Mieten:Wenn Geflüchtete keine Wohnung finden

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Jeder dritte Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft sollte eigentlich längst ausgezogen sein. Doch wegen der Wohnungslage bleiben viele, teils jahrelang. Ein Besuch bei Familie Mussawi.

Von Viktoria Spinrad, Geretsried

Wenn mitten in der Nacht der Feueralarm losgeht, dann ist das für Ali Asghar Mussawi, 27, seine Frau Zahra Hosseini, 25, und den kleinen Omid, eineinhalb, schon Routine. Sie wissen dann, dass einer ihrer etwa 180 Mitbewohner wahrscheinlich mal wieder gekocht oder geraucht hat. Und Mussawi weiß, dass er sich am nächsten Tag wie gerädert fühlen wird, wenn er sich dranmachen soll, mit seiner kleinen afghanischen Familie in ein neues Leben in Deutschland zu starten.

Ein Vormittag im März in einem Geretsrieder Café. Mussawi, dunkle Augen, Undercut, gestikuliert, fasst sich ans Herz und versucht immer wieder, seinen kleinen Sohn zu beruhigen. Weil für die Geretsrieder Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete nebenan auf die Schnelle keine Besuchserlaubnis vom Bezirk zu erwirken war, erzählt er seine Geschichte hier.

Münchner Wohnungsmarkt
:"Wir hätten nie gedacht, dass wir in Deutschland so wohnen müssen"

Eine syrische Familie kam mit dem Resettlement-Programm nach München - und lebt zu sechst auf 33 Quadratmetern. Die Miete summiert sich auf fast 3000 Euro im Monat.

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Er scrollt durch sein Handy, zeigt Bilder. Spinde, eine Sofalandschaft, zwei Kühlschränke, dazwischen gerahmte Bilder und Spielzeug - das ist das etwa 20 Quadratmeter große Reich der Familie. Seit drei Jahren lebt die Familie hier am westlichen Ortsrand von Geretsried. Zusammen mit Menschen aus Eritrea, Syrien, dem Irak und dem Senegal. Omid ist in der Kreisklinik geboren und wächst zwischen Pressspanplatten und Security-Männern auf.

Eigentlich ist vieles gut hier, trotz des Lärms und gelegentlicher Bettwanzen. "Hier ist es sicher, ich bin sehr dankbar", sagt Mussawi und rückt seinem Kleinen die Mütze zurecht. Aber eigentlich sollte er mit seiner Familie auch längst in einer normalen Wohnung leben. Seit anderthalb Jahren sind sie anerkannte Flüchtlinge, gelten in der Unterkunft damit als Fehlbeleger.

Damit sind sie nicht alleine. Tatsächlich ist mit 373 Personen knapp jeder dritte Bewohner einer staatlichen Unterkunft im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen anerkannt oder geduldet und sollte eine eigene Bleibe gefunden haben. Weil der Wohnungsmarkt aber schwierig ist und die Menschen sonst obdachlos wären, lässt man die Menschen weiterhin in den Unterkünften wohnen. "Wir können die Leute ja nicht auf die Straße setzen", sagt Jeannette Kegler, die im Landratsamt im Asylbereich arbeitet. Sie kennt die Problematik und weiß, dass es gerade für Familien schwer ist, etwas zu finden.

Wieder bekam er eine Absage

Kein Wunder: Weil der Zuzug in die Region zwar gefördert, aber nicht entsprechender Wohnraum geschaffen wurde, steigen die Preise auf dem Wohnungsmarkt seit Jahren exorbitant. Auf dem Portal Immowelt sind die Mieten im Landkreis zwischen 2009 und 2019 um 38 Prozent gestiegen, von 8,29 Euro auf 11,30 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommt, dass Geflüchtete mit Einheimischen konkurrieren, die es selbst schwer auf dem Wohnungsmarkt haben.

Zurück im Café. Mussawi scrollt auf seinem Handy durch Wohnungsanzeigen, auf die er sich beworben hat. Abgesagt, abgesagt, abgesagt, sagt er, er kennt nichts anderes. Und das, obwohl er bis vor Kurzem regelmäßig gearbeitet, dann einen Deutschkurs gemacht hat. Zuletzt war er einmal ganz nah dran: Er hatte eine Wohnung der Wolfratshauser Baugenossenschaft besichtigt. Doch letztlich bekam er wieder eine Absage. "Es ist einfach so schwierig", sagt er.

Helferkreise geben vielerorts sogar Mietertrainings. Auch Mussawi hat Hilfe erhalten, sein Anschreiben war makellos, aber der Markt ist eben erbarmungslos. Und so kommt es, dass die Unterkünfte auch fünf Jahre nach der Ankunft von etwa 1500 Geflüchteten im Landkreis immer noch fast vollständig ausgelastet sind. Eine Verschärfung durch die Situation an der türkisch-griechischen Grenze erwartet man im Landratsamt indes nicht. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen "gegen ihren Willen die staatlichen Unterkünfte verlassen müssen, um Platz für neue Flüchtlinge zu machen."

Eine von Ali Asghar Mussawis Wohnungsbewerbungen. (Foto: oh)

Vom Café geht es zur Kreisklinik. An diesem Montag hat Zahra Hosseini ihr zweites Kind bekommen. Sie kommt jetzt durch den Ausgang, den kleinen Arman im Tragekorb. Sie schildert, wie sie nur zusammen mit dem Nachwuchs auf die Gemeinschaftstoilette gehen kann, weil der Kleine sonst weint, dass sie tagsüber nicht kochen kann, weil sie auf Omid aufpassen muss. Nun werden sie zu viert sein in einem Zimmer leben. "Ich möchte als Kosmetikerin arbeiten", sagt sie, doch wie soll das in dieser Konstellation funktionieren?

Auch ihr Mann schaut ratlos drein. Knapp zwei Wochen sind es noch, bis seine Probearbeit in einem Wolfratshauser Autohaus beginnt. Er möchte dort eine Ausbildung zum Automechaniker machen. "Wie soll das funktionieren?", fragt er. Das Jobcenter könnte mit der Wohnung helfen, bis zu 90 Quadratmeter, in Geretsried bis zu 790 Euro Kaltmiete dazugeben, doch auch dafür muss ein Mietvertrag vorliegen.

Das Landratsamt sagt, alle Fehlbeleger mit Wohnungen zu versorgen sei "völlig aussichtslos und unrealistisch." Doch die Mussawis wollen es weiter probieren - damit zumindest der frisch geborene Arman in einer ganz normalen Wohnung aufwachsen kann.

Vermieter können sich an den Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch" wenden: info@hvmzm.de

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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