermaier (FW) hin.

Schiefgehen könne aber wirklich nichts mehr, versicherte der Eavor-Geschäftsführer auf Nachfrage. Die gescheiterten Bohrversuche der Vorjahre seien zwar schmerzlich gewesen, hätten aber jede Menge Erkenntnisse über das Kalkgestein und die Wärmeleitfähigkeit gebracht. Jetzt gehe es eigentlich nur noch darum, den Baukörper in den Boden zu bringen, so Mölk. "Wir explorieren nicht", machte er den Unterschied zu den konventionellen Bohrmethoden klar. "Es gibt bei uns nicht den Nervenkitzel, ob am Ende genug Thermalwasser da ist." Wie auf jeder herkömmlichen Baustelle könne es zwar zwischendurch technische Schwierigkeiten geben. Zudem sei die Riesenbaustelle eine logistische Herausforderung, weil viele Dinge gleichzeitig ablaufen müssten. Das heißt, dass es für Eavor immer teurer wird, je länger gebohrt werden muss. Die zeitlichen Verzögerungen würden das Projekt, in das die Kanadier laut Mölk einen "hohen dreistelligen Millionenbetrag" investieren, aber nicht zum Scheitern bringen. "Es ist doch auf jeder Baustelle so, dass das Haus am Ende des Tages fertig ist", sagte Mölk.

Für die Ingenieure wird es dann erst richtig spannend. "Die ganze Welt schaut im Moment nach Geretsried", so Mölk. Denn funktioniert alles nach Plan, dürfte sich Eavor über viele weitere Aufträge freuen. Geothermie wäre dann dort möglich, wo der Untergrund bislang von der konventionellen Methode ausgeschlossen war. Auch Enex-Geschäftsführer Robert Straubinger, der als Projektentwickler von Anfang an dabei ist, war optimistisch. Er habe ein "gutes Bauchgefühl, dass es diesmal was werden könne", ließ er wissen.

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