SZ: Drei Interviewpartner, das geht selten gut. Könnten Sie sich bitte kurz gegenseitig vorstellen. Herr Zink, in wenigen Sätzen: Wer ist Vincent Courtens? Und was wäre er, wenn er ein Tier wäre?
Bernhard Zink: Ich fange mit der zweiten Frage an und komme damit zur ersten. Vincent Courtens ist ein Chamäleon - oder nein, das träfe für jeden guten Schauspieler zu. Er ist ein Löwe! Auf der Bühne ist er unglaublich physisch und zugleich mimisch stark. Er wirft sich mit seiner ganzen Kraft in den Moment, tut alles, was gerade erforderlich ist, also wirklich alles. Ich habe ihn noch nie nackt gesehen, aber das heißt nicht, dass es nicht passieren könnte.
Herr Courtens, wie sehen Sie Steffi Böck?
Vincent Courtens: Die Steffi ist eine energetische Gazelle. Sie bewegt sich bewusst und souverän durch die Theaterlandschaft wie durchs Leben, ist dabei gutmütig und auf das Wohl der anderen bedacht. Sie ist eine Powerlady und eine mimische Virtuosin. Was sie in ihrem Gesicht zum Leben erwecken kann, ist faszinierend!
Löwe, Gazelle, Frau Böck, wir sind gespannt auf Bernhard Zink...
Steffi Böck: Ich würde ihn mit einer ähnlichen Gattung beschreiben wie den Löwen, allerdings etwas kleiner und scheinzahm. Er ist eine Katze und hat die außerordentliche Fähigkeit, genau zu spüren, was los ist. Für uns bedeutet das: Er versorgt uns mit bester, stimmungsadäquater Musik, untermalt und ummantelt uns. Und lebt gleichzeitig das wunderbar eigensinnige Wesen der Katze aus. Vom Schnurren bis zum Fauchen beherrscht er jede Tonlage, mal schleicht er sanft über die Tasten, dann wieder fährt er die Krallen aus. Und er hält alles zusammen, indem er sich zur rechten Zeit platziert und sagt: Jetzt bitte streicheln.
Nach 20 Jahren Improtheater, Herr Courtens, haben Sie noch Geheimnisse vor Steffi Böck?
Vincent Courtens: Wir haben uns schon in den intensivsten und außergewöhnlichsten Situationen erleben dürfen - im freien Fall von einer Klippe oder mit dem Finger des anderen im Mund, um keine Luft zu verlieren - und dabei haben wir uns in die Augen geschaut. Die Augen sind die Fenster zur Seele. Man lernt sich sehr gut kennen, ja, aber ein paar Geheimnisse trage ich trotzdem noch mit mir herum, und das ist auch gut so.
Frau Böck, kann Vincent Courtens Sie noch überraschen?
Steffi Böck: Oh ja, immer wieder. Das ist am leichtesten festzustellen, wenn ich auf der Bühne lachen muss. Wenn ich die Figur kurz nicht mehr halten kann und die Steffi aus mir herausplatzt, weil ich eine Mimik entdecke, die ich tatsächlich noch nie gesehen habe. Dazu muss man sagen, wir haben alle großen Mut zur Hässlichkeit.
Herr Zink, überraschen Sie die anderen auch gerne einmal?
Bernhard Zink: Zunächst einmal schaffe ich die Atmo, unterstütze, verstärke. Aber manchmal grätsche ich auch rein. Am Anfang wollte ich ja nichts falsch machen, war ganz vorsichtig. Aber das ist das Falscheste beim Improtheater, was man machen kann: nichts falsch machen zu wollen. Jetzt klatsche ich manchmal in die Hände und sage: Zeit für einen Song!
Und dann wird gesungen?
Vincent Courtens: Ja, das Improtheater lebt von Impulsen. Man muss leer die Bühne betreten und - mit gewissen Techniken im Hintergrund - aus dem Nichts etwas entstehen lassen. In einem solchen Moment heißt das: eine Strophe kreieren, einen Refrain finden zu einer Musik, die eben erst entsteht. Das ist das Spannende. Bei "Das aktuelle Programm" ist das Publikum bei diesem Prozess ganz nah dabei.
Dennoch brauchen Sie ja ein Konzept. Womit fangen Sie Ihre Vorstellung an?
Steffi Böck: Wir wärmen uns gemeinsam mit dem Publikum auf. Erst musikalisch, dann physisch und mental, so dass wir zu einer energetischen Masse werden und die Zuschauer spüren, was es bedeutet, wenn aus einer Vorgabe in Sekunden etwas entstehen muss.
Nehmen wir doch mal die Vorgabe: Geretsried. Was fällt Ihnen dazu ein?
Bernhard Zink (setzt sich ans Klavier und improvisiert eine Melodie): Das ist aus dem Musical Peter Pan, das wir 2009 am Gymnasium gemacht haben. Als ich dort angefangen habe, kam ich direkt vom Theater und wollte unbedingt in der Schule Musik und Theater auf die Bühne bringen. Dann war da ein ganz besonderer Jahrgang in der Oberstufe, ich hab die Leute getriezt, bis sie sich entschieden haben, selbst ein Musical zu machen. Das war die Geburtsstunde des Kammerchors. Vince ist damals als Coach eingestiegen und macht das bis heute, Steffi war auch einige Jahre dabei. Geretsried - das ist wahnsinnig viel, das sind zwölf Jahre, ein riesen Wust von Emotionen und Erlebnissen, den Kammerchor gibt es ja immer noch, ich gebe ab an Vince...
Vincent Courtens: Junge Leute, Kunst, Musik, Emotionalität, eine Menge Talent und echt Bock auf Theater und Musical. Mit solch talentierten Jugendlichen zu arbeiten, ist motivierend. Wenn ich die Endergebnisse sehe, treten mir immer wieder Tränen in die Augen.
Bernhard Zink: Ja, mir auch.
Vincent Courtens: Wir drei reden regelmäßig darüber: Was macht der Nachwuchs? Wo kommt etwas nach? Und dafür ist Geretsried eine Megaplattform.
Applaus. So viel Schönes hat vermutlich schon lange niemand mehr spontan zum Stichwort Geretsried gesagt. Zurück zum Improtheater. Setzt es vor allem auf Gags, oder gibt es auch tiefere Momente?
Steffi Böck: Gags tun gut. Tun uns auch gut. Und sie sind verlockend, weil sie dem Publikum gefallen. Eine unserer Stärken liegt aber darin, dass wir uns auch in die tieferen Gewässer trauen. Viele Improgruppen etablieren in den ersten Sekunden einer Szene: Wo sind sie, wer sind sie, was tun sie. Wir nehmen uns bewusst die Zeit, uns da reinzutasten. Die Songs sind ein gutes Beispiel. Bernhard spielt eine Musik zum ersten Mal, wir finden die Töne und den Text, den wir noch nicht kennen. Das zeigt, wie viel in solchen Sekunden gleichzeitig passiert. Es gibt Tiefe, es gibt Poesie und diese leisen, manchmal auch schwierigen Momente.
Entscheidend sind die spontanen Vorgaben. Kann es passieren, dass das Publikum unbegabt ist?
Steffi Böck: Es gibt manchmal ein verhaltenes Publikum, eines, das sich nicht recht traut. Manchmal entsteht unter den Leuten aber auch das Bedürfnis, zu sehen, wie weit wir gehen. Dann gibt es vulgäre Vorgaben. Wenn wir nach einem Ort fragen, heißt es beispielsweise: Klo. Da werden wir getestet.
Vincent Courtens: Alles hat seine Daseinsberechtigung. Die Energien, die im Raume sind, bedienen wir. Da schwingt Unterschiedlichstes mit. Nach manchen Vorstellungen sind wir selbst baff: Wow, was ist heute Tiefgründiges auf die Bühne gekommen. An anderen sagen wir: Das war ein sehr lustiger, plakativer Abend.
Steffi Böck: Und ich mag diesen Kitzel: Wie drehen wir es? Wie schafft man es, aus der Vorgabe Klo eine Überraschung zu machen.
Was kann Improvisationstheater, was Shakespeare nicht kann?
Bernhard Zink: Es lässt einen teilhaben an etwas, das entsteht. Man guckt dabei zu, wie Dinge sich entwickeln, merkt plötzlich, dass es jetzt eine Entscheidung geben muss. Die Frage: Wie gehen sie jetzt damit um? In welcher Richtung geht's weiter? Da sieht man es arbeiten. Im Kopf, im Körper. Da fiebert man mit.
Kann es passieren, dass einem auf der Bühne nichts einfällt? Jeder kennt vermutlich den verpassten Moment, nach dem man denkt: Hätte ich doch etwas anderes gesagt!
Steffi Böck: Mir geht es oft bei den Gedichten so. Ich bin eine Freundin des Aus-dem-Stegreif-Dichtens. Und das arbeitet am stärksten nach. Dann dichte ich zu Hause weiter und denke mir: Ah, das hätte auch noch gepasst.
Vincent Courtens: Es gibt Momente, da ist man so perplex, dass eine absolute Leere entsteht. Aber auch die Leere kommuniziert etwas. Solche Pausen muss man aushalten können, Spannung entstehen lassen. In irgendeiner Form geht es immer weiter. Dieses Urvertrauen braucht man.
Steffi Böck: Das Hirn kann ja kurz weg sein, aber der Körper ist noch da. Und dann kann das Hirn wieder rein.
Vincent Courtens: Oder umgekehrt!
Kann man sich bei Ihnen abschauen, wie man schlagfertig reagiert? Gehen Ihre Gäste also nicht nur amüsiert, sondern vielleicht auch ein bisschen gescheiter aus der Vorstellung?
Vincent Courtens: Es gibt rhetorische Techniken, die einem helfen, sich nicht überrumpeln zu lassen.
Steffi Böck: Ich glaube jedoch nicht, dass man das durchs Zuschauen lernen kann.
Bernhard Zink: Und doch gehen die Leute gescheiter nach Hause. Wir betreiben ganz aktiv kulturelle Bildung. Auch Menschen, die lesen, erweitern ja ihren Horizont. Dabei geht es nicht um Wissen, sondern darum, dass die Fantasie aufgerissen wird. Das passiert bei uns auch. Wir suggerieren Welten, die nicht da sind. Unsere Bühne ist manchmal das Innere eines Hirns und dann wieder ein Raumschiff. Durch die vielen Möglichkeiten dessen, was alles sein könnte, reißen wir den Horizont auf. Das verändert Menschen!
"Das aktuelle Programm", Samstag, 7. Mai, 20 Uhr, Kleinkunstbühne "Hinterhalt", Gelting, 15 Euro, Reservierung über info@hinterhalt.de